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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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errichteten türkischen Sprachschule, wird in französischer Sprache unterrichtet,
obwohl die Anstalt von einem Deutschen gegründet ist; eben so in der Mi¬
litärschule, an der nnr deutsche (preußische) Offiziere angestellt sind, und allen
andern Instituten der Art, ja Se. kaiserliche Majestät selbst haben sich herabge¬
lassen einige Phrasen auswendig zu lernen, und sein stereotypes ,^e suis
conteiit ac vous et "1s vos Services" wird oft genug vom.souriiiü >le O""-
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den Ausländer den allbekannten Nischan-Orden oder Geldgeschenke ertheilt.
In Galata und Pera wird die französische Sprache bald die italienische und
griechische verdrängen; denn schon jetzt ist sie in allen Gesellschaften der Ge¬
bildeten ausschließend zur Konversation gebraucht und auch brieflich bedient
man sich nnr derselben. Die Ursache ist, daß die Erziehung der sogenann¬
ten Levantiner, d. h. der Kinder hier ansässiger Griechen, Italiener, Arme¬
nier, einzig den Händen der Lazaristen anvertraut ist. Sie haben hier drei
bedeutende Erziehungsanstalten, in denen sie ihre Erziehung vom 6. bis
zum 2">. Jahre erhalten; die Ausbildung ist nnr oberflächlicher Art und u"r
darauf berechnet, die französische Sprache und den französischen Geist mög¬
lichst zu verbreiten; die Kinder dürfen daher nur Französisch sprechen und
schreiben, und die Folge davon ist, daß sie in 8 -- I N Jahren, die sie dort
sind, ihre eigene Sprache so weit vergessen haben, daß sie es vorziehe"
mündlich und schriftlich von der französischen Gebrauch zu mache". Die
Bildung des weiblichen Geschlechtes ist gleichfalls ganz in den Handen fran¬
zösischer Lazaristinnen.

So weit die Erziehung; M"de und Industrie aber sind nicht minder
thätig, dem Interesse Frankreichs zu dienen. Es gibt Modistinnen und
Schneider von Paris, die dafür sorgen, das Aeußere herzustellen; dieZeituu-
gen sind voll von Annoncen aller Art, Pariser Glacehandschuhe werden neben
Parfümerien und Schönheitsmitteln ausgeboten, und selbst die Qrpsules cle
se-rue lie Litssillm fehlen nicht als unerläßlich zur Pariser Cultur gehörend.
Und man arbeitet nicht umsonst. Die levantinische Leichtfertigkeit findet Ge¬
schmack an französischer Oberflächlichkeit; man eignet sich einen Schein von
Bildung an, spricht zwei bis vier Sprachen, kleidet sich I." I>iuisiemie,
zieht glanzlcderne Stiefelchen an, geht ans dem großen Campo spazieren oder
reitet, fleht die de-in monde und läßt sich sehen, geht im Winter ans Bälle,
um die Polka auf Tod und Leben zu tanzen, geht mitunter in die italie¬
nische Oper oder auch in eine Pariser Konditorei, trinkt Limonade und
raucht eine Papiercigarrc, und das mit vieler Grazie ; -- dies das Leben
der Levantiner und auch der Levantiuerinnen, die dem männlichen Theil


errichteten türkischen Sprachschule, wird in französischer Sprache unterrichtet,
obwohl die Anstalt von einem Deutschen gegründet ist; eben so in der Mi¬
litärschule, an der nnr deutsche (preußische) Offiziere angestellt sind, und allen
andern Instituten der Art, ja Se. kaiserliche Majestät selbst haben sich herabge¬
lassen einige Phrasen auswendig zu lernen, und sein stereotypes ,^e suis
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den Ausländer den allbekannten Nischan-Orden oder Geldgeschenke ertheilt.
In Galata und Pera wird die französische Sprache bald die italienische und
griechische verdrängen; denn schon jetzt ist sie in allen Gesellschaften der Ge¬
bildeten ausschließend zur Konversation gebraucht und auch brieflich bedient
man sich nnr derselben. Die Ursache ist, daß die Erziehung der sogenann¬
ten Levantiner, d. h. der Kinder hier ansässiger Griechen, Italiener, Arme¬
nier, einzig den Händen der Lazaristen anvertraut ist. Sie haben hier drei
bedeutende Erziehungsanstalten, in denen sie ihre Erziehung vom 6. bis
zum 2«>. Jahre erhalten; die Ausbildung ist nnr oberflächlicher Art und u»r
darauf berechnet, die französische Sprache und den französischen Geist mög¬
lichst zu verbreiten; die Kinder dürfen daher nur Französisch sprechen und
schreiben, und die Folge davon ist, daß sie in 8 — I N Jahren, die sie dort
sind, ihre eigene Sprache so weit vergessen haben, daß sie es vorziehe»
mündlich und schriftlich von der französischen Gebrauch zu mache». Die
Bildung des weiblichen Geschlechtes ist gleichfalls ganz in den Handen fran¬
zösischer Lazaristinnen.

So weit die Erziehung; M»de und Industrie aber sind nicht minder
thätig, dem Interesse Frankreichs zu dienen. Es gibt Modistinnen und
Schneider von Paris, die dafür sorgen, das Aeußere herzustellen; dieZeituu-
gen sind voll von Annoncen aller Art, Pariser Glacehandschuhe werden neben
Parfümerien und Schönheitsmitteln ausgeboten, und selbst die Qrpsules cle
se-rue lie Litssillm fehlen nicht als unerläßlich zur Pariser Cultur gehörend.
Und man arbeitet nicht umsonst. Die levantinische Leichtfertigkeit findet Ge¬
schmack an französischer Oberflächlichkeit; man eignet sich einen Schein von
Bildung an, spricht zwei bis vier Sprachen, kleidet sich I.» I>iuisiemie,
zieht glanzlcderne Stiefelchen an, geht ans dem großen Campo spazieren oder
reitet, fleht die de-in monde und läßt sich sehen, geht im Winter ans Bälle,
um die Polka auf Tod und Leben zu tanzen, geht mitunter in die italie¬
nische Oper oder auch in eine Pariser Konditorei, trinkt Limonade und
raucht eine Papiercigarrc, und das mit vieler Grazie ; — dies das Leben
der Levantiner und auch der Levantiuerinnen, die dem männlichen Theil


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[0420] errichteten türkischen Sprachschule, wird in französischer Sprache unterrichtet, obwohl die Anstalt von einem Deutschen gegründet ist; eben so in der Mi¬ litärschule, an der nnr deutsche (preußische) Offiziere angestellt sind, und allen andern Instituten der Art, ja Se. kaiserliche Majestät selbst haben sich herabge¬ lassen einige Phrasen auswendig zu lernen, und sein stereotypes ,^e suis conteiit ac vous et «1s vos Services" wird oft genug vom.souriiiü >le O»»- »t!nemo>>el angeführt, wenn er z. B. irgend einem in seinem Dienste stehen¬ den Ausländer den allbekannten Nischan-Orden oder Geldgeschenke ertheilt. In Galata und Pera wird die französische Sprache bald die italienische und griechische verdrängen; denn schon jetzt ist sie in allen Gesellschaften der Ge¬ bildeten ausschließend zur Konversation gebraucht und auch brieflich bedient man sich nnr derselben. Die Ursache ist, daß die Erziehung der sogenann¬ ten Levantiner, d. h. der Kinder hier ansässiger Griechen, Italiener, Arme¬ nier, einzig den Händen der Lazaristen anvertraut ist. Sie haben hier drei bedeutende Erziehungsanstalten, in denen sie ihre Erziehung vom 6. bis zum 2«>. Jahre erhalten; die Ausbildung ist nnr oberflächlicher Art und u»r darauf berechnet, die französische Sprache und den französischen Geist mög¬ lichst zu verbreiten; die Kinder dürfen daher nur Französisch sprechen und schreiben, und die Folge davon ist, daß sie in 8 — I N Jahren, die sie dort sind, ihre eigene Sprache so weit vergessen haben, daß sie es vorziehe» mündlich und schriftlich von der französischen Gebrauch zu mache». Die Bildung des weiblichen Geschlechtes ist gleichfalls ganz in den Handen fran¬ zösischer Lazaristinnen. So weit die Erziehung; M»de und Industrie aber sind nicht minder thätig, dem Interesse Frankreichs zu dienen. Es gibt Modistinnen und Schneider von Paris, die dafür sorgen, das Aeußere herzustellen; dieZeituu- gen sind voll von Annoncen aller Art, Pariser Glacehandschuhe werden neben Parfümerien und Schönheitsmitteln ausgeboten, und selbst die Qrpsules cle se-rue lie Litssillm fehlen nicht als unerläßlich zur Pariser Cultur gehörend. Und man arbeitet nicht umsonst. Die levantinische Leichtfertigkeit findet Ge¬ schmack an französischer Oberflächlichkeit; man eignet sich einen Schein von Bildung an, spricht zwei bis vier Sprachen, kleidet sich I.» I>iuisiemie, zieht glanzlcderne Stiefelchen an, geht ans dem großen Campo spazieren oder reitet, fleht die de-in monde und läßt sich sehen, geht im Winter ans Bälle, um die Polka auf Tod und Leben zu tanzen, geht mitunter in die italie¬ nische Oper oder auch in eine Pariser Konditorei, trinkt Limonade und raucht eine Papiercigarrc, und das mit vieler Grazie ; — dies das Leben der Levantiner und auch der Levantiuerinnen, die dem männlichen Theil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/420>, abgerufen am 22.07.2024.