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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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hebt. Die Geisterwelt ist nur das Auge der Natur, sie ist nicht von ihr
getrennt, durch sie wird die Natur erst zu dem, was sie eigentlich sein soll.
"Heilig Antlitz des Menschen! schöner Lotos auf der Tiefe des Himmels-
meers am Strand der Erde blühend, Weltspiegel, Geistermaske, Götterbild-
niß! du erst erleuchtest den Tag und das Firmament! -- du entdeckst die
Worm' erst, die im Innersten, Geheimsten der Natur sich zuckend regt und
überquillt in Lächeln! Auf dem Antlitz erscheint erst der tiefe große Schmerz,
der die Natur am Heiligsten durchbebt." Das ist ganz Schelling: "Der
Mensch ist der Messias der Natur." Im Menschen wird der in der Natur
nur latente Gott zur Wahrheit. "Du bist Geist; du bist das alles selbst,
was in dir lebt und webt, dein Leib ist selbst die heilige Natur; du lebst
des Gottes schönes Leben selbst; denn Mensch sein kann nicht ein Schatten,
kann nur Gott allein." "Mit dir geboren wird der Gott. Er lebt in dir,
mit dir, liebt, thut aus dir das Gute; wenn du stirbst, stirbt der Gott mit
dir," d. h. er tritt in eine neue Metamorphose. Grade in seiner Flüchtigkeit,
seiner Wandelung ist das menschliche Leben eine göttliche Offenbarung. "Sein
Geist ist wie ein Tropfen Thau, worin die Welt sich bunt so wenig Tage
malt; und theurer, als den Tropfen Thau das Veilchen bezahlt, bezahlt er
jede frohe Stunde mit ihrem stündlichen Verlust." -- "Selbst mit immer
neuer Hand empfängt er jede Gabe der Natur." -- "Du bist ein Vieler,
ein Tausendfacher durch Entfaltung, ein ganzer Mensch erst bist du nur dnrch
das ganze Leben. Der Mensch ist unsichtbar; sein ganzes Wesen erscheinet
nie! Nie Kind und Jüngling, Mann und Greis vereint. Nie sieht der
Mensch sich selbst. Und Niemand ihn." -- "Wie du dich niemals selber hast
besessen, so auch besitzest du im Leben selbst den Gott, die Menschheit, die
Natur, das Leben, wie Gott und Menschheit und Natur und Leben sich nie
erscheinen, nie sich selbst erfahren." "Der Mensch, das menschliche Geschlecht,
als solcher ist ein Vergängliches, ein Scheinbild, der Schatten eines Geistes.
Und dennoch spricht der Schatten wahr von sich: im Menschen wohnt ganz
deutlich die schöne Seele Gottes selbst." Denn grade diese Endlichkeit
der Erscheinung ist des Geistes Unendlichkeit. "Der Mensch ist reicher als
die Götter alle, um Leid und Klag', um Thränen, um den Tod." Denn
der Tod ist die edelste Gabe Gottes. "Laßt die Menschen den Himmel ver¬
lieren, das Schöne beweinen, und du erschaffest die Welt zweimal, ein seli¬
ger Mal; laß sie vergebens das Schöne beweinen! dann machst du's un¬
schätzbar, und die Lieb' in der Brust fachst du zur Seligkeit an, wie sie die
Himmlischen selbst nicht fühlen! Nur der Sterbliche, selber der Todte hat lieben¬
den Herzen unermeßlichen Werth, der dem Unsterblichen fehlt." - Dieser


hebt. Die Geisterwelt ist nur das Auge der Natur, sie ist nicht von ihr
getrennt, durch sie wird die Natur erst zu dem, was sie eigentlich sein soll.
„Heilig Antlitz des Menschen! schöner Lotos auf der Tiefe des Himmels-
meers am Strand der Erde blühend, Weltspiegel, Geistermaske, Götterbild-
niß! du erst erleuchtest den Tag und das Firmament! — du entdeckst die
Worm' erst, die im Innersten, Geheimsten der Natur sich zuckend regt und
überquillt in Lächeln! Auf dem Antlitz erscheint erst der tiefe große Schmerz,
der die Natur am Heiligsten durchbebt." Das ist ganz Schelling: „Der
Mensch ist der Messias der Natur." Im Menschen wird der in der Natur
nur latente Gott zur Wahrheit. „Du bist Geist; du bist das alles selbst,
was in dir lebt und webt, dein Leib ist selbst die heilige Natur; du lebst
des Gottes schönes Leben selbst; denn Mensch sein kann nicht ein Schatten,
kann nur Gott allein." „Mit dir geboren wird der Gott. Er lebt in dir,
mit dir, liebt, thut aus dir das Gute; wenn du stirbst, stirbt der Gott mit
dir," d. h. er tritt in eine neue Metamorphose. Grade in seiner Flüchtigkeit,
seiner Wandelung ist das menschliche Leben eine göttliche Offenbarung. „Sein
Geist ist wie ein Tropfen Thau, worin die Welt sich bunt so wenig Tage
malt; und theurer, als den Tropfen Thau das Veilchen bezahlt, bezahlt er
jede frohe Stunde mit ihrem stündlichen Verlust." — „Selbst mit immer
neuer Hand empfängt er jede Gabe der Natur." — „Du bist ein Vieler,
ein Tausendfacher durch Entfaltung, ein ganzer Mensch erst bist du nur dnrch
das ganze Leben. Der Mensch ist unsichtbar; sein ganzes Wesen erscheinet
nie! Nie Kind und Jüngling, Mann und Greis vereint. Nie sieht der
Mensch sich selbst. Und Niemand ihn." — „Wie du dich niemals selber hast
besessen, so auch besitzest du im Leben selbst den Gott, die Menschheit, die
Natur, das Leben, wie Gott und Menschheit und Natur und Leben sich nie
erscheinen, nie sich selbst erfahren." „Der Mensch, das menschliche Geschlecht,
als solcher ist ein Vergängliches, ein Scheinbild, der Schatten eines Geistes.
Und dennoch spricht der Schatten wahr von sich: im Menschen wohnt ganz
deutlich die schöne Seele Gottes selbst." Denn grade diese Endlichkeit
der Erscheinung ist des Geistes Unendlichkeit. „Der Mensch ist reicher als
die Götter alle, um Leid und Klag', um Thränen, um den Tod." Denn
der Tod ist die edelste Gabe Gottes. „Laßt die Menschen den Himmel ver¬
lieren, das Schöne beweinen, und du erschaffest die Welt zweimal, ein seli¬
ger Mal; laß sie vergebens das Schöne beweinen! dann machst du's un¬
schätzbar, und die Lieb' in der Brust fachst du zur Seligkeit an, wie sie die
Himmlischen selbst nicht fühlen! Nur der Sterbliche, selber der Todte hat lieben¬
den Herzen unermeßlichen Werth, der dem Unsterblichen fehlt." - Dieser


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[0439] hebt. Die Geisterwelt ist nur das Auge der Natur, sie ist nicht von ihr getrennt, durch sie wird die Natur erst zu dem, was sie eigentlich sein soll. „Heilig Antlitz des Menschen! schöner Lotos auf der Tiefe des Himmels- meers am Strand der Erde blühend, Weltspiegel, Geistermaske, Götterbild- niß! du erst erleuchtest den Tag und das Firmament! — du entdeckst die Worm' erst, die im Innersten, Geheimsten der Natur sich zuckend regt und überquillt in Lächeln! Auf dem Antlitz erscheint erst der tiefe große Schmerz, der die Natur am Heiligsten durchbebt." Das ist ganz Schelling: „Der Mensch ist der Messias der Natur." Im Menschen wird der in der Natur nur latente Gott zur Wahrheit. „Du bist Geist; du bist das alles selbst, was in dir lebt und webt, dein Leib ist selbst die heilige Natur; du lebst des Gottes schönes Leben selbst; denn Mensch sein kann nicht ein Schatten, kann nur Gott allein." „Mit dir geboren wird der Gott. Er lebt in dir, mit dir, liebt, thut aus dir das Gute; wenn du stirbst, stirbt der Gott mit dir," d. h. er tritt in eine neue Metamorphose. Grade in seiner Flüchtigkeit, seiner Wandelung ist das menschliche Leben eine göttliche Offenbarung. „Sein Geist ist wie ein Tropfen Thau, worin die Welt sich bunt so wenig Tage malt; und theurer, als den Tropfen Thau das Veilchen bezahlt, bezahlt er jede frohe Stunde mit ihrem stündlichen Verlust." — „Selbst mit immer neuer Hand empfängt er jede Gabe der Natur." — „Du bist ein Vieler, ein Tausendfacher durch Entfaltung, ein ganzer Mensch erst bist du nur dnrch das ganze Leben. Der Mensch ist unsichtbar; sein ganzes Wesen erscheinet nie! Nie Kind und Jüngling, Mann und Greis vereint. Nie sieht der Mensch sich selbst. Und Niemand ihn." — „Wie du dich niemals selber hast besessen, so auch besitzest du im Leben selbst den Gott, die Menschheit, die Natur, das Leben, wie Gott und Menschheit und Natur und Leben sich nie erscheinen, nie sich selbst erfahren." „Der Mensch, das menschliche Geschlecht, als solcher ist ein Vergängliches, ein Scheinbild, der Schatten eines Geistes. Und dennoch spricht der Schatten wahr von sich: im Menschen wohnt ganz deutlich die schöne Seele Gottes selbst." Denn grade diese Endlichkeit der Erscheinung ist des Geistes Unendlichkeit. „Der Mensch ist reicher als die Götter alle, um Leid und Klag', um Thränen, um den Tod." Denn der Tod ist die edelste Gabe Gottes. „Laßt die Menschen den Himmel ver¬ lieren, das Schöne beweinen, und du erschaffest die Welt zweimal, ein seli¬ ger Mal; laß sie vergebens das Schöne beweinen! dann machst du's un¬ schätzbar, und die Lieb' in der Brust fachst du zur Seligkeit an, wie sie die Himmlischen selbst nicht fühlen! Nur der Sterbliche, selber der Todte hat lieben¬ den Herzen unermeßlichen Werth, der dem Unsterblichen fehlt." - Dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/439>, abgerufen am 22.07.2024.