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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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das Dasein ganz, alles andere ist Nebenwerk." Er hat nichts zu thun, denn
er hat keinen Widerstand. "Hier ist kein Böses! Und wenn dich das beru¬
higet, daß nicht ein Böses ist in diesem All, dem Werke der vollkommenen
reinen Liebe, in jeden: kleinen Werk-- dann lebe ruhig, erlöst vom Wahne
der Schrecken um dich her." Wenn das Böse eine Illusion ist, so kann auch
die Sünde nur ein blöder Traum des Herzens genannt werden. "Du kannst
nach jeder Schuld der reinste Mensch sein, wenn du sie alt, dich selber jung
empfindest, als diesen Guten, der du heut' nun bist. Du bist die frische
Kraft, die Kinderreinheit, das Götterzürnen eben bist du selbst. So tief
und schwer dn meinest zu bereuen, so tief bescheiden ja auch freuest du dich,
daß in dir ein so reines Wollen lebt und solche Macht, daß dn so wie die
Sonne in jeder Stunde neu und göttlich bist. Versteh das Wort nun: Gott
vergibt die Sünde." In den Novellen wird nun freilich der Dichter, da er
hier doch im Faktischen bleiben muß, fortwährend darauf gestoßen, daß die
Sünde denn doch etwas Objectives ist; daß ihre Folgen sich ablösen vom
Menschen, und ihn äußerlich umstricken, joie die Erinnys deu Muttermör¬
der. Aber eben weil das Herz die Schuld nicht bekennen will, wird das
Schicksal zu einem nnr äußerlichen; und von einer tragischen Erschütterung
ist nie die Rede, da der innere, geistige Zusammenhang von Schuld und
Schicksal nie einleuchtet. Mau kann die sittliche Auffassung der Conflicte des
Lebens in vielen Novellen gradezu komisch' nennen, und es wird eine Wir¬
kung hervorgebracht, die den Absichten des Dichters durchaus entgegengesetzt ist.
Deshalb wird die wirklich vorhandene Macht sittlicher Verhältnisse um nichts
weniger herb; sie erscheint als ein unheimlicher, gespenstischer Kreis, in den
der Fuß des Meuscheu sich verstrickt, obgleich er keinen Theil hat an den
Wesen,die darinnen wallen. Wenn derDichter z.B. derNovelle: der Pflege¬
tochter, das Motto vorausschickt: "Was noch so furchtbar Wirkliches ge¬
schah, so bös nicht war es in den Seelen da. D'rum ist als Schein
das Gränse nur geschehen. Als Lieb' und Irrthum läßt die Kunst
es sehen." -- So dient diese chimärische Verwandlung wirklicher Gräuel-
thaten in einen Schein keineswegs dazu, uns mit ihnen zu versöhnen; im
Gegentheil werden sie um so abscheulicher, da wir mit der Wahrheit des
sittlichen Gesetzes allen festen Boden verlieren, da wir blind und ungeläu-
tert in den Abgrund getaucht werden, ohne einen Blick auf den Himmel,
der uns verdammt. "In dieser Welt ist Schuld und Ursache, ja nur Ver¬
anlassung, nicht rein zu unterscheiden; wir haben daran so viel, als wir uns
annehmen." Ein trauriger Trost, der sinnlosen Gewalt des Zufalls anheim¬
zufallen, mag er sich anch Erbsünde nennen; anstatt dem rächenden, aber er-


das Dasein ganz, alles andere ist Nebenwerk." Er hat nichts zu thun, denn
er hat keinen Widerstand. „Hier ist kein Böses! Und wenn dich das beru¬
higet, daß nicht ein Böses ist in diesem All, dem Werke der vollkommenen
reinen Liebe, in jeden: kleinen Werk— dann lebe ruhig, erlöst vom Wahne
der Schrecken um dich her." Wenn das Böse eine Illusion ist, so kann auch
die Sünde nur ein blöder Traum des Herzens genannt werden. „Du kannst
nach jeder Schuld der reinste Mensch sein, wenn du sie alt, dich selber jung
empfindest, als diesen Guten, der du heut' nun bist. Du bist die frische
Kraft, die Kinderreinheit, das Götterzürnen eben bist du selbst. So tief
und schwer dn meinest zu bereuen, so tief bescheiden ja auch freuest du dich,
daß in dir ein so reines Wollen lebt und solche Macht, daß dn so wie die
Sonne in jeder Stunde neu und göttlich bist. Versteh das Wort nun: Gott
vergibt die Sünde." In den Novellen wird nun freilich der Dichter, da er
hier doch im Faktischen bleiben muß, fortwährend darauf gestoßen, daß die
Sünde denn doch etwas Objectives ist; daß ihre Folgen sich ablösen vom
Menschen, und ihn äußerlich umstricken, joie die Erinnys deu Muttermör¬
der. Aber eben weil das Herz die Schuld nicht bekennen will, wird das
Schicksal zu einem nnr äußerlichen; und von einer tragischen Erschütterung
ist nie die Rede, da der innere, geistige Zusammenhang von Schuld und
Schicksal nie einleuchtet. Mau kann die sittliche Auffassung der Conflicte des
Lebens in vielen Novellen gradezu komisch' nennen, und es wird eine Wir¬
kung hervorgebracht, die den Absichten des Dichters durchaus entgegengesetzt ist.
Deshalb wird die wirklich vorhandene Macht sittlicher Verhältnisse um nichts
weniger herb; sie erscheint als ein unheimlicher, gespenstischer Kreis, in den
der Fuß des Meuscheu sich verstrickt, obgleich er keinen Theil hat an den
Wesen,die darinnen wallen. Wenn derDichter z.B. derNovelle: der Pflege¬
tochter, das Motto vorausschickt: „Was noch so furchtbar Wirkliches ge¬
schah, so bös nicht war es in den Seelen da. D'rum ist als Schein
das Gränse nur geschehen. Als Lieb' und Irrthum läßt die Kunst
es sehen." — So dient diese chimärische Verwandlung wirklicher Gräuel-
thaten in einen Schein keineswegs dazu, uns mit ihnen zu versöhnen; im
Gegentheil werden sie um so abscheulicher, da wir mit der Wahrheit des
sittlichen Gesetzes allen festen Boden verlieren, da wir blind und ungeläu-
tert in den Abgrund getaucht werden, ohne einen Blick auf den Himmel,
der uns verdammt. „In dieser Welt ist Schuld und Ursache, ja nur Ver¬
anlassung, nicht rein zu unterscheiden; wir haben daran so viel, als wir uns
annehmen." Ein trauriger Trost, der sinnlosen Gewalt des Zufalls anheim¬
zufallen, mag er sich anch Erbsünde nennen; anstatt dem rächenden, aber er-


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[0442] das Dasein ganz, alles andere ist Nebenwerk." Er hat nichts zu thun, denn er hat keinen Widerstand. „Hier ist kein Böses! Und wenn dich das beru¬ higet, daß nicht ein Böses ist in diesem All, dem Werke der vollkommenen reinen Liebe, in jeden: kleinen Werk— dann lebe ruhig, erlöst vom Wahne der Schrecken um dich her." Wenn das Böse eine Illusion ist, so kann auch die Sünde nur ein blöder Traum des Herzens genannt werden. „Du kannst nach jeder Schuld der reinste Mensch sein, wenn du sie alt, dich selber jung empfindest, als diesen Guten, der du heut' nun bist. Du bist die frische Kraft, die Kinderreinheit, das Götterzürnen eben bist du selbst. So tief und schwer dn meinest zu bereuen, so tief bescheiden ja auch freuest du dich, daß in dir ein so reines Wollen lebt und solche Macht, daß dn so wie die Sonne in jeder Stunde neu und göttlich bist. Versteh das Wort nun: Gott vergibt die Sünde." In den Novellen wird nun freilich der Dichter, da er hier doch im Faktischen bleiben muß, fortwährend darauf gestoßen, daß die Sünde denn doch etwas Objectives ist; daß ihre Folgen sich ablösen vom Menschen, und ihn äußerlich umstricken, joie die Erinnys deu Muttermör¬ der. Aber eben weil das Herz die Schuld nicht bekennen will, wird das Schicksal zu einem nnr äußerlichen; und von einer tragischen Erschütterung ist nie die Rede, da der innere, geistige Zusammenhang von Schuld und Schicksal nie einleuchtet. Mau kann die sittliche Auffassung der Conflicte des Lebens in vielen Novellen gradezu komisch' nennen, und es wird eine Wir¬ kung hervorgebracht, die den Absichten des Dichters durchaus entgegengesetzt ist. Deshalb wird die wirklich vorhandene Macht sittlicher Verhältnisse um nichts weniger herb; sie erscheint als ein unheimlicher, gespenstischer Kreis, in den der Fuß des Meuscheu sich verstrickt, obgleich er keinen Theil hat an den Wesen,die darinnen wallen. Wenn derDichter z.B. derNovelle: der Pflege¬ tochter, das Motto vorausschickt: „Was noch so furchtbar Wirkliches ge¬ schah, so bös nicht war es in den Seelen da. D'rum ist als Schein das Gränse nur geschehen. Als Lieb' und Irrthum läßt die Kunst es sehen." — So dient diese chimärische Verwandlung wirklicher Gräuel- thaten in einen Schein keineswegs dazu, uns mit ihnen zu versöhnen; im Gegentheil werden sie um so abscheulicher, da wir mit der Wahrheit des sittlichen Gesetzes allen festen Boden verlieren, da wir blind und ungeläu- tert in den Abgrund getaucht werden, ohne einen Blick auf den Himmel, der uns verdammt. „In dieser Welt ist Schuld und Ursache, ja nur Ver¬ anlassung, nicht rein zu unterscheiden; wir haben daran so viel, als wir uns annehmen." Ein trauriger Trost, der sinnlosen Gewalt des Zufalls anheim¬ zufallen, mag er sich anch Erbsünde nennen; anstatt dem rächenden, aber er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/442>, abgerufen am 22.07.2024.