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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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wen entlehnt, oder hat man diese Mädchen nach den berühmten Romanfiguren
getauft? Ich glaube, das letztere ist wahrscheinlich, denn wie lange dauert die
Berühmtheit dieser Geschöpfe? In diesem Augenblicke ist Eine vor Allen die Lö¬
win der LKiuimiere, Alles drängt sich hin, wo sie tanzt im schwarzen Kleide,
mit dem grauen Hute und dem koquctt halb über das Gesicht geschlagenen wei¬
ßen Schleier. Und in der That, die größten Tänzerinnen aller Länder und Zei¬
ten konnten unmöglich mehr Grazie haben, mehr Schelmerei, ein schöneres Lä¬
cheln, einen leichteren Fuß. Die berühmte Herodias konnte nicht bezaubernder
tanzen, als Rigolette...

Erst jetzt, da ich diesen Namen hingeschrieben und inne halte, komme ich zu
mir, und werde schamroth darüber, daß ich in der Lust des Schreibens so einen
Pack toller Dinge aufs Papier werfen konnte. Was werden die Leser der Grenz¬
boten sagen, wenn sie in der Korrespondenz aus Paris nur vom Cancan und
(!Kaui"it!!'k, von Kill NilbiUe und Rigolette lesen? In diesem Augenblicke freut
es mich, daß ich in der Tarnkappe der Anonymität stecke und mit moralischer Be¬
ruhigung erkenne ich es, daß ich in den Grenzboten einen Nachbar habe, der we¬
niger leichtsinnig als ich, und dabei besser unterrichtet Ihnen die Neuigkeiten des
Tages über die ministerielle Krisis, über den vermuthliche" Erben des Cabinets
in s. w. bringen wird.

Ich selbst hätte Ihnen gerne noch etwas von den letzten Vorstellungen der
Rachel, von ihrer Abreise, von Paris und von der denkwürdigen Möbellicitation
erzählt, die die große Schauspielerin veranstaltete und bei welcher, als das elfen¬
beinerne Bett der Rachel an die Reihe kam, sich ein Kampf zwischen den par-
lait8 Amen>i<inne8 von Paris entspann, der nur in dem großen Kampfe um die
Waffen Hektors ein Gleiches findet -- doch es ist spät geworden und das anbe¬
raumte Maaß der Korrespondenz ist längst überschritten.


Ä....d.
2^

von mots von Guizot und Danton. -- Sonnemvunber. -- O'Connel und der
Katholicismus. -- Alt- und Jungirland.

Man erzählte sich gestern in einer Gesellschaft mehr oder weniger politischen
und parlamentarischen Charakters, daß Herr Guizot geäußert haben solle: "Nun
sei das Ministerium gerettet, denn das Wetter sei endlich schön geworden und
verspreche Beständigkeit/' Ich bürge nicht dafür, daß unser Mimsterpräsident
dies wirklich gesagt, sondern mir, daß man es ihm nachsagt. Der Schluß von
dem schönen Wetter auf die Beständigkeit der Minister läge darin, daß die Her¬
ren Deputirten nun nichts Eiligeres mehr zu thun hätten, als so rasch als mög¬
lich alle streitigen Fragen todt zu stimmen, um die Luft von Paris gegen die
ihrer Landhäuser einzutauschen. Die Anecdote erinnert an eine andere. Danton
sah einst zum Fenster hinaus und sagte: "Es regnet- -heute gibt's keine Revo¬
lution!" So ein wenig Sonnenschein ist doch am Ende noch zu etwas gut. Die
hohen Herren würden gar nicht merken, daß er Blumen und Blüthen treibt,


wen entlehnt, oder hat man diese Mädchen nach den berühmten Romanfiguren
getauft? Ich glaube, das letztere ist wahrscheinlich, denn wie lange dauert die
Berühmtheit dieser Geschöpfe? In diesem Augenblicke ist Eine vor Allen die Lö¬
win der LKiuimiere, Alles drängt sich hin, wo sie tanzt im schwarzen Kleide,
mit dem grauen Hute und dem koquctt halb über das Gesicht geschlagenen wei¬
ßen Schleier. Und in der That, die größten Tänzerinnen aller Länder und Zei¬
ten konnten unmöglich mehr Grazie haben, mehr Schelmerei, ein schöneres Lä¬
cheln, einen leichteren Fuß. Die berühmte Herodias konnte nicht bezaubernder
tanzen, als Rigolette...

Erst jetzt, da ich diesen Namen hingeschrieben und inne halte, komme ich zu
mir, und werde schamroth darüber, daß ich in der Lust des Schreibens so einen
Pack toller Dinge aufs Papier werfen konnte. Was werden die Leser der Grenz¬
boten sagen, wenn sie in der Korrespondenz aus Paris nur vom Cancan und
(!Kaui»it!!'k, von Kill NilbiUe und Rigolette lesen? In diesem Augenblicke freut
es mich, daß ich in der Tarnkappe der Anonymität stecke und mit moralischer Be¬
ruhigung erkenne ich es, daß ich in den Grenzboten einen Nachbar habe, der we¬
niger leichtsinnig als ich, und dabei besser unterrichtet Ihnen die Neuigkeiten des
Tages über die ministerielle Krisis, über den vermuthliche» Erben des Cabinets
in s. w. bringen wird.

Ich selbst hätte Ihnen gerne noch etwas von den letzten Vorstellungen der
Rachel, von ihrer Abreise, von Paris und von der denkwürdigen Möbellicitation
erzählt, die die große Schauspielerin veranstaltete und bei welcher, als das elfen¬
beinerne Bett der Rachel an die Reihe kam, sich ein Kampf zwischen den par-
lait8 Amen>i<inne8 von Paris entspann, der nur in dem großen Kampfe um die
Waffen Hektors ein Gleiches findet — doch es ist spät geworden und das anbe¬
raumte Maaß der Korrespondenz ist längst überschritten.


Ä....d.
2^

von mots von Guizot und Danton. — Sonnemvunber. — O'Connel und der
Katholicismus. — Alt- und Jungirland.

Man erzählte sich gestern in einer Gesellschaft mehr oder weniger politischen
und parlamentarischen Charakters, daß Herr Guizot geäußert haben solle: „Nun
sei das Ministerium gerettet, denn das Wetter sei endlich schön geworden und
verspreche Beständigkeit/' Ich bürge nicht dafür, daß unser Mimsterpräsident
dies wirklich gesagt, sondern mir, daß man es ihm nachsagt. Der Schluß von
dem schönen Wetter auf die Beständigkeit der Minister läge darin, daß die Her¬
ren Deputirten nun nichts Eiligeres mehr zu thun hätten, als so rasch als mög¬
lich alle streitigen Fragen todt zu stimmen, um die Luft von Paris gegen die
ihrer Landhäuser einzutauschen. Die Anecdote erinnert an eine andere. Danton
sah einst zum Fenster hinaus und sagte: „Es regnet- -heute gibt's keine Revo¬
lution!" So ein wenig Sonnenschein ist doch am Ende noch zu etwas gut. Die
hohen Herren würden gar nicht merken, daß er Blumen und Blüthen treibt,


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[0403] wen entlehnt, oder hat man diese Mädchen nach den berühmten Romanfiguren getauft? Ich glaube, das letztere ist wahrscheinlich, denn wie lange dauert die Berühmtheit dieser Geschöpfe? In diesem Augenblicke ist Eine vor Allen die Lö¬ win der LKiuimiere, Alles drängt sich hin, wo sie tanzt im schwarzen Kleide, mit dem grauen Hute und dem koquctt halb über das Gesicht geschlagenen wei¬ ßen Schleier. Und in der That, die größten Tänzerinnen aller Länder und Zei¬ ten konnten unmöglich mehr Grazie haben, mehr Schelmerei, ein schöneres Lä¬ cheln, einen leichteren Fuß. Die berühmte Herodias konnte nicht bezaubernder tanzen, als Rigolette... Erst jetzt, da ich diesen Namen hingeschrieben und inne halte, komme ich zu mir, und werde schamroth darüber, daß ich in der Lust des Schreibens so einen Pack toller Dinge aufs Papier werfen konnte. Was werden die Leser der Grenz¬ boten sagen, wenn sie in der Korrespondenz aus Paris nur vom Cancan und (!Kaui»it!!'k, von Kill NilbiUe und Rigolette lesen? In diesem Augenblicke freut es mich, daß ich in der Tarnkappe der Anonymität stecke und mit moralischer Be¬ ruhigung erkenne ich es, daß ich in den Grenzboten einen Nachbar habe, der we¬ niger leichtsinnig als ich, und dabei besser unterrichtet Ihnen die Neuigkeiten des Tages über die ministerielle Krisis, über den vermuthliche» Erben des Cabinets in s. w. bringen wird. Ich selbst hätte Ihnen gerne noch etwas von den letzten Vorstellungen der Rachel, von ihrer Abreise, von Paris und von der denkwürdigen Möbellicitation erzählt, die die große Schauspielerin veranstaltete und bei welcher, als das elfen¬ beinerne Bett der Rachel an die Reihe kam, sich ein Kampf zwischen den par- lait8 Amen>i<inne8 von Paris entspann, der nur in dem großen Kampfe um die Waffen Hektors ein Gleiches findet — doch es ist spät geworden und das anbe¬ raumte Maaß der Korrespondenz ist längst überschritten. Ä....d. 2^ von mots von Guizot und Danton. — Sonnemvunber. — O'Connel und der Katholicismus. — Alt- und Jungirland. Man erzählte sich gestern in einer Gesellschaft mehr oder weniger politischen und parlamentarischen Charakters, daß Herr Guizot geäußert haben solle: „Nun sei das Ministerium gerettet, denn das Wetter sei endlich schön geworden und verspreche Beständigkeit/' Ich bürge nicht dafür, daß unser Mimsterpräsident dies wirklich gesagt, sondern mir, daß man es ihm nachsagt. Der Schluß von dem schönen Wetter auf die Beständigkeit der Minister läge darin, daß die Her¬ ren Deputirten nun nichts Eiligeres mehr zu thun hätten, als so rasch als mög¬ lich alle streitigen Fragen todt zu stimmen, um die Luft von Paris gegen die ihrer Landhäuser einzutauschen. Die Anecdote erinnert an eine andere. Danton sah einst zum Fenster hinaus und sagte: „Es regnet- -heute gibt's keine Revo¬ lution!" So ein wenig Sonnenschein ist doch am Ende noch zu etwas gut. Die hohen Herren würden gar nicht merken, daß er Blumen und Blüthen treibt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/403>, abgerufen am 22.07.2024.