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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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unsern Landtagen ist er gesetzlich ausgeschlossen. In großen .allgemeine,: Fra¬
gen wird ihm daher nur selten eine Stimme gewährt, aber auch sein be¬
schränktes Wirken hat keinen Wächter im Volke, keinen Sporn der öffentli¬
chen Würdigung, der todte Buchstabe vermittelt bei uns jede Verhandlung,
selbst die sogenannte mündliche; außer den Streitführenden liest und beur¬
theilt sie nur der Richter. Geld also und wieder um Geld ist der Lohn
seiner Arbeit, dies war es ja, was man ihm seit dem Beginn seines Brod¬
studiums in Aussicht stellte. Wie wäre anch bei uns die Jugend mit dem
Interesse der Wissenschaft, der Philosophie des Rechts zu gewinnen? Einige
bescheidene Vorbegriffe von Naturrecht und Politik -abgerechnet, bilden ja
fast lauter Gesetzbücher und Verordnungen die einzigen Leitfäden unsers ju¬
ridischen Unterrichts, was fordert da zur Frage auf, ob das Unumstößliche
gut, oder Besseres an seine Stelle zu setzen, und welches Verdienst könnte
man dabei ernten? Geraume Zeit war es sogar untersagt, entschiedene Nechts-
sälle bekannt zu geben, geschweige denn darüber anderer Meinung zu sein
als der Richter; ein paar Jahrzehente früher durfte unser bester Civilrcchts-
lehrer Dr. Schuster in Prag seinen raisonnirenden Commentar über das all¬
gemeine bürgerliche Gesetzbuch nicht mehr fortsetzen, und Kaiser Franz I. be¬
tonte es, daß er keine Gelehrte, sondern nur taugliche Beamte wolle. Was
Wunder, wenn unsere Juristerei keine höhere Aufgabe keimt, als Gesetze aus¬
legen, Verordnungen sammeln und einzelne Entscheidungen rühmen! Fordert
ihr also nicht Unbilliges, wenn ihr nach diesem Bildungsgange Advokaten
wollt, die den goldwerthen Schlendrian dem Gemeinwohl aufopfern, und
wenn auch nur mit solchen, die eben so wie sie "Paragraphvs wohl einstu-
dirt," dem durch tiefe Bücklinge und hohe Protektion heiß errungenen Sitz
an der Kasse theilen sollen? Und endlich was würde dadurch errungen?
Stände es zu erwarten, daß sich diese Herren, in einer und derselben Schule
erzogen, gegenseitig heruntersteigern würden in ihren Ansprüchen an die Be¬
drängten und Hülfsbedürftigen? O nein, die des Monopols Verlustigen
blieben bei den alten Taxen, dem alten schleichenden, wohlnährenden Systeme,
dem alten Luxus, und ihre neuen Collegen wollten auch nicht die schlechtem
sein, Tafeln und Häuser kaufen wie ihre Meister, und schätzten ihre Arbeit
gewiß nicht geringer als die andern. Damit wäre also nichts gebessert, der
alte Stamm ist hohl und seiue Wurzeln sind mürbe geworden, er muß neue
fassen, neue kräftige Schosse treiben, dazu braucht es aber auch frische ncchrungs-
haltige Erde. Gebt frei das Wort auf euren Lehrstnhlen, frei Wissen und
Forschung, Meinung und Tadel, dann wird wahres Verdienst im Preise
steigen, Protection außer Mode kommen, nur wackere Gesinnung die Ver-


unsern Landtagen ist er gesetzlich ausgeschlossen. In großen .allgemeine,: Fra¬
gen wird ihm daher nur selten eine Stimme gewährt, aber auch sein be¬
schränktes Wirken hat keinen Wächter im Volke, keinen Sporn der öffentli¬
chen Würdigung, der todte Buchstabe vermittelt bei uns jede Verhandlung,
selbst die sogenannte mündliche; außer den Streitführenden liest und beur¬
theilt sie nur der Richter. Geld also und wieder um Geld ist der Lohn
seiner Arbeit, dies war es ja, was man ihm seit dem Beginn seines Brod¬
studiums in Aussicht stellte. Wie wäre anch bei uns die Jugend mit dem
Interesse der Wissenschaft, der Philosophie des Rechts zu gewinnen? Einige
bescheidene Vorbegriffe von Naturrecht und Politik -abgerechnet, bilden ja
fast lauter Gesetzbücher und Verordnungen die einzigen Leitfäden unsers ju¬
ridischen Unterrichts, was fordert da zur Frage auf, ob das Unumstößliche
gut, oder Besseres an seine Stelle zu setzen, und welches Verdienst könnte
man dabei ernten? Geraume Zeit war es sogar untersagt, entschiedene Nechts-
sälle bekannt zu geben, geschweige denn darüber anderer Meinung zu sein
als der Richter; ein paar Jahrzehente früher durfte unser bester Civilrcchts-
lehrer Dr. Schuster in Prag seinen raisonnirenden Commentar über das all¬
gemeine bürgerliche Gesetzbuch nicht mehr fortsetzen, und Kaiser Franz I. be¬
tonte es, daß er keine Gelehrte, sondern nur taugliche Beamte wolle. Was
Wunder, wenn unsere Juristerei keine höhere Aufgabe keimt, als Gesetze aus¬
legen, Verordnungen sammeln und einzelne Entscheidungen rühmen! Fordert
ihr also nicht Unbilliges, wenn ihr nach diesem Bildungsgange Advokaten
wollt, die den goldwerthen Schlendrian dem Gemeinwohl aufopfern, und
wenn auch nur mit solchen, die eben so wie sie „Paragraphvs wohl einstu-
dirt," dem durch tiefe Bücklinge und hohe Protektion heiß errungenen Sitz
an der Kasse theilen sollen? Und endlich was würde dadurch errungen?
Stände es zu erwarten, daß sich diese Herren, in einer und derselben Schule
erzogen, gegenseitig heruntersteigern würden in ihren Ansprüchen an die Be¬
drängten und Hülfsbedürftigen? O nein, die des Monopols Verlustigen
blieben bei den alten Taxen, dem alten schleichenden, wohlnährenden Systeme,
dem alten Luxus, und ihre neuen Collegen wollten auch nicht die schlechtem
sein, Tafeln und Häuser kaufen wie ihre Meister, und schätzten ihre Arbeit
gewiß nicht geringer als die andern. Damit wäre also nichts gebessert, der
alte Stamm ist hohl und seiue Wurzeln sind mürbe geworden, er muß neue
fassen, neue kräftige Schosse treiben, dazu braucht es aber auch frische ncchrungs-
haltige Erde. Gebt frei das Wort auf euren Lehrstnhlen, frei Wissen und
Forschung, Meinung und Tadel, dann wird wahres Verdienst im Preise
steigen, Protection außer Mode kommen, nur wackere Gesinnung die Ver-


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[0395] unsern Landtagen ist er gesetzlich ausgeschlossen. In großen .allgemeine,: Fra¬ gen wird ihm daher nur selten eine Stimme gewährt, aber auch sein be¬ schränktes Wirken hat keinen Wächter im Volke, keinen Sporn der öffentli¬ chen Würdigung, der todte Buchstabe vermittelt bei uns jede Verhandlung, selbst die sogenannte mündliche; außer den Streitführenden liest und beur¬ theilt sie nur der Richter. Geld also und wieder um Geld ist der Lohn seiner Arbeit, dies war es ja, was man ihm seit dem Beginn seines Brod¬ studiums in Aussicht stellte. Wie wäre anch bei uns die Jugend mit dem Interesse der Wissenschaft, der Philosophie des Rechts zu gewinnen? Einige bescheidene Vorbegriffe von Naturrecht und Politik -abgerechnet, bilden ja fast lauter Gesetzbücher und Verordnungen die einzigen Leitfäden unsers ju¬ ridischen Unterrichts, was fordert da zur Frage auf, ob das Unumstößliche gut, oder Besseres an seine Stelle zu setzen, und welches Verdienst könnte man dabei ernten? Geraume Zeit war es sogar untersagt, entschiedene Nechts- sälle bekannt zu geben, geschweige denn darüber anderer Meinung zu sein als der Richter; ein paar Jahrzehente früher durfte unser bester Civilrcchts- lehrer Dr. Schuster in Prag seinen raisonnirenden Commentar über das all¬ gemeine bürgerliche Gesetzbuch nicht mehr fortsetzen, und Kaiser Franz I. be¬ tonte es, daß er keine Gelehrte, sondern nur taugliche Beamte wolle. Was Wunder, wenn unsere Juristerei keine höhere Aufgabe keimt, als Gesetze aus¬ legen, Verordnungen sammeln und einzelne Entscheidungen rühmen! Fordert ihr also nicht Unbilliges, wenn ihr nach diesem Bildungsgange Advokaten wollt, die den goldwerthen Schlendrian dem Gemeinwohl aufopfern, und wenn auch nur mit solchen, die eben so wie sie „Paragraphvs wohl einstu- dirt," dem durch tiefe Bücklinge und hohe Protektion heiß errungenen Sitz an der Kasse theilen sollen? Und endlich was würde dadurch errungen? Stände es zu erwarten, daß sich diese Herren, in einer und derselben Schule erzogen, gegenseitig heruntersteigern würden in ihren Ansprüchen an die Be¬ drängten und Hülfsbedürftigen? O nein, die des Monopols Verlustigen blieben bei den alten Taxen, dem alten schleichenden, wohlnährenden Systeme, dem alten Luxus, und ihre neuen Collegen wollten auch nicht die schlechtem sein, Tafeln und Häuser kaufen wie ihre Meister, und schätzten ihre Arbeit gewiß nicht geringer als die andern. Damit wäre also nichts gebessert, der alte Stamm ist hohl und seiue Wurzeln sind mürbe geworden, er muß neue fassen, neue kräftige Schosse treiben, dazu braucht es aber auch frische ncchrungs- haltige Erde. Gebt frei das Wort auf euren Lehrstnhlen, frei Wissen und Forschung, Meinung und Tadel, dann wird wahres Verdienst im Preise steigen, Protection außer Mode kommen, nur wackere Gesinnung die Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/395>, abgerufen am 22.07.2024.