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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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i.
Die Pariser Kunstausstellung.

Der diesjährige Salon enthält wenig Bemerkenswerthes, und der Fremde,
der den Zustand der bildenden Künste in Frankreich nach dem Specimen der heu¬
rigen Ausstellung beurtheilen würde, käme in den Fall ein strenges, aber auch
ungerechtes Urtheil zu fällen. Das Bild, das bei dem Eintritt in die Räume,
wo die Neuigkeiten zusammengedrängt sind, dem Zuschauer von selbst sich dar¬
stellt und daher nicht mir am Meisten kritisirt, sondern anch am Meisten besprochen
wurde, ist Couture's "Römische Orgie." Der Verfasser dieses Produktes, das man
füglicher eiuen römischen Katzenjammer nennen könnte, hatte sich vor einigen Jah¬
ren durch ein Staffeleigemälde vielen Beifall erworben; es war dies eine Art
gemalter Polemik gegen den Durst nach Gold, wie sie jeder achtzehnjährige
Reimschmied oder gesinnungstüchtige Jvunial - Montesquieu zu führen sich be¬
müßigt glaubt; aber abgesehen von dem abgeriebenen Thema, verdiente die Lei¬
stung einen Theil des Lobes, das ihr gespendet ward. Durch die Theilnahme
des Publikums aufgemuntert, hat sich Cvuture denn von Neuem an das fromme
Werk gemacht, stieg zum zweiten oder gar dritten Male auf die Moralkan¬
zel und hat so ein sehr trübseliges und eintöniges Nachtstück an's Licht der
Welt gebracht. Der geniale Künstler huldigt nämlich der Abschrccknngsthcorie;
er will uns zeigen, daß es nichts Widerlicheres und Langweiligeres gäbe, als so
eine gemeinschaftliche Liederlichkeit, und diesen Zweck hat er vollständig erreicht.
Da liegen ein Paar Dutzend Individuen -- für ein Paar Mehr oder Weniger
steh' ich nicht ein -- beiderlei Geschlechts in solchen Stellungen untereinander,
daß kein großer Scharfsinn dazu gehört, um zu errathen, daß sie sich mit
allen erdenklichen Ergötzlichkeiten die Zeit vertrieben. Es ist fünf Uhr Mor¬
gens, Herren und Damen sind lendenlahm und frendcnmüde, und ob auch
ewige von ihnen noch den guten Willen haben, die Scenen zu erneuern, so
sieht man ihnen doch die Sättigung und den Ueberdruß nur zu deutlich an.
Ein junger Mensch mit einem Kranz auf dem Haupt, offenbar ein angehender


Grenzboten. II. 1S47.
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Die Pariser Kunstausstellung.

Der diesjährige Salon enthält wenig Bemerkenswerthes, und der Fremde,
der den Zustand der bildenden Künste in Frankreich nach dem Specimen der heu¬
rigen Ausstellung beurtheilen würde, käme in den Fall ein strenges, aber auch
ungerechtes Urtheil zu fällen. Das Bild, das bei dem Eintritt in die Räume,
wo die Neuigkeiten zusammengedrängt sind, dem Zuschauer von selbst sich dar¬
stellt und daher nicht mir am Meisten kritisirt, sondern anch am Meisten besprochen
wurde, ist Couture's „Römische Orgie." Der Verfasser dieses Produktes, das man
füglicher eiuen römischen Katzenjammer nennen könnte, hatte sich vor einigen Jah¬
ren durch ein Staffeleigemälde vielen Beifall erworben; es war dies eine Art
gemalter Polemik gegen den Durst nach Gold, wie sie jeder achtzehnjährige
Reimschmied oder gesinnungstüchtige Jvunial - Montesquieu zu führen sich be¬
müßigt glaubt; aber abgesehen von dem abgeriebenen Thema, verdiente die Lei¬
stung einen Theil des Lobes, das ihr gespendet ward. Durch die Theilnahme
des Publikums aufgemuntert, hat sich Cvuture denn von Neuem an das fromme
Werk gemacht, stieg zum zweiten oder gar dritten Male auf die Moralkan¬
zel und hat so ein sehr trübseliges und eintöniges Nachtstück an's Licht der
Welt gebracht. Der geniale Künstler huldigt nämlich der Abschrccknngsthcorie;
er will uns zeigen, daß es nichts Widerlicheres und Langweiligeres gäbe, als so
eine gemeinschaftliche Liederlichkeit, und diesen Zweck hat er vollständig erreicht.
Da liegen ein Paar Dutzend Individuen — für ein Paar Mehr oder Weniger
steh' ich nicht ein — beiderlei Geschlechts in solchen Stellungen untereinander,
daß kein großer Scharfsinn dazu gehört, um zu errathen, daß sie sich mit
allen erdenklichen Ergötzlichkeiten die Zeit vertrieben. Es ist fünf Uhr Mor¬
gens, Herren und Damen sind lendenlahm und frendcnmüde, und ob auch
ewige von ihnen noch den guten Willen haben, die Scenen zu erneuern, so
sieht man ihnen doch die Sättigung und den Ueberdruß nur zu deutlich an.
Ein junger Mensch mit einem Kranz auf dem Haupt, offenbar ein angehender


Grenzboten. II. 1S47.
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[0449] T A g e b u rh. i. Die Pariser Kunstausstellung. Der diesjährige Salon enthält wenig Bemerkenswerthes, und der Fremde, der den Zustand der bildenden Künste in Frankreich nach dem Specimen der heu¬ rigen Ausstellung beurtheilen würde, käme in den Fall ein strenges, aber auch ungerechtes Urtheil zu fällen. Das Bild, das bei dem Eintritt in die Räume, wo die Neuigkeiten zusammengedrängt sind, dem Zuschauer von selbst sich dar¬ stellt und daher nicht mir am Meisten kritisirt, sondern anch am Meisten besprochen wurde, ist Couture's „Römische Orgie." Der Verfasser dieses Produktes, das man füglicher eiuen römischen Katzenjammer nennen könnte, hatte sich vor einigen Jah¬ ren durch ein Staffeleigemälde vielen Beifall erworben; es war dies eine Art gemalter Polemik gegen den Durst nach Gold, wie sie jeder achtzehnjährige Reimschmied oder gesinnungstüchtige Jvunial - Montesquieu zu führen sich be¬ müßigt glaubt; aber abgesehen von dem abgeriebenen Thema, verdiente die Lei¬ stung einen Theil des Lobes, das ihr gespendet ward. Durch die Theilnahme des Publikums aufgemuntert, hat sich Cvuture denn von Neuem an das fromme Werk gemacht, stieg zum zweiten oder gar dritten Male auf die Moralkan¬ zel und hat so ein sehr trübseliges und eintöniges Nachtstück an's Licht der Welt gebracht. Der geniale Künstler huldigt nämlich der Abschrccknngsthcorie; er will uns zeigen, daß es nichts Widerlicheres und Langweiligeres gäbe, als so eine gemeinschaftliche Liederlichkeit, und diesen Zweck hat er vollständig erreicht. Da liegen ein Paar Dutzend Individuen — für ein Paar Mehr oder Weniger steh' ich nicht ein — beiderlei Geschlechts in solchen Stellungen untereinander, daß kein großer Scharfsinn dazu gehört, um zu errathen, daß sie sich mit allen erdenklichen Ergötzlichkeiten die Zeit vertrieben. Es ist fünf Uhr Mor¬ gens, Herren und Damen sind lendenlahm und frendcnmüde, und ob auch ewige von ihnen noch den guten Willen haben, die Scenen zu erneuern, so sieht man ihnen doch die Sättigung und den Ueberdruß nur zu deutlich an. Ein junger Mensch mit einem Kranz auf dem Haupt, offenbar ein angehender Grenzboten. II. 1S47.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/449>, abgerufen am 22.07.2024.