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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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ihren christlichen Mitbürgern und die Vorlage eines neuen, auf dieser Grundlage
beruhenden Gesetzentwurfs beantragen.

Wir halten diese Schrift in allen ihren Theilen der vollsten Beachtung
werth und werden im weiteren Verlauf der Frage aus sie zurückkommen. Die
Judenfrage hängt in einem so vorangeschrittenen Staate wie Preußen -- wo nicht
Faulheit und Lässigkeit der Regicrungsarbciten die Schuld trägt, wenn mittel¬
alterliche Zustände beibehalten werden, wie in anderen Staaten -- zu tief mit den
Glaubens- und Bürgcrsreihciten anderer Kirchen zusammen, um die Judenangc-
legenhcit als eine isolirte zu betrachten. Wenn die Juden von Professuren,
Stadtämtern u. f w. aus dem Grunde ausgeschlossen werden sollen, damit sie
keine Autorität über Andersgläubige ausüben, wer bürgt uns dafür, daß nicht
ein ähnliches Prinzip in Bezug aus andere Confessionen, z. B. die Katho¬
liken, geltend gemacht werde? Man wende uns nicht ein, daß die Thatsache
dagegen ist; allerdings ist mit anerkennungswerther Gleichheit und Gerechtigkeit
die katholische Bevölkerung überall bei uns vertreten, an der Universität, im
Ministerium, in der Diplomatie, in der Beamtenwelt; aber wer bürgt für da"
Bestehen dieses Prinzips, wenn in der Judensache eine neue Verordnung,
ältere Zusicherungen, ja sogar ältere Praxis aufzuheben berechtigt ist.


-!--
U1.
Aus Prag
Ständische Verhandlungen.

Die am 27. Mai eröffnete Landtagsversammlung, welche das Steuerpostulat
für l848 zu berathen hatte, nahm volle drei Tage in Anspruch. Ihr Resultat,
als theilweise Ablehnung des Postulates ist ein sehr beachtenswerthes Ereigniß,
welches das gespannte Verhältniß zwischen Regierung und Ständen kaum min¬
dern dürste.

Zu näherem Verständnisse des Ganges, welchen die Verhandlungen diesmal
genommen, muß erwähnt werden, daß schon im Jahre 1845 den Ständen ange¬
sonnen worden sei, einen Theil der Kosten der Crinnnalrechtspflege des Lande"
zu übernehmen und auf das Land umzulegen, indem der Criminalfond nicht aus¬
reiche. Die Stände erklärten damals sich diesem Ansinnen bereitwillig fügen zu
wollen, wenn die Regierung ihrerseits verschiedene Gebrechen der Criminalrechts-
pflege, welche die Stände aufzählten, beseitige. Eine bedingte Zusage fand man
hohen Ortes nicht genehm und ließ die ständische Propositivn unerledigt; dagegen
wurde das Steuerpostulat für das Jahr 1846 um 50,000 si. Couvert.-Münze
erhöhet, welche, wie man vermuthete, jene Dotation der Kriminalgerichte decken
sollten "). Nachdem der geistliche Stand, welcher gemäß der Verfassung das erste



Diese Frage ist -- einem andern uns vorliegenden Bericht zu Folge -- bereit"!
seit ISZS bei den Ständen anhängig. Die Regierung stellte damals das Ansinnen, diese
Summe aus die Grundsteuer zu repartier,. Die Stände stellten jedoch vor, daß hie

ihren christlichen Mitbürgern und die Vorlage eines neuen, auf dieser Grundlage
beruhenden Gesetzentwurfs beantragen.

Wir halten diese Schrift in allen ihren Theilen der vollsten Beachtung
werth und werden im weiteren Verlauf der Frage aus sie zurückkommen. Die
Judenfrage hängt in einem so vorangeschrittenen Staate wie Preußen — wo nicht
Faulheit und Lässigkeit der Regicrungsarbciten die Schuld trägt, wenn mittel¬
alterliche Zustände beibehalten werden, wie in anderen Staaten — zu tief mit den
Glaubens- und Bürgcrsreihciten anderer Kirchen zusammen, um die Judenangc-
legenhcit als eine isolirte zu betrachten. Wenn die Juden von Professuren,
Stadtämtern u. f w. aus dem Grunde ausgeschlossen werden sollen, damit sie
keine Autorität über Andersgläubige ausüben, wer bürgt uns dafür, daß nicht
ein ähnliches Prinzip in Bezug aus andere Confessionen, z. B. die Katho¬
liken, geltend gemacht werde? Man wende uns nicht ein, daß die Thatsache
dagegen ist; allerdings ist mit anerkennungswerther Gleichheit und Gerechtigkeit
die katholische Bevölkerung überall bei uns vertreten, an der Universität, im
Ministerium, in der Diplomatie, in der Beamtenwelt; aber wer bürgt für da«
Bestehen dieses Prinzips, wenn in der Judensache eine neue Verordnung,
ältere Zusicherungen, ja sogar ältere Praxis aufzuheben berechtigt ist.


-!--
U1.
Aus Prag
Ständische Verhandlungen.

Die am 27. Mai eröffnete Landtagsversammlung, welche das Steuerpostulat
für l848 zu berathen hatte, nahm volle drei Tage in Anspruch. Ihr Resultat,
als theilweise Ablehnung des Postulates ist ein sehr beachtenswerthes Ereigniß,
welches das gespannte Verhältniß zwischen Regierung und Ständen kaum min¬
dern dürste.

Zu näherem Verständnisse des Ganges, welchen die Verhandlungen diesmal
genommen, muß erwähnt werden, daß schon im Jahre 1845 den Ständen ange¬
sonnen worden sei, einen Theil der Kosten der Crinnnalrechtspflege des Lande«
zu übernehmen und auf das Land umzulegen, indem der Criminalfond nicht aus¬
reiche. Die Stände erklärten damals sich diesem Ansinnen bereitwillig fügen zu
wollen, wenn die Regierung ihrerseits verschiedene Gebrechen der Criminalrechts-
pflege, welche die Stände aufzählten, beseitige. Eine bedingte Zusage fand man
hohen Ortes nicht genehm und ließ die ständische Propositivn unerledigt; dagegen
wurde das Steuerpostulat für das Jahr 1846 um 50,000 si. Couvert.-Münze
erhöhet, welche, wie man vermuthete, jene Dotation der Kriminalgerichte decken
sollten "). Nachdem der geistliche Stand, welcher gemäß der Verfassung das erste



Diese Frage ist — einem andern uns vorliegenden Bericht zu Folge — bereit«!
seit ISZS bei den Ständen anhängig. Die Regierung stellte damals das Ansinnen, diese
Summe aus die Grundsteuer zu repartier,. Die Stände stellten jedoch vor, daß hie
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[0410] ihren christlichen Mitbürgern und die Vorlage eines neuen, auf dieser Grundlage beruhenden Gesetzentwurfs beantragen. Wir halten diese Schrift in allen ihren Theilen der vollsten Beachtung werth und werden im weiteren Verlauf der Frage aus sie zurückkommen. Die Judenfrage hängt in einem so vorangeschrittenen Staate wie Preußen — wo nicht Faulheit und Lässigkeit der Regicrungsarbciten die Schuld trägt, wenn mittel¬ alterliche Zustände beibehalten werden, wie in anderen Staaten — zu tief mit den Glaubens- und Bürgcrsreihciten anderer Kirchen zusammen, um die Judenangc- legenhcit als eine isolirte zu betrachten. Wenn die Juden von Professuren, Stadtämtern u. f w. aus dem Grunde ausgeschlossen werden sollen, damit sie keine Autorität über Andersgläubige ausüben, wer bürgt uns dafür, daß nicht ein ähnliches Prinzip in Bezug aus andere Confessionen, z. B. die Katho¬ liken, geltend gemacht werde? Man wende uns nicht ein, daß die Thatsache dagegen ist; allerdings ist mit anerkennungswerther Gleichheit und Gerechtigkeit die katholische Bevölkerung überall bei uns vertreten, an der Universität, im Ministerium, in der Diplomatie, in der Beamtenwelt; aber wer bürgt für da« Bestehen dieses Prinzips, wenn in der Judensache eine neue Verordnung, ältere Zusicherungen, ja sogar ältere Praxis aufzuheben berechtigt ist. -!-- U1. Aus Prag Ständische Verhandlungen. Die am 27. Mai eröffnete Landtagsversammlung, welche das Steuerpostulat für l848 zu berathen hatte, nahm volle drei Tage in Anspruch. Ihr Resultat, als theilweise Ablehnung des Postulates ist ein sehr beachtenswerthes Ereigniß, welches das gespannte Verhältniß zwischen Regierung und Ständen kaum min¬ dern dürste. Zu näherem Verständnisse des Ganges, welchen die Verhandlungen diesmal genommen, muß erwähnt werden, daß schon im Jahre 1845 den Ständen ange¬ sonnen worden sei, einen Theil der Kosten der Crinnnalrechtspflege des Lande« zu übernehmen und auf das Land umzulegen, indem der Criminalfond nicht aus¬ reiche. Die Stände erklärten damals sich diesem Ansinnen bereitwillig fügen zu wollen, wenn die Regierung ihrerseits verschiedene Gebrechen der Criminalrechts- pflege, welche die Stände aufzählten, beseitige. Eine bedingte Zusage fand man hohen Ortes nicht genehm und ließ die ständische Propositivn unerledigt; dagegen wurde das Steuerpostulat für das Jahr 1846 um 50,000 si. Couvert.-Münze erhöhet, welche, wie man vermuthete, jene Dotation der Kriminalgerichte decken sollten "). Nachdem der geistliche Stand, welcher gemäß der Verfassung das erste Diese Frage ist — einem andern uns vorliegenden Bericht zu Folge — bereit«! seit ISZS bei den Ständen anhängig. Die Regierung stellte damals das Ansinnen, diese Summe aus die Grundsteuer zu repartier,. Die Stände stellten jedoch vor, daß hie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/410>, abgerufen am 24.08.2024.