Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

haste Aufregung der Nerven, durch eine heraudrvheude Gefahr, durch einen
Schrecken herbeigeführt wird; der Reiz des Schwindels , des Grauens, und
zwar im Moralischen wie im Physischen. Ich führe davon die grandiose
Schilderung der Nacht an, welche ein kühner Wagehals auf dem Kreuz der
Se. Petersknppel zubringt (in der Novelle: "der Zwerg"); den Waldbrand;
das Abentheuer in dem Grotteulabyrinth. Diese Virtuosität hat immer
etwas .Krankhaftes, wie die Zustände, an denen sie sich ausübt; aber man
muß bekennen, der Dichter kennt die leise Empfänglichkeit der Seele gerade
in ihrem geheimen Regungen genau genug, um -- sie wirksam auf die Folter
spannen zu können. Wenn eine solche Nervenspannung aber nicht vor¬
waltet, so zerfließt die Erzählung ins Unbestimmte, nebelhafte; ja, in weit
höherem Grade als Jean Paul, sucht Schefer etwas darin, so undeutlich
als möglich zu erzählen, nnr dunkel anzudeuten, auzuspieleu, wo man eine
Schilderung erwartet, rasch und unvorbereitet in das Entlegenste überzu¬
springen. Diese Verwirrung erregt endlich vollständige Abspannung und
Langeweile; man legt das Buch gleichgültig aus der Hand, und hat in kur¬
zer Zeit vergessen, was man gelesen. Als Beispiele dieser sonderbaren, Kon¬
fusion führe ich "die Osternacht" und "den Seeleumarkt" an. Charakte¬
ristisch ist, daß vor der Novelle, deren Hauptheld Giordano Bruno ist, vor¬
her die Geschichte auszugsweise mitgetheilt wird, damit man sie nachher
verstehen kaun. Zuweilen wird die Erzählung durch ein Scheingefecht von
Sittensprüchen, in antikem Styl, in Trimctern unterbrochen (z. B. "die
Pflegetochter"), aber diese Sprüche sind aus der Reflexion genommen und
in der Regel so allgemein gehalten, daß nur durch die Paradoxie der Form,
durch eine wichtige Miene, wie sie Goethe in seiner letzten Periode anzu¬
nehmen pflegt, das Alltägliche zu einer künstlichen Bedeutsamkeit heraufge¬
schraubt wird.-

Diese Art der Erzählung liebt denn auch natürlich die Zustände halben
oder vollen Wahnsinns, der Trunkenheit, des physischen oder magnetischen
Schlafes, überhaupt dieser psychologischen Willkürlichkeiten , die deshalb rei¬
zen > weil mau kein Gesetz für sie auffinden kann. Wie soll man bei den
despotischen Einfällen eines Pascha, eines byzantinischen Kaisers,, den Leit¬
faden herausfinden! Alle Finessen einer empfindsamen, romantischen Dichter-
seele werden an das Tageslicht gefordert,, die tausend Metamorphosen der
Liebe mit unermüdlicher Ausdauer verfolgt. Am Liebsten wühlt Schefer in
der Unergründlichkeit des weiblichen Herzens, wie ihm überhaupt das Weib
als die eigentlichste Menschwerdung der anonymen Gottheit erscheint. "Das
Weib ist der Verjüngungsquell, Weiber sind des Erdgeistes Fegefeuer!"


haste Aufregung der Nerven, durch eine heraudrvheude Gefahr, durch einen
Schrecken herbeigeführt wird; der Reiz des Schwindels , des Grauens, und
zwar im Moralischen wie im Physischen. Ich führe davon die grandiose
Schilderung der Nacht an, welche ein kühner Wagehals auf dem Kreuz der
Se. Petersknppel zubringt (in der Novelle: „der Zwerg"); den Waldbrand;
das Abentheuer in dem Grotteulabyrinth. Diese Virtuosität hat immer
etwas .Krankhaftes, wie die Zustände, an denen sie sich ausübt; aber man
muß bekennen, der Dichter kennt die leise Empfänglichkeit der Seele gerade
in ihrem geheimen Regungen genau genug, um — sie wirksam auf die Folter
spannen zu können. Wenn eine solche Nervenspannung aber nicht vor¬
waltet, so zerfließt die Erzählung ins Unbestimmte, nebelhafte; ja, in weit
höherem Grade als Jean Paul, sucht Schefer etwas darin, so undeutlich
als möglich zu erzählen, nnr dunkel anzudeuten, auzuspieleu, wo man eine
Schilderung erwartet, rasch und unvorbereitet in das Entlegenste überzu¬
springen. Diese Verwirrung erregt endlich vollständige Abspannung und
Langeweile; man legt das Buch gleichgültig aus der Hand, und hat in kur¬
zer Zeit vergessen, was man gelesen. Als Beispiele dieser sonderbaren, Kon¬
fusion führe ich „die Osternacht" und „den Seeleumarkt" an. Charakte¬
ristisch ist, daß vor der Novelle, deren Hauptheld Giordano Bruno ist, vor¬
her die Geschichte auszugsweise mitgetheilt wird, damit man sie nachher
verstehen kaun. Zuweilen wird die Erzählung durch ein Scheingefecht von
Sittensprüchen, in antikem Styl, in Trimctern unterbrochen (z. B. „die
Pflegetochter"), aber diese Sprüche sind aus der Reflexion genommen und
in der Regel so allgemein gehalten, daß nur durch die Paradoxie der Form,
durch eine wichtige Miene, wie sie Goethe in seiner letzten Periode anzu¬
nehmen pflegt, das Alltägliche zu einer künstlichen Bedeutsamkeit heraufge¬
schraubt wird.-

Diese Art der Erzählung liebt denn auch natürlich die Zustände halben
oder vollen Wahnsinns, der Trunkenheit, des physischen oder magnetischen
Schlafes, überhaupt dieser psychologischen Willkürlichkeiten , die deshalb rei¬
zen > weil mau kein Gesetz für sie auffinden kann. Wie soll man bei den
despotischen Einfällen eines Pascha, eines byzantinischen Kaisers,, den Leit¬
faden herausfinden! Alle Finessen einer empfindsamen, romantischen Dichter-
seele werden an das Tageslicht gefordert,, die tausend Metamorphosen der
Liebe mit unermüdlicher Ausdauer verfolgt. Am Liebsten wühlt Schefer in
der Unergründlichkeit des weiblichen Herzens, wie ihm überhaupt das Weib
als die eigentlichste Menschwerdung der anonymen Gottheit erscheint. „Das
Weib ist der Verjüngungsquell, Weiber sind des Erdgeistes Fegefeuer!"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0446" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/272345"/>
          <p xml:id="ID_1482" prev="#ID_1481"> haste Aufregung der Nerven, durch eine heraudrvheude Gefahr, durch einen<lb/>
Schrecken herbeigeführt wird; der Reiz des Schwindels , des Grauens, und<lb/>
zwar im Moralischen wie im Physischen. Ich führe davon die grandiose<lb/>
Schilderung der Nacht an, welche ein kühner Wagehals auf dem Kreuz der<lb/>
Se. Petersknppel zubringt (in der Novelle: &#x201E;der Zwerg"); den Waldbrand;<lb/>
das Abentheuer in dem Grotteulabyrinth. Diese Virtuosität hat immer<lb/>
etwas .Krankhaftes, wie die Zustände, an denen sie sich ausübt; aber man<lb/>
muß bekennen, der Dichter kennt die leise Empfänglichkeit der Seele gerade<lb/>
in ihrem geheimen Regungen genau genug, um &#x2014; sie wirksam auf die Folter<lb/>
spannen zu können. Wenn eine solche Nervenspannung aber nicht vor¬<lb/>
waltet, so zerfließt die Erzählung ins Unbestimmte, nebelhafte; ja, in weit<lb/>
höherem Grade als Jean Paul, sucht Schefer etwas darin, so undeutlich<lb/>
als möglich zu erzählen, nnr dunkel anzudeuten, auzuspieleu, wo man eine<lb/>
Schilderung erwartet, rasch und unvorbereitet in das Entlegenste überzu¬<lb/>
springen. Diese Verwirrung erregt endlich vollständige Abspannung und<lb/>
Langeweile; man legt das Buch gleichgültig aus der Hand, und hat in kur¬<lb/>
zer Zeit vergessen, was man gelesen. Als Beispiele dieser sonderbaren, Kon¬<lb/>
fusion führe ich &#x201E;die Osternacht" und &#x201E;den Seeleumarkt" an. Charakte¬<lb/>
ristisch ist, daß vor der Novelle, deren Hauptheld Giordano Bruno ist, vor¬<lb/>
her die Geschichte auszugsweise mitgetheilt wird, damit man sie nachher<lb/>
verstehen kaun. Zuweilen wird die Erzählung durch ein Scheingefecht von<lb/>
Sittensprüchen, in antikem Styl, in Trimctern unterbrochen (z. B. &#x201E;die<lb/>
Pflegetochter"), aber diese Sprüche sind aus der Reflexion genommen und<lb/>
in der Regel so allgemein gehalten, daß nur durch die Paradoxie der Form,<lb/>
durch eine wichtige Miene, wie sie Goethe in seiner letzten Periode anzu¬<lb/>
nehmen pflegt, das Alltägliche zu einer künstlichen Bedeutsamkeit heraufge¬<lb/>
schraubt wird.-</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1483" next="#ID_1484"> Diese Art der Erzählung liebt denn auch natürlich die Zustände halben<lb/>
oder vollen Wahnsinns, der Trunkenheit, des physischen oder magnetischen<lb/>
Schlafes, überhaupt dieser psychologischen Willkürlichkeiten , die deshalb rei¬<lb/>
zen &gt; weil mau kein Gesetz für sie auffinden kann. Wie soll man bei den<lb/>
despotischen Einfällen eines Pascha, eines byzantinischen Kaisers,, den Leit¬<lb/>
faden herausfinden! Alle Finessen einer empfindsamen, romantischen Dichter-<lb/>
seele werden an das Tageslicht gefordert,, die tausend Metamorphosen der<lb/>
Liebe mit unermüdlicher Ausdauer verfolgt. Am Liebsten wühlt Schefer in<lb/>
der Unergründlichkeit des weiblichen Herzens, wie ihm überhaupt das Weib<lb/>
als die eigentlichste Menschwerdung der anonymen Gottheit erscheint. &#x201E;Das<lb/>
Weib ist der Verjüngungsquell, Weiber sind des Erdgeistes Fegefeuer!"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0446] haste Aufregung der Nerven, durch eine heraudrvheude Gefahr, durch einen Schrecken herbeigeführt wird; der Reiz des Schwindels , des Grauens, und zwar im Moralischen wie im Physischen. Ich führe davon die grandiose Schilderung der Nacht an, welche ein kühner Wagehals auf dem Kreuz der Se. Petersknppel zubringt (in der Novelle: „der Zwerg"); den Waldbrand; das Abentheuer in dem Grotteulabyrinth. Diese Virtuosität hat immer etwas .Krankhaftes, wie die Zustände, an denen sie sich ausübt; aber man muß bekennen, der Dichter kennt die leise Empfänglichkeit der Seele gerade in ihrem geheimen Regungen genau genug, um — sie wirksam auf die Folter spannen zu können. Wenn eine solche Nervenspannung aber nicht vor¬ waltet, so zerfließt die Erzählung ins Unbestimmte, nebelhafte; ja, in weit höherem Grade als Jean Paul, sucht Schefer etwas darin, so undeutlich als möglich zu erzählen, nnr dunkel anzudeuten, auzuspieleu, wo man eine Schilderung erwartet, rasch und unvorbereitet in das Entlegenste überzu¬ springen. Diese Verwirrung erregt endlich vollständige Abspannung und Langeweile; man legt das Buch gleichgültig aus der Hand, und hat in kur¬ zer Zeit vergessen, was man gelesen. Als Beispiele dieser sonderbaren, Kon¬ fusion führe ich „die Osternacht" und „den Seeleumarkt" an. Charakte¬ ristisch ist, daß vor der Novelle, deren Hauptheld Giordano Bruno ist, vor¬ her die Geschichte auszugsweise mitgetheilt wird, damit man sie nachher verstehen kaun. Zuweilen wird die Erzählung durch ein Scheingefecht von Sittensprüchen, in antikem Styl, in Trimctern unterbrochen (z. B. „die Pflegetochter"), aber diese Sprüche sind aus der Reflexion genommen und in der Regel so allgemein gehalten, daß nur durch die Paradoxie der Form, durch eine wichtige Miene, wie sie Goethe in seiner letzten Periode anzu¬ nehmen pflegt, das Alltägliche zu einer künstlichen Bedeutsamkeit heraufge¬ schraubt wird.- Diese Art der Erzählung liebt denn auch natürlich die Zustände halben oder vollen Wahnsinns, der Trunkenheit, des physischen oder magnetischen Schlafes, überhaupt dieser psychologischen Willkürlichkeiten , die deshalb rei¬ zen > weil mau kein Gesetz für sie auffinden kann. Wie soll man bei den despotischen Einfällen eines Pascha, eines byzantinischen Kaisers,, den Leit¬ faden herausfinden! Alle Finessen einer empfindsamen, romantischen Dichter- seele werden an das Tageslicht gefordert,, die tausend Metamorphosen der Liebe mit unermüdlicher Ausdauer verfolgt. Am Liebsten wühlt Schefer in der Unergründlichkeit des weiblichen Herzens, wie ihm überhaupt das Weib als die eigentlichste Menschwerdung der anonymen Gottheit erscheint. „Das Weib ist der Verjüngungsquell, Weiber sind des Erdgeistes Fegefeuer!"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/446
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/446>, abgerufen am 22.07.2024.