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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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sition daraus geworden. Da dieses Stück weniger bekannt ist als die frü¬
hern, so will ich hier seinen Inhalt angeben. Zu den Zeiten des Kaisers
Barbarossa überreichte ein Geist in der Gestalt eines alten Invaliden dein
Ahnherrn des "scheu Königshauses einen Diamant, mit der Erklärung, er
werde ihn von dem Letzten des Hauses wieder abholen. Es war also gleich¬
sam der Talisman der Familie und wurde stets der ältesten Tochter des
Königs zur Aufbewahrung anvertraut. Der jetzt regierende König hat nur
eine Tochter, die somnambul und nervenschwach ist. Diese wird von einem
alten Invaliden angebettelt, erschrickt, glaubt den Geist ihres Ahnherrn zu
sehen, wirft ihm den Diamanten zu und bildet sich uun ein, sie sei die Letzte
ihres Hauses, sie müsse bald sterben oder sie sei schon gestorben. Vergebens
stellt man ihr einen liebenswürdigen Prinzen vor, der sie curiren soll; die
Mondsüchtige bleibt wahnsinnig -- aber es ist ein milder, eleganter Wahnsinn --
und der König, der halb und halb doch selbst an die Erscheinung glaubt,
setzt einen Preis für denjenigen ans, der ihm den Diamant wiederbringt, um
durch das Wiederfinden desselben die Nichtigkeit des Gespenstes nachzuweisen.

Jener Invalide bettelt sich von Dorf zu Dorf, bis er endlich zu einem
armen Bauern kommt, der' ihn gastlich aufnimmt. Bei diesem stirbt er.
Der Bauer findet den Stein, weiß ihn nicht zu schätzen, und ruft eiuen
Juden herein; dieser bietet ihm eiuen Thaler. Der Bauer merkt uun, daß
mehr dahinter sein müsse, und verlangt 100 Thlr. Der Jude hat nicht so
viel; er stiehlt den Stein, verschluckt ihn, um sicher zu gehen, und entflicht.
Aber vergebens ißt er Pfefferkuchen mit Obst und trinkt Weißbier in fabel¬
haften Quantitäten, er hat zwar furchtbare Bauchschmerzen, aber der Stein
will ihm nicht abgehen. So findet ihn der Bauer und schleppt ihn zum
Richter. Der Richter hat die Publication des Hoff über den gestohlenen
Diamanten vor sich, er muß ihn haben, aber wie soll man dazu kommen?
Ein anwesender Arzt, der heimlich den Stein für sich selbst behalten will,
schlägt vor, dem Juden den Leib aufzuschneiden. Und so soll es geschehen,
die chirurgischen Instrumente werden herbeigeschafft und mittlerweile der Jude
in's Gefängniß abgeführt. Der Schließer meint, ich kann den Stein eben
so gut haben, er entführt also den Juden, um ihn unterwegs zu erschlagen
und ihm den Stein ans dem Magen zu nehmen. Aber dem Juden wird
Plötzlich unwohl, er geht hinter einen Baum und tritt jubelnd hervor: da
ist der Stein! Der Schließer nimmt ihn und entflieht. Der Jude wird
jetzt von seinen Verfolgern -- dem Bauer, dem Arzt, dem Amtmann, zu
denen sich jetzt auch der Bräutigam der Prinzessin gesellt hat -- ereilt, sie
wolle"; ihm eben schneiden, da kommt der Schließer dazu, der von einem


sition daraus geworden. Da dieses Stück weniger bekannt ist als die frü¬
hern, so will ich hier seinen Inhalt angeben. Zu den Zeiten des Kaisers
Barbarossa überreichte ein Geist in der Gestalt eines alten Invaliden dein
Ahnherrn des "scheu Königshauses einen Diamant, mit der Erklärung, er
werde ihn von dem Letzten des Hauses wieder abholen. Es war also gleich¬
sam der Talisman der Familie und wurde stets der ältesten Tochter des
Königs zur Aufbewahrung anvertraut. Der jetzt regierende König hat nur
eine Tochter, die somnambul und nervenschwach ist. Diese wird von einem
alten Invaliden angebettelt, erschrickt, glaubt den Geist ihres Ahnherrn zu
sehen, wirft ihm den Diamanten zu und bildet sich uun ein, sie sei die Letzte
ihres Hauses, sie müsse bald sterben oder sie sei schon gestorben. Vergebens
stellt man ihr einen liebenswürdigen Prinzen vor, der sie curiren soll; die
Mondsüchtige bleibt wahnsinnig — aber es ist ein milder, eleganter Wahnsinn —
und der König, der halb und halb doch selbst an die Erscheinung glaubt,
setzt einen Preis für denjenigen ans, der ihm den Diamant wiederbringt, um
durch das Wiederfinden desselben die Nichtigkeit des Gespenstes nachzuweisen.

Jener Invalide bettelt sich von Dorf zu Dorf, bis er endlich zu einem
armen Bauern kommt, der' ihn gastlich aufnimmt. Bei diesem stirbt er.
Der Bauer findet den Stein, weiß ihn nicht zu schätzen, und ruft eiuen
Juden herein; dieser bietet ihm eiuen Thaler. Der Bauer merkt uun, daß
mehr dahinter sein müsse, und verlangt 100 Thlr. Der Jude hat nicht so
viel; er stiehlt den Stein, verschluckt ihn, um sicher zu gehen, und entflicht.
Aber vergebens ißt er Pfefferkuchen mit Obst und trinkt Weißbier in fabel¬
haften Quantitäten, er hat zwar furchtbare Bauchschmerzen, aber der Stein
will ihm nicht abgehen. So findet ihn der Bauer und schleppt ihn zum
Richter. Der Richter hat die Publication des Hoff über den gestohlenen
Diamanten vor sich, er muß ihn haben, aber wie soll man dazu kommen?
Ein anwesender Arzt, der heimlich den Stein für sich selbst behalten will,
schlägt vor, dem Juden den Leib aufzuschneiden. Und so soll es geschehen,
die chirurgischen Instrumente werden herbeigeschafft und mittlerweile der Jude
in's Gefängniß abgeführt. Der Schließer meint, ich kann den Stein eben
so gut haben, er entführt also den Juden, um ihn unterwegs zu erschlagen
und ihm den Stein ans dem Magen zu nehmen. Aber dem Juden wird
Plötzlich unwohl, er geht hinter einen Baum und tritt jubelnd hervor: da
ist der Stein! Der Schließer nimmt ihn und entflieht. Der Jude wird
jetzt von seinen Verfolgern — dem Bauer, dem Arzt, dem Amtmann, zu
denen sich jetzt auch der Bräutigam der Prinzessin gesellt hat — ereilt, sie
wolle»; ihm eben schneiden, da kommt der Schließer dazu, der von einem


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[0518] sition daraus geworden. Da dieses Stück weniger bekannt ist als die frü¬ hern, so will ich hier seinen Inhalt angeben. Zu den Zeiten des Kaisers Barbarossa überreichte ein Geist in der Gestalt eines alten Invaliden dein Ahnherrn des "scheu Königshauses einen Diamant, mit der Erklärung, er werde ihn von dem Letzten des Hauses wieder abholen. Es war also gleich¬ sam der Talisman der Familie und wurde stets der ältesten Tochter des Königs zur Aufbewahrung anvertraut. Der jetzt regierende König hat nur eine Tochter, die somnambul und nervenschwach ist. Diese wird von einem alten Invaliden angebettelt, erschrickt, glaubt den Geist ihres Ahnherrn zu sehen, wirft ihm den Diamanten zu und bildet sich uun ein, sie sei die Letzte ihres Hauses, sie müsse bald sterben oder sie sei schon gestorben. Vergebens stellt man ihr einen liebenswürdigen Prinzen vor, der sie curiren soll; die Mondsüchtige bleibt wahnsinnig — aber es ist ein milder, eleganter Wahnsinn — und der König, der halb und halb doch selbst an die Erscheinung glaubt, setzt einen Preis für denjenigen ans, der ihm den Diamant wiederbringt, um durch das Wiederfinden desselben die Nichtigkeit des Gespenstes nachzuweisen. Jener Invalide bettelt sich von Dorf zu Dorf, bis er endlich zu einem armen Bauern kommt, der' ihn gastlich aufnimmt. Bei diesem stirbt er. Der Bauer findet den Stein, weiß ihn nicht zu schätzen, und ruft eiuen Juden herein; dieser bietet ihm eiuen Thaler. Der Bauer merkt uun, daß mehr dahinter sein müsse, und verlangt 100 Thlr. Der Jude hat nicht so viel; er stiehlt den Stein, verschluckt ihn, um sicher zu gehen, und entflicht. Aber vergebens ißt er Pfefferkuchen mit Obst und trinkt Weißbier in fabel¬ haften Quantitäten, er hat zwar furchtbare Bauchschmerzen, aber der Stein will ihm nicht abgehen. So findet ihn der Bauer und schleppt ihn zum Richter. Der Richter hat die Publication des Hoff über den gestohlenen Diamanten vor sich, er muß ihn haben, aber wie soll man dazu kommen? Ein anwesender Arzt, der heimlich den Stein für sich selbst behalten will, schlägt vor, dem Juden den Leib aufzuschneiden. Und so soll es geschehen, die chirurgischen Instrumente werden herbeigeschafft und mittlerweile der Jude in's Gefängniß abgeführt. Der Schließer meint, ich kann den Stein eben so gut haben, er entführt also den Juden, um ihn unterwegs zu erschlagen und ihm den Stein ans dem Magen zu nehmen. Aber dem Juden wird Plötzlich unwohl, er geht hinter einen Baum und tritt jubelnd hervor: da ist der Stein! Der Schließer nimmt ihn und entflieht. Der Jude wird jetzt von seinen Verfolgern — dem Bauer, dem Arzt, dem Amtmann, zu denen sich jetzt auch der Bräutigam der Prinzessin gesellt hat — ereilt, sie wolle»; ihm eben schneiden, da kommt der Schließer dazu, der von einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/518>, abgerufen am 22.07.2024.