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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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wird, die Zustimmung aller Freisinnigen, aber hier wie dort stoßen die Praxis-
Vorschläge der genannten Pri'licistcn auf großen Widerspruch. In Preußen ist
man mit dem "Ablehnen" der neuen landständischen Ordnung, die Heinrich .
Simon beantragt, nicht einverstanden, wahrend man hier mit dem "Annehmen"
oder vielmehr mit dein Wiederaufnehmen der alten landständischen Verfassung kei¬
neswegs allgemein sich befreunden will. Beide Schriften aber sind gleich wichtig
und folgereich wegen der Anregung, die sie bis in die weitesten Kreise hin ver
breiten.

Vor einigen Tagen brannte der Bahnhof in Gänscrndors. zweite Station
von Wien, ab; während des Brandes wurde die Kasse erbrochen und nahe an
2000 Fi. daraus entwendet; es scheint, daß der Brand zu diesem Zweck ange¬
legt war. Ebenso geht uns die Nachricht von einem verheerenden Brande in
Moll, fünf Poststationen von Wien zu; zum Glück ist das auf einer Hohe lie¬
gende Benedictinerkloster, in welchem Michael Ent sein trauriges Ende fand, ver¬
schont geblieben, und das reiche Stift wird gewiß nicht zögern, die plötzlich her-
eingebrochene Noth zu dämmen.

Aus Prag hört man, daß der Erzherzog Stephan, der dieser Tage dorthin
-zurückgekehrt ist, mit großem Enthusiasmus ausgenommen wurde. Als Nachfolger
des Grafen Deym, durch dessen neue Stellung in Krakau der Posten eines Stadt-
hauptmannS und Polizeidirectors in Prag erledigt wurde, bezeichnet man den
Grafen Robert Wradislaw, bisherigen Gubernialrath und Sccrctnir des Erzher¬
zogs Stephan.

Der hiesige Büchermarkt wurde durch den Doctor Ignaz Franz Castelli, jetzt
auch Präsident des Antithicrqnälcrvereins, mit einem Wörterbuch der niedern öster¬
reichischen Dialectsprachc vermehrt; es findet großen Absatz, weil der österreichische
Anakreon Wörter darin aufgenommen hat, die man selbst in schlechter Gesellschaft
ans väterlichem Schamgefühl selten zu hören bekommt; es muß eine unglaubliche
Wonne für einen Dichter sein, dergleichen niederzuschreiben. Gegen den Druck
sollte sich das Anstandsgefühl bäumen. Aber das Buch findet eben darum guten
Absatz, weil bei Hrn. Castelli sich nichts bäumte. Ein entschieden besseres Ver¬
dienst hat er sich dnrch die Gründung des obengenannten Vereins erworben. Der
alle Zeit fertige Wiener Witz erzählt, daß der Pegasus bereits eine Dankadresse
dafür eingereicht habe, daß Hr. Castelli ihm nicht mehr besteigen werde. Der
alte Herr ist übrigens Humorist genug, um sich über derlei Witze nicht zu ärgern.


" -- o
IV.
Graf Rudolf Stadion.

Als die tausend verschiedenartigen Wirren und Unruhen in Polen es nöthig
machten, irgend thatkräftig einzuwirken, damit der ausgebrochene Brand nicht mit
Blitzesschnelle das ganze Land verheere, sandte man den jüngern Stadion als
kaiserlichen Kommissär in dieses Labyrinth von Verschwörungen und glaubte da¬
mit genug gethan zu haben. Allerdings war es etwas, daß man zu dieser Sen-


wird, die Zustimmung aller Freisinnigen, aber hier wie dort stoßen die Praxis-
Vorschläge der genannten Pri'licistcn auf großen Widerspruch. In Preußen ist
man mit dem „Ablehnen" der neuen landständischen Ordnung, die Heinrich .
Simon beantragt, nicht einverstanden, wahrend man hier mit dem „Annehmen"
oder vielmehr mit dein Wiederaufnehmen der alten landständischen Verfassung kei¬
neswegs allgemein sich befreunden will. Beide Schriften aber sind gleich wichtig
und folgereich wegen der Anregung, die sie bis in die weitesten Kreise hin ver
breiten.

Vor einigen Tagen brannte der Bahnhof in Gänscrndors. zweite Station
von Wien, ab; während des Brandes wurde die Kasse erbrochen und nahe an
2000 Fi. daraus entwendet; es scheint, daß der Brand zu diesem Zweck ange¬
legt war. Ebenso geht uns die Nachricht von einem verheerenden Brande in
Moll, fünf Poststationen von Wien zu; zum Glück ist das auf einer Hohe lie¬
gende Benedictinerkloster, in welchem Michael Ent sein trauriges Ende fand, ver¬
schont geblieben, und das reiche Stift wird gewiß nicht zögern, die plötzlich her-
eingebrochene Noth zu dämmen.

Aus Prag hört man, daß der Erzherzog Stephan, der dieser Tage dorthin
-zurückgekehrt ist, mit großem Enthusiasmus ausgenommen wurde. Als Nachfolger
des Grafen Deym, durch dessen neue Stellung in Krakau der Posten eines Stadt-
hauptmannS und Polizeidirectors in Prag erledigt wurde, bezeichnet man den
Grafen Robert Wradislaw, bisherigen Gubernialrath und Sccrctnir des Erzher¬
zogs Stephan.

Der hiesige Büchermarkt wurde durch den Doctor Ignaz Franz Castelli, jetzt
auch Präsident des Antithicrqnälcrvereins, mit einem Wörterbuch der niedern öster¬
reichischen Dialectsprachc vermehrt; es findet großen Absatz, weil der österreichische
Anakreon Wörter darin aufgenommen hat, die man selbst in schlechter Gesellschaft
ans väterlichem Schamgefühl selten zu hören bekommt; es muß eine unglaubliche
Wonne für einen Dichter sein, dergleichen niederzuschreiben. Gegen den Druck
sollte sich das Anstandsgefühl bäumen. Aber das Buch findet eben darum guten
Absatz, weil bei Hrn. Castelli sich nichts bäumte. Ein entschieden besseres Ver¬
dienst hat er sich dnrch die Gründung des obengenannten Vereins erworben. Der
alle Zeit fertige Wiener Witz erzählt, daß der Pegasus bereits eine Dankadresse
dafür eingereicht habe, daß Hr. Castelli ihm nicht mehr besteigen werde. Der
alte Herr ist übrigens Humorist genug, um sich über derlei Witze nicht zu ärgern.


» — o
IV.
Graf Rudolf Stadion.

Als die tausend verschiedenartigen Wirren und Unruhen in Polen es nöthig
machten, irgend thatkräftig einzuwirken, damit der ausgebrochene Brand nicht mit
Blitzesschnelle das ganze Land verheere, sandte man den jüngern Stadion als
kaiserlichen Kommissär in dieses Labyrinth von Verschwörungen und glaubte da¬
mit genug gethan zu haben. Allerdings war es etwas, daß man zu dieser Sen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/45>, abgerufen am 24.08.2024.