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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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den, Disciplin und Subordination einzuführen, das Einzige, was dem tür¬
kischen Militär fehlte, um es zu tüchtigen Soldaten zu machen, war man
nur darauf bedacht, demselben preußische Uniformen umzuhängen. Man hat
die malerische Tracht des Türken, in der der Orientale sich allein wohl fühlt
und die dem Clima so angemessen ist, mit den prosaischen engen Beinklei¬
dern und Fracks vertauscht, in denen sich die Leute linkisch benehmen wie
ein Knabe, der zum ersten Male Hosen anbekommt, und ganz besonders ist
dieser Mißgriff bei der so vortrefflich gewesenen Cavallerie hervorzuheben.
Der Türke, ein Naturreiter, der gewohnt ist in leichter weiter Kleidung
mit kurz geschnallten großen Bügeln zu Pferde zu sitzen und der seinen krum¬
men Säbel so fürchterlich geschickt zu handhaben wußte, ist mit einem Male
in einen steifen preußischen Dragoner umgewandelt. Nicht allein das Mi¬
litär sondern alle türkische Beamte tragen fränkische Kleidung und nur der
Fes ist beibehalten. Es war dies der größte Mißgriff der geschehen konnte,
und der sich noch lauge rächen wird. So sehr nun auch der Franke von
dein Muselmann verachtet und gehaßt ist -- was sich schon ans der schönen
Benennung "Ki-wen-," d. h. Schweinhuud, kund gibt -- so leben wir hier
doch ganz sicher und haben keinerlei Beeinträchtigung oder gar Verfolgung
zu befürchten. Mitunter befassen sich die Beamten vielleicht mit Chicanen,
um denk immer fester Fuß fassenden Ausländer Hindernisse in den Weg zu
legen oder Geldgeschenke zu erzwingen; auch fallen wohl handgreifliche Be¬
leidigungen auf der Straße vor; doch kann man sich darüber nicht wundern,
wenn man überhaupt den gesunkenen Zustand und die Rohheit der Nation
berücksichtigt. Wir leben hier sicherer und geschützter als irgend ein türki¬
scher Unterthan, mag er Türke oder Raja sein; denn jene sind der Willkür
der Beamten ausgesetzt. Ein Franke ist in seinem Hanse völlig geschützt;
keine türkische Polizei darf es betreten; auf der Straße kann man ihn frei¬
lich arretiren, muß ihn aber auch darnach sogleich an seine Gesandtschaft
ausliefern. Widerfährt einem Kurländer irgeud eine Beleidigung, so ist
sein Gesandter gleich da, die strengste Genugthuung zu fordern. Geschieht
aber einem Deutschen eine Unbill -- so geschieht nichts. Unsere Nation
schützt hier so wenig als sonstwo die Kinder ihres Landes. Preußen,
dessen Schutz die Meisten suchen, ist seiner unbedeutenden Marine und seines
geringen Seehandels wegen, eine zu kleine Macht, um hier mit gehöriger
Energie auftreten zu können; Oesterreich dagegen, mit seiner bedeutenden
Handels- und Kriegsmarine und seinen vielen Beziehungen zum Oriente,
ist leider Gottes durch die friedliebende Politik des Grafen Stürmer, der
alles durch Güte und Nachsicht beizulegen sich bemüht hat, zu energielos


den, Disciplin und Subordination einzuführen, das Einzige, was dem tür¬
kischen Militär fehlte, um es zu tüchtigen Soldaten zu machen, war man
nur darauf bedacht, demselben preußische Uniformen umzuhängen. Man hat
die malerische Tracht des Türken, in der der Orientale sich allein wohl fühlt
und die dem Clima so angemessen ist, mit den prosaischen engen Beinklei¬
dern und Fracks vertauscht, in denen sich die Leute linkisch benehmen wie
ein Knabe, der zum ersten Male Hosen anbekommt, und ganz besonders ist
dieser Mißgriff bei der so vortrefflich gewesenen Cavallerie hervorzuheben.
Der Türke, ein Naturreiter, der gewohnt ist in leichter weiter Kleidung
mit kurz geschnallten großen Bügeln zu Pferde zu sitzen und der seinen krum¬
men Säbel so fürchterlich geschickt zu handhaben wußte, ist mit einem Male
in einen steifen preußischen Dragoner umgewandelt. Nicht allein das Mi¬
litär sondern alle türkische Beamte tragen fränkische Kleidung und nur der
Fes ist beibehalten. Es war dies der größte Mißgriff der geschehen konnte,
und der sich noch lauge rächen wird. So sehr nun auch der Franke von
dein Muselmann verachtet und gehaßt ist — was sich schon ans der schönen
Benennung „Ki-wen-," d. h. Schweinhuud, kund gibt — so leben wir hier
doch ganz sicher und haben keinerlei Beeinträchtigung oder gar Verfolgung
zu befürchten. Mitunter befassen sich die Beamten vielleicht mit Chicanen,
um denk immer fester Fuß fassenden Ausländer Hindernisse in den Weg zu
legen oder Geldgeschenke zu erzwingen; auch fallen wohl handgreifliche Be¬
leidigungen auf der Straße vor; doch kann man sich darüber nicht wundern,
wenn man überhaupt den gesunkenen Zustand und die Rohheit der Nation
berücksichtigt. Wir leben hier sicherer und geschützter als irgend ein türki¬
scher Unterthan, mag er Türke oder Raja sein; denn jene sind der Willkür
der Beamten ausgesetzt. Ein Franke ist in seinem Hanse völlig geschützt;
keine türkische Polizei darf es betreten; auf der Straße kann man ihn frei¬
lich arretiren, muß ihn aber auch darnach sogleich an seine Gesandtschaft
ausliefern. Widerfährt einem Kurländer irgeud eine Beleidigung, so ist
sein Gesandter gleich da, die strengste Genugthuung zu fordern. Geschieht
aber einem Deutschen eine Unbill — so geschieht nichts. Unsere Nation
schützt hier so wenig als sonstwo die Kinder ihres Landes. Preußen,
dessen Schutz die Meisten suchen, ist seiner unbedeutenden Marine und seines
geringen Seehandels wegen, eine zu kleine Macht, um hier mit gehöriger
Energie auftreten zu können; Oesterreich dagegen, mit seiner bedeutenden
Handels- und Kriegsmarine und seinen vielen Beziehungen zum Oriente,
ist leider Gottes durch die friedliebende Politik des Grafen Stürmer, der
alles durch Güte und Nachsicht beizulegen sich bemüht hat, zu energielos


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/422>, abgerufen am 22.07.2024.