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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Das nennt man hier zu Lande Handlung, denn, wie es Leute gemig
gibt, die Firniß für Farbenglanz nehmen, so sind auch diejenigen nicht selten,
die Begebenheiten mit Handlung verwechseln. Durch die Verwicklung des
Dramas, der ich hier unmöglich streng folgen kann, erfahren der Baron
Hofmann (so heißt nämlich der ehemalige Mondscheinmörder) und seine
würdige Tochter, daß das Kind nicht todt, sondern blos versteckt sei;
sie wenden sich also von Neuem mit klingenden Empfehlungen an Mad.
Polard und bringen sie dahin, den Mord vermittelst Versenkung des Kindes
in einen Brunnen wirklich zu begehen, und die arme Mit. Marie als die
abscheuliche Thäterin anzugeben. Auf der anderen Seite hat der Lumpen¬
sammler in Erfahrung gebracht, daß dieselbe Mad. Polard die zehntausend
Franken verloren hat, aber auch von der geheimen Industrie dieser ehren¬
werthen Dame einige Kunde erhalten und durch geschickte Benutzung ihrer
Geldsucht ihr wichtige Geheimnisse und inhaltsschwere Papiere entlockt.
Mit denselben rückt er nun dem Herrn Baron Hofmann, den sie betreffen
und bedrohen, zu Leibe, dieser aber erinnert sich, nachdem er den ehemaligen
Leidensgefährten erkannt hat, der Libationen die Maitre Jean dem Gott
Bacchus zu bringen die fromme Gewohnheit hatte. Jean hatte nun freilich,
seitdem er der machtlose Zeuge des schrecklichen Mordes, der im Anfang des
Stückes vorkommt, gewesen war, diesem Cultus durch einen feierlichen
Schwur entsagt und sich auch zwanzig Jahre lang mit Wasser, und Brod
begnügt, aber die Bedienten des Baron Hofmann bringen es durch eine ge"
schickte Steigerung verlockender Flüssigkeiten vom einfachen, bescheidenen
Medoc bis zum Jamaica Rum dahin, ihn wieder einmal ans der Fassung
M bringen, und, sowie er seiner Füße nicht mehr mächtig ist, wird er ge¬
packt, seiner Papiere beraubt, und mit Hilfe dieser Papiere, die alles Mög¬
liche enthalten, als der Thäter des vor zwanzig Jahren verübten Todschlags
ausgegeben. So wäre denn die tugendhafte Marie des Kindmords be¬
schuldigt und der edle Lumpensammler angeklagt den Kassendieuer Didier --
Mariens-Vater! -- umgebracht zu haben. Allein man sei unbesorgt, die
Tugend siegt immer im Melodram. Jean wird verhört, allein er weiß durch
seine Beredsamkeit den Untersuchungsrichter zu bewegen, daß er dreißigtau¬
send Franken zu dem Behufe vorschießt und damit in Beisein eines verklei¬
deten Polizeiagenten der besagten Mad. Polard neue Papiere abschwatzt,
die den Baron Hofmann, feinde Tochter, die schon den Jungfernkranz in den
Haaren den Gang zum Traualtar beginne" will und die schändliche Mad.
Polard entlarvt und alle drei den Gerichten überliefert. Dafür erhält Mit.
Marie die Hand eines jungen und reichen Herrn den sie auf dem Ball


Grenjboten II. 1847. K3

Das nennt man hier zu Lande Handlung, denn, wie es Leute gemig
gibt, die Firniß für Farbenglanz nehmen, so sind auch diejenigen nicht selten,
die Begebenheiten mit Handlung verwechseln. Durch die Verwicklung des
Dramas, der ich hier unmöglich streng folgen kann, erfahren der Baron
Hofmann (so heißt nämlich der ehemalige Mondscheinmörder) und seine
würdige Tochter, daß das Kind nicht todt, sondern blos versteckt sei;
sie wenden sich also von Neuem mit klingenden Empfehlungen an Mad.
Polard und bringen sie dahin, den Mord vermittelst Versenkung des Kindes
in einen Brunnen wirklich zu begehen, und die arme Mit. Marie als die
abscheuliche Thäterin anzugeben. Auf der anderen Seite hat der Lumpen¬
sammler in Erfahrung gebracht, daß dieselbe Mad. Polard die zehntausend
Franken verloren hat, aber auch von der geheimen Industrie dieser ehren¬
werthen Dame einige Kunde erhalten und durch geschickte Benutzung ihrer
Geldsucht ihr wichtige Geheimnisse und inhaltsschwere Papiere entlockt.
Mit denselben rückt er nun dem Herrn Baron Hofmann, den sie betreffen
und bedrohen, zu Leibe, dieser aber erinnert sich, nachdem er den ehemaligen
Leidensgefährten erkannt hat, der Libationen die Maitre Jean dem Gott
Bacchus zu bringen die fromme Gewohnheit hatte. Jean hatte nun freilich,
seitdem er der machtlose Zeuge des schrecklichen Mordes, der im Anfang des
Stückes vorkommt, gewesen war, diesem Cultus durch einen feierlichen
Schwur entsagt und sich auch zwanzig Jahre lang mit Wasser, und Brod
begnügt, aber die Bedienten des Baron Hofmann bringen es durch eine ge»
schickte Steigerung verlockender Flüssigkeiten vom einfachen, bescheidenen
Medoc bis zum Jamaica Rum dahin, ihn wieder einmal ans der Fassung
M bringen, und, sowie er seiner Füße nicht mehr mächtig ist, wird er ge¬
packt, seiner Papiere beraubt, und mit Hilfe dieser Papiere, die alles Mög¬
liche enthalten, als der Thäter des vor zwanzig Jahren verübten Todschlags
ausgegeben. So wäre denn die tugendhafte Marie des Kindmords be¬
schuldigt und der edle Lumpensammler angeklagt den Kassendieuer Didier —
Mariens-Vater! — umgebracht zu haben. Allein man sei unbesorgt, die
Tugend siegt immer im Melodram. Jean wird verhört, allein er weiß durch
seine Beredsamkeit den Untersuchungsrichter zu bewegen, daß er dreißigtau¬
send Franken zu dem Behufe vorschießt und damit in Beisein eines verklei¬
deten Polizeiagenten der besagten Mad. Polard neue Papiere abschwatzt,
die den Baron Hofmann, feinde Tochter, die schon den Jungfernkranz in den
Haaren den Gang zum Traualtar beginne» will und die schändliche Mad.
Polard entlarvt und alle drei den Gerichten überliefert. Dafür erhält Mit.
Marie die Hand eines jungen und reichen Herrn den sie auf dem Ball


Grenjboten II. 1847. K3
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[0489] Das nennt man hier zu Lande Handlung, denn, wie es Leute gemig gibt, die Firniß für Farbenglanz nehmen, so sind auch diejenigen nicht selten, die Begebenheiten mit Handlung verwechseln. Durch die Verwicklung des Dramas, der ich hier unmöglich streng folgen kann, erfahren der Baron Hofmann (so heißt nämlich der ehemalige Mondscheinmörder) und seine würdige Tochter, daß das Kind nicht todt, sondern blos versteckt sei; sie wenden sich also von Neuem mit klingenden Empfehlungen an Mad. Polard und bringen sie dahin, den Mord vermittelst Versenkung des Kindes in einen Brunnen wirklich zu begehen, und die arme Mit. Marie als die abscheuliche Thäterin anzugeben. Auf der anderen Seite hat der Lumpen¬ sammler in Erfahrung gebracht, daß dieselbe Mad. Polard die zehntausend Franken verloren hat, aber auch von der geheimen Industrie dieser ehren¬ werthen Dame einige Kunde erhalten und durch geschickte Benutzung ihrer Geldsucht ihr wichtige Geheimnisse und inhaltsschwere Papiere entlockt. Mit denselben rückt er nun dem Herrn Baron Hofmann, den sie betreffen und bedrohen, zu Leibe, dieser aber erinnert sich, nachdem er den ehemaligen Leidensgefährten erkannt hat, der Libationen die Maitre Jean dem Gott Bacchus zu bringen die fromme Gewohnheit hatte. Jean hatte nun freilich, seitdem er der machtlose Zeuge des schrecklichen Mordes, der im Anfang des Stückes vorkommt, gewesen war, diesem Cultus durch einen feierlichen Schwur entsagt und sich auch zwanzig Jahre lang mit Wasser, und Brod begnügt, aber die Bedienten des Baron Hofmann bringen es durch eine ge» schickte Steigerung verlockender Flüssigkeiten vom einfachen, bescheidenen Medoc bis zum Jamaica Rum dahin, ihn wieder einmal ans der Fassung M bringen, und, sowie er seiner Füße nicht mehr mächtig ist, wird er ge¬ packt, seiner Papiere beraubt, und mit Hilfe dieser Papiere, die alles Mög¬ liche enthalten, als der Thäter des vor zwanzig Jahren verübten Todschlags ausgegeben. So wäre denn die tugendhafte Marie des Kindmords be¬ schuldigt und der edle Lumpensammler angeklagt den Kassendieuer Didier — Mariens-Vater! — umgebracht zu haben. Allein man sei unbesorgt, die Tugend siegt immer im Melodram. Jean wird verhört, allein er weiß durch seine Beredsamkeit den Untersuchungsrichter zu bewegen, daß er dreißigtau¬ send Franken zu dem Behufe vorschießt und damit in Beisein eines verklei¬ deten Polizeiagenten der besagten Mad. Polard neue Papiere abschwatzt, die den Baron Hofmann, feinde Tochter, die schon den Jungfernkranz in den Haaren den Gang zum Traualtar beginne» will und die schändliche Mad. Polard entlarvt und alle drei den Gerichten überliefert. Dafür erhält Mit. Marie die Hand eines jungen und reichen Herrn den sie auf dem Ball Grenjboten II. 1847. K3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/489>, abgerufen am 22.07.2024.