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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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men wie es ist und sich nicht abplagen, um besser zu sein als die Welt, auf
dem besten Fuß steht. Sie hat eben spät in die Nacht hineingewacht, um
ein Ballkleid fertig zu machen, sich dann durch eine verzeihliche Lanne verlei¬
ten lassen, das Kleid am eignen Leibe anznprobiren, sich im Spiegel damit
zu besehen und daran allerlei Träume zu knüpfen. Sie sieht sich schon im
reichen Anzuge und vornehmen Wagen von theuren Pferden durch die Champs
Elys,-es nach dein Bonlogncholz gezogen, von Bedienten mit glänzenden Livreen
umgeben, sie wandelt auf kostbarem Teppich, Jedermann macht ihr den Hof,
kurz sie hat Alles was Frauen wünsche". Mitten in diesem schönen, aber
für eine so sittsame Person etwas kühnen Traum erscheint ein Schwarm tol¬
ler Dirnen im Maskenballgewande, die Dem. Marie lärmend einladen, mit
ihnen auf den Ball zu gehen. Sie widerstrebt eine Minute, läßt sich aber
dann mit fortreißen, nud dasselbe Kleid, das sie für eine große Dame gefer¬
tigt, aber in einem Moment des Schwindels selbst angelegt hatte, trägt sie
in unheilvollen Leichtsinn auf den Ball.'

Während ihrer Abwesenheit erscheint ein weibliches, geheimnisvolles
Wesen, dringt in ihr Zimmer und legt in das Nebenkämmerchen ein Bündel
nieder, das, wie ein melodramenknndigeö Publikum leicht erräth, ein neu-
gebornes Kind enthält. Beim Fortgehen bemerkt aber die Unterbringcnn
daß sie Etwas verloren, sie sucht eine Zeit lang hin und her, kein Mensch
weiß was; endlich geht, eilt sie ganz verzweifelt weg, um das Verlorene auf
der Straße zu suchen. Während der Zeit war Mit. Marie mit ihren Gc-
Mchafteriuueu nach dem Ball in ein fashivnables Kaffeehaus gerathen. Es
war ihr von dem wildeu Treiben ganz wüst und dumm geworden, ein furcht¬
barer Ekel hat sie ergrissen und das zwanglose Auftreten der jungen Män¬
ner gegen sie, hatte sie ganz anßer sich gebracht. Sie hatte auf die unge-
bändigten Löwen, unter die sie gefallen war, einen sehr appetitlichen Ein¬
druck gemacht, und durch die ZudriugUchkciteu eines derselben, war das nicht
ihr gehörige Kleid auf eiuer Seite verletzt worden, daß eine Vertuschung
des angerichteten Schadens dnrch keine Kunst möglich schien. Bestürzt und
beängstigt flieht sie den Ort des Aergernisses und der Gefahr, um ihre stille
Kammer wieder zu gewinnen. Gedanken des Selbstmords ergreifen ihre
Seele und wir scheu einer Katastrophe mit nicht geringer Bangigkeit ent¬
gegen. Unterdessen hat der biedere Jean seine nächtliche Rundreise voll¬
endet, ist heimgekommen und beginnt, eh' er sich zur Ruhe legt, das In¬
ventar seines Lumpcnkorbs. Daraus entspringt ein Monolog in dem alle
Abfälle des Pariser Lebens aufgezählt, alle Preciosen die sich in den Koth-
haufen der bunten Hauptstadt vorfinden, werden einer satyrischen Kritik um-


men wie es ist und sich nicht abplagen, um besser zu sein als die Welt, auf
dem besten Fuß steht. Sie hat eben spät in die Nacht hineingewacht, um
ein Ballkleid fertig zu machen, sich dann durch eine verzeihliche Lanne verlei¬
ten lassen, das Kleid am eignen Leibe anznprobiren, sich im Spiegel damit
zu besehen und daran allerlei Träume zu knüpfen. Sie sieht sich schon im
reichen Anzuge und vornehmen Wagen von theuren Pferden durch die Champs
Elys,-es nach dein Bonlogncholz gezogen, von Bedienten mit glänzenden Livreen
umgeben, sie wandelt auf kostbarem Teppich, Jedermann macht ihr den Hof,
kurz sie hat Alles was Frauen wünsche». Mitten in diesem schönen, aber
für eine so sittsame Person etwas kühnen Traum erscheint ein Schwarm tol¬
ler Dirnen im Maskenballgewande, die Dem. Marie lärmend einladen, mit
ihnen auf den Ball zu gehen. Sie widerstrebt eine Minute, läßt sich aber
dann mit fortreißen, nud dasselbe Kleid, das sie für eine große Dame gefer¬
tigt, aber in einem Moment des Schwindels selbst angelegt hatte, trägt sie
in unheilvollen Leichtsinn auf den Ball.'

Während ihrer Abwesenheit erscheint ein weibliches, geheimnisvolles
Wesen, dringt in ihr Zimmer und legt in das Nebenkämmerchen ein Bündel
nieder, das, wie ein melodramenknndigeö Publikum leicht erräth, ein neu-
gebornes Kind enthält. Beim Fortgehen bemerkt aber die Unterbringcnn
daß sie Etwas verloren, sie sucht eine Zeit lang hin und her, kein Mensch
weiß was; endlich geht, eilt sie ganz verzweifelt weg, um das Verlorene auf
der Straße zu suchen. Während der Zeit war Mit. Marie mit ihren Gc-
Mchafteriuueu nach dem Ball in ein fashivnables Kaffeehaus gerathen. Es
war ihr von dem wildeu Treiben ganz wüst und dumm geworden, ein furcht¬
barer Ekel hat sie ergrissen und das zwanglose Auftreten der jungen Män¬
ner gegen sie, hatte sie ganz anßer sich gebracht. Sie hatte auf die unge-
bändigten Löwen, unter die sie gefallen war, einen sehr appetitlichen Ein¬
druck gemacht, und durch die ZudriugUchkciteu eines derselben, war das nicht
ihr gehörige Kleid auf eiuer Seite verletzt worden, daß eine Vertuschung
des angerichteten Schadens dnrch keine Kunst möglich schien. Bestürzt und
beängstigt flieht sie den Ort des Aergernisses und der Gefahr, um ihre stille
Kammer wieder zu gewinnen. Gedanken des Selbstmords ergreifen ihre
Seele und wir scheu einer Katastrophe mit nicht geringer Bangigkeit ent¬
gegen. Unterdessen hat der biedere Jean seine nächtliche Rundreise voll¬
endet, ist heimgekommen und beginnt, eh' er sich zur Ruhe legt, das In¬
ventar seines Lumpcnkorbs. Daraus entspringt ein Monolog in dem alle
Abfälle des Pariser Lebens aufgezählt, alle Preciosen die sich in den Koth-
haufen der bunten Hauptstadt vorfinden, werden einer satyrischen Kritik um-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/487>, abgerufen am 22.07.2024.