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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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habenen Spruch des sittlichen Gottes. Eine matte Toleranz ist Alles, was
übrig bleibt. "Alle, sagt Jesus zu Se. Peter, habe ich erschaffen nach mei¬
nem Bild, sie find mein Geist, mein Lieben, mein Leben, und will ich einst
All' in den Himmel nehmen, wirst dn dich wohl müssen zum Schlüssel be¬
quemen ! Ein gefällizer Richter, aber ein unwahrer! durch ein Wunder kann
man wohl den Schuldbeladener Geist erlösen, aber damit hebt man anch die
Wahrheit des Lebens auf. Im. Traum hat mau gesündigt, im Traum wird
man erlöst, dann hat aber diese Erlösung auch nur dieDignität eiues Trau¬
mes. -- Daß auf diese Weise, wo der zu überwindende Gegensatz fehlt,
auch die Geschichte nur ein geistloses Gewebe vereinzelter Erscheinungen ist,
versteht sich vou selbst, und wird anch bestimmt ausgesprochen. Die Natur,
das Größte, hat keine Geschichte. "Du leugnest Weltgeschichte? -- Nicht mit
Unrecht; denn nur das Menschenherz hat stets gelebt, das unverwaudelbare,
immer gleiche, nur kurz bethörte oder irrende; nur Thorheit, Irrthum also
ist Geschichte." "Sich in die frohe Seele der Mutter Natur denken, in ih¬
res Lebens schön gelungenes Werk, welch' andre Wonne kann noch größer
sein ! Wie ganz verschwindet, was ihr großes Kind, der Mensch im Kreis
der Erde rings gethan!" Bei diesen Grundsätzen wird es begreiflich sein,
wenn ähnlich wie bei Herder alle gewaltigen Erscheinungen der Geschichte
nur in ihrer negativen Bedeutung, als Zertrümmerung eines schönen Da¬
seins aufgefaßt werden. Denn Alles, was in der Geschichte Großes erscheint,
ist Revolution. So werden in einer Novelle, die Osternacht, alle Lei¬
den, die irgend im Krieg vorkommen können, zusammengehäuft, ungefähr wie
im Karl v. Karlsberg des alten Salzmann die Leiden und Mißbräuche
der Menschheit im Allgemeinen; so wird das Christenthum fast nur als ein
boshafter Spuk angeschaut, der unheimlich in das Leben hineingreift und
den Sinn bethört; so ist die That Gregor VII. nur ein Verbrechen, das in
die Welt hineinfahren, eben weil der Dichter nie einen sichern historischen
Boden gewinnt, also anch das Walten historischer und logischer Nothwen¬
digkeit nie begreift. Seine eigentlichen Helden sind diese Indischen Pflanzen-
scelen, die keinen Floh knicken, um kein Blut zu - vergießen, z. B. Giordano
Bruno, wie er ihn sich vorstellt, und denen daher nichts anderes übrig bleibt,
als sich foltern und kreuzigen zu lassen. Man kann sich denken, was das für
schöne Geschichten gibt, wenn ein solcher Brahmine <wie Böre in: der
Gekreuzigte), an die Spitze eines türkischen Nebellenhaufens gestellt wird.
Es geht wirklich über alles Menschenmögliche, sich an die Spitze eines tür¬
kischen Raubgesindels zu stellen, um den Communismus in der Türkei ein¬
zuführen, und dabei keinen Floh knicken zu wollen. Daß ein solcher Mer-


habenen Spruch des sittlichen Gottes. Eine matte Toleranz ist Alles, was
übrig bleibt. „Alle, sagt Jesus zu Se. Peter, habe ich erschaffen nach mei¬
nem Bild, sie find mein Geist, mein Lieben, mein Leben, und will ich einst
All' in den Himmel nehmen, wirst dn dich wohl müssen zum Schlüssel be¬
quemen ! Ein gefällizer Richter, aber ein unwahrer! durch ein Wunder kann
man wohl den Schuldbeladener Geist erlösen, aber damit hebt man anch die
Wahrheit des Lebens auf. Im. Traum hat mau gesündigt, im Traum wird
man erlöst, dann hat aber diese Erlösung auch nur dieDignität eiues Trau¬
mes. — Daß auf diese Weise, wo der zu überwindende Gegensatz fehlt,
auch die Geschichte nur ein geistloses Gewebe vereinzelter Erscheinungen ist,
versteht sich vou selbst, und wird anch bestimmt ausgesprochen. Die Natur,
das Größte, hat keine Geschichte. „Du leugnest Weltgeschichte? — Nicht mit
Unrecht; denn nur das Menschenherz hat stets gelebt, das unverwaudelbare,
immer gleiche, nur kurz bethörte oder irrende; nur Thorheit, Irrthum also
ist Geschichte." „Sich in die frohe Seele der Mutter Natur denken, in ih¬
res Lebens schön gelungenes Werk, welch' andre Wonne kann noch größer
sein ! Wie ganz verschwindet, was ihr großes Kind, der Mensch im Kreis
der Erde rings gethan!" Bei diesen Grundsätzen wird es begreiflich sein,
wenn ähnlich wie bei Herder alle gewaltigen Erscheinungen der Geschichte
nur in ihrer negativen Bedeutung, als Zertrümmerung eines schönen Da¬
seins aufgefaßt werden. Denn Alles, was in der Geschichte Großes erscheint,
ist Revolution. So werden in einer Novelle, die Osternacht, alle Lei¬
den, die irgend im Krieg vorkommen können, zusammengehäuft, ungefähr wie
im Karl v. Karlsberg des alten Salzmann die Leiden und Mißbräuche
der Menschheit im Allgemeinen; so wird das Christenthum fast nur als ein
boshafter Spuk angeschaut, der unheimlich in das Leben hineingreift und
den Sinn bethört; so ist die That Gregor VII. nur ein Verbrechen, das in
die Welt hineinfahren, eben weil der Dichter nie einen sichern historischen
Boden gewinnt, also anch das Walten historischer und logischer Nothwen¬
digkeit nie begreift. Seine eigentlichen Helden sind diese Indischen Pflanzen-
scelen, die keinen Floh knicken, um kein Blut zu - vergießen, z. B. Giordano
Bruno, wie er ihn sich vorstellt, und denen daher nichts anderes übrig bleibt,
als sich foltern und kreuzigen zu lassen. Man kann sich denken, was das für
schöne Geschichten gibt, wenn ein solcher Brahmine <wie Böre in: der
Gekreuzigte), an die Spitze eines türkischen Nebellenhaufens gestellt wird.
Es geht wirklich über alles Menschenmögliche, sich an die Spitze eines tür¬
kischen Raubgesindels zu stellen, um den Communismus in der Türkei ein¬
zuführen, und dabei keinen Floh knicken zu wollen. Daß ein solcher Mer-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/443>, abgerufen am 22.07.2024.