Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

überspielt. Die Bilder wechseln scharf, blendend, unvermittelt, wie bei
dem Spiel einer ombro (Muoiso; man kann eine Novelle in die andere
hineinlesen, es befremdet nicht, man ist nie gespannt, in jedem Augenblick
kann man das Buch aus der Hand legen, denn es ist nie ein innerer Zu¬
sammenhang da, und so bunt die Abenteuer sich aneinander drängen, sie
verdichten sich nie zu einem Schicksal. Denn dazu gehört Energie der Lei¬
denschaft und ein sittliches Prinzip; in diesem Taumel des Indischen Blu¬
menlebens ist Beides nicht vorhanden. Männer und Weiber, die Schefer
uns vorführt, haben immer einen gelinden Anflug von Somnambulismus.
Wir sind stets auf einem Fasching; es befremdet uns nicht, wenn unter der
jugendlichen Harlcquinmaske plötzlich ein fahles Gesicht hcrvortaucht, wir wer¬
den nicht überrascht, wenn ein alter, hartgesottener Sünder sich plötzlich zu
einem Heiligen erklärt. Die schrecklichsten Ereignisse, Mord und jedes andere
Verbrechen häufen sich auf einander, eben wie man davon träumt. Wem
ist es nicht im Traume einmal angekommen, daß er selber erstochen wurde,
sich im Tode fühlte, dann sich etwa in die Person seines Mörders verwan¬
delte, und so in's Unendliche fort; einen solchen Eindruck machen diese No¬
vellen; das Schreckliche wird nie tragisch, über das Komische kann mau uicht
lachen, denn der Spaß hat immer etwas Frostiges. Das alte romantische
Verbrechen, die Heirath in verbotenen Graden, spielt häufig die Hauptrolle
("die Erbsünde," "Palmerio," "das Verbrechen zu irren," "Lenora ti San
Sepolcro"), und es kommen allerdings arge Geschichten dabei heraus; aber
wir können dadurch weder erschüttert noch gerührt werden, denn die Natur
der Unstttlichkeit bleibt stets in einer nebelhaften Dämmerung. Es ist be¬
zeichnend, daß man die Entscheidung eines sittlichen Entschlusses nicht un¬
gern dem Loos anvertraut ("Violante Beccaria"). Das südliche Leben mit
seiner träumerisch brennenden Natur, mit seiner maßlosen Sinnlichkeit; die
tückische Willkür, in welcher jede Form, jedes Gesetz aus den Augen ge¬
lassen wird, ja das fabelhafte Reich chinesischer Sagen, in denen man fünf¬
zig Jahre lang unter der Erde liegt, als Jüngling wieder aussteht, seine
Geliebte als altes Mütterchen vorfindet, dann zum Gott erhoben wird oder
sich den Bauch aufschlitzt u. dergl., das capriciöse Gewebe von närrischen
Einfällen und Einbildungen ist das Lebenselement der Schefer'schen Phan.
laste. Das Leben auf den griechischen Inseln bietet eine eben so unsittliche
Verwirrung der Religionen und Gesetze, wie etwa Sicilien in der Braut
von Messina, und macht einen eben so verwirrenden, unwohlthätigeu
Eindruck; gibt aber auch der Caprice einen eben so grenzenlosen Spielraum.
Am Besten gelingen dem Dichter solche Schilderungen, in denen eine lieber-


überspielt. Die Bilder wechseln scharf, blendend, unvermittelt, wie bei
dem Spiel einer ombro (Muoiso; man kann eine Novelle in die andere
hineinlesen, es befremdet nicht, man ist nie gespannt, in jedem Augenblick
kann man das Buch aus der Hand legen, denn es ist nie ein innerer Zu¬
sammenhang da, und so bunt die Abenteuer sich aneinander drängen, sie
verdichten sich nie zu einem Schicksal. Denn dazu gehört Energie der Lei¬
denschaft und ein sittliches Prinzip; in diesem Taumel des Indischen Blu¬
menlebens ist Beides nicht vorhanden. Männer und Weiber, die Schefer
uns vorführt, haben immer einen gelinden Anflug von Somnambulismus.
Wir sind stets auf einem Fasching; es befremdet uns nicht, wenn unter der
jugendlichen Harlcquinmaske plötzlich ein fahles Gesicht hcrvortaucht, wir wer¬
den nicht überrascht, wenn ein alter, hartgesottener Sünder sich plötzlich zu
einem Heiligen erklärt. Die schrecklichsten Ereignisse, Mord und jedes andere
Verbrechen häufen sich auf einander, eben wie man davon träumt. Wem
ist es nicht im Traume einmal angekommen, daß er selber erstochen wurde,
sich im Tode fühlte, dann sich etwa in die Person seines Mörders verwan¬
delte, und so in's Unendliche fort; einen solchen Eindruck machen diese No¬
vellen; das Schreckliche wird nie tragisch, über das Komische kann mau uicht
lachen, denn der Spaß hat immer etwas Frostiges. Das alte romantische
Verbrechen, die Heirath in verbotenen Graden, spielt häufig die Hauptrolle
(„die Erbsünde," „Palmerio," „das Verbrechen zu irren," „Lenora ti San
Sepolcro"), und es kommen allerdings arge Geschichten dabei heraus; aber
wir können dadurch weder erschüttert noch gerührt werden, denn die Natur
der Unstttlichkeit bleibt stets in einer nebelhaften Dämmerung. Es ist be¬
zeichnend, daß man die Entscheidung eines sittlichen Entschlusses nicht un¬
gern dem Loos anvertraut („Violante Beccaria"). Das südliche Leben mit
seiner träumerisch brennenden Natur, mit seiner maßlosen Sinnlichkeit; die
tückische Willkür, in welcher jede Form, jedes Gesetz aus den Augen ge¬
lassen wird, ja das fabelhafte Reich chinesischer Sagen, in denen man fünf¬
zig Jahre lang unter der Erde liegt, als Jüngling wieder aussteht, seine
Geliebte als altes Mütterchen vorfindet, dann zum Gott erhoben wird oder
sich den Bauch aufschlitzt u. dergl., das capriciöse Gewebe von närrischen
Einfällen und Einbildungen ist das Lebenselement der Schefer'schen Phan.
laste. Das Leben auf den griechischen Inseln bietet eine eben so unsittliche
Verwirrung der Religionen und Gesetze, wie etwa Sicilien in der Braut
von Messina, und macht einen eben so verwirrenden, unwohlthätigeu
Eindruck; gibt aber auch der Caprice einen eben so grenzenlosen Spielraum.
Am Besten gelingen dem Dichter solche Schilderungen, in denen eine lieber-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0445" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/272344"/>
          <p xml:id="ID_1481" prev="#ID_1480" next="#ID_1482"> überspielt. Die Bilder wechseln scharf, blendend, unvermittelt, wie bei<lb/>
dem Spiel einer ombro (Muoiso; man kann eine Novelle in die andere<lb/>
hineinlesen, es befremdet nicht, man ist nie gespannt, in jedem Augenblick<lb/>
kann man das Buch aus der Hand legen, denn es ist nie ein innerer Zu¬<lb/>
sammenhang da, und so bunt die Abenteuer sich aneinander drängen, sie<lb/>
verdichten sich nie zu einem Schicksal. Denn dazu gehört Energie der Lei¬<lb/>
denschaft und ein sittliches Prinzip; in diesem Taumel des Indischen Blu¬<lb/>
menlebens ist Beides nicht vorhanden. Männer und Weiber, die Schefer<lb/>
uns vorführt, haben immer einen gelinden Anflug von Somnambulismus.<lb/>
Wir sind stets auf einem Fasching; es befremdet uns nicht, wenn unter der<lb/>
jugendlichen Harlcquinmaske plötzlich ein fahles Gesicht hcrvortaucht, wir wer¬<lb/>
den nicht überrascht, wenn ein alter, hartgesottener Sünder sich plötzlich zu<lb/>
einem Heiligen erklärt. Die schrecklichsten Ereignisse, Mord und jedes andere<lb/>
Verbrechen häufen sich auf einander, eben wie man davon träumt. Wem<lb/>
ist es nicht im Traume einmal angekommen, daß er selber erstochen wurde,<lb/>
sich im Tode fühlte, dann sich etwa in die Person seines Mörders verwan¬<lb/>
delte, und so in's Unendliche fort; einen solchen Eindruck machen diese No¬<lb/>
vellen; das Schreckliche wird nie tragisch, über das Komische kann mau uicht<lb/>
lachen, denn der Spaß hat immer etwas Frostiges. Das alte romantische<lb/>
Verbrechen, die Heirath in verbotenen Graden, spielt häufig die Hauptrolle<lb/>
(&#x201E;die Erbsünde," &#x201E;Palmerio," &#x201E;das Verbrechen zu irren," &#x201E;Lenora ti San<lb/>
Sepolcro"), und es kommen allerdings arge Geschichten dabei heraus; aber<lb/>
wir können dadurch weder erschüttert noch gerührt werden, denn die Natur<lb/>
der Unstttlichkeit bleibt stets in einer nebelhaften Dämmerung. Es ist be¬<lb/>
zeichnend, daß man die Entscheidung eines sittlichen Entschlusses nicht un¬<lb/>
gern dem Loos anvertraut (&#x201E;Violante Beccaria"). Das südliche Leben mit<lb/>
seiner träumerisch brennenden Natur, mit seiner maßlosen Sinnlichkeit; die<lb/>
tückische Willkür, in welcher jede Form, jedes Gesetz aus den Augen ge¬<lb/>
lassen wird, ja das fabelhafte Reich chinesischer Sagen, in denen man fünf¬<lb/>
zig Jahre lang unter der Erde liegt, als Jüngling wieder aussteht, seine<lb/>
Geliebte als altes Mütterchen vorfindet, dann zum Gott erhoben wird oder<lb/>
sich den Bauch aufschlitzt u. dergl., das capriciöse Gewebe von närrischen<lb/>
Einfällen und Einbildungen ist das Lebenselement der Schefer'schen Phan.<lb/>
laste. Das Leben auf den griechischen Inseln bietet eine eben so unsittliche<lb/>
Verwirrung der Religionen und Gesetze, wie etwa Sicilien in der Braut<lb/>
von Messina, und macht einen eben so verwirrenden, unwohlthätigeu<lb/>
Eindruck; gibt aber auch der Caprice einen eben so grenzenlosen Spielraum.<lb/>
Am Besten gelingen dem Dichter solche Schilderungen, in denen eine lieber-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0445] überspielt. Die Bilder wechseln scharf, blendend, unvermittelt, wie bei dem Spiel einer ombro (Muoiso; man kann eine Novelle in die andere hineinlesen, es befremdet nicht, man ist nie gespannt, in jedem Augenblick kann man das Buch aus der Hand legen, denn es ist nie ein innerer Zu¬ sammenhang da, und so bunt die Abenteuer sich aneinander drängen, sie verdichten sich nie zu einem Schicksal. Denn dazu gehört Energie der Lei¬ denschaft und ein sittliches Prinzip; in diesem Taumel des Indischen Blu¬ menlebens ist Beides nicht vorhanden. Männer und Weiber, die Schefer uns vorführt, haben immer einen gelinden Anflug von Somnambulismus. Wir sind stets auf einem Fasching; es befremdet uns nicht, wenn unter der jugendlichen Harlcquinmaske plötzlich ein fahles Gesicht hcrvortaucht, wir wer¬ den nicht überrascht, wenn ein alter, hartgesottener Sünder sich plötzlich zu einem Heiligen erklärt. Die schrecklichsten Ereignisse, Mord und jedes andere Verbrechen häufen sich auf einander, eben wie man davon träumt. Wem ist es nicht im Traume einmal angekommen, daß er selber erstochen wurde, sich im Tode fühlte, dann sich etwa in die Person seines Mörders verwan¬ delte, und so in's Unendliche fort; einen solchen Eindruck machen diese No¬ vellen; das Schreckliche wird nie tragisch, über das Komische kann mau uicht lachen, denn der Spaß hat immer etwas Frostiges. Das alte romantische Verbrechen, die Heirath in verbotenen Graden, spielt häufig die Hauptrolle („die Erbsünde," „Palmerio," „das Verbrechen zu irren," „Lenora ti San Sepolcro"), und es kommen allerdings arge Geschichten dabei heraus; aber wir können dadurch weder erschüttert noch gerührt werden, denn die Natur der Unstttlichkeit bleibt stets in einer nebelhaften Dämmerung. Es ist be¬ zeichnend, daß man die Entscheidung eines sittlichen Entschlusses nicht un¬ gern dem Loos anvertraut („Violante Beccaria"). Das südliche Leben mit seiner träumerisch brennenden Natur, mit seiner maßlosen Sinnlichkeit; die tückische Willkür, in welcher jede Form, jedes Gesetz aus den Augen ge¬ lassen wird, ja das fabelhafte Reich chinesischer Sagen, in denen man fünf¬ zig Jahre lang unter der Erde liegt, als Jüngling wieder aussteht, seine Geliebte als altes Mütterchen vorfindet, dann zum Gott erhoben wird oder sich den Bauch aufschlitzt u. dergl., das capriciöse Gewebe von närrischen Einfällen und Einbildungen ist das Lebenselement der Schefer'schen Phan. laste. Das Leben auf den griechischen Inseln bietet eine eben so unsittliche Verwirrung der Religionen und Gesetze, wie etwa Sicilien in der Braut von Messina, und macht einen eben so verwirrenden, unwohlthätigeu Eindruck; gibt aber auch der Caprice einen eben so grenzenlosen Spielraum. Am Besten gelingen dem Dichter solche Schilderungen, in denen eine lieber-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/445
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/445>, abgerufen am 22.07.2024.