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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Publikum gewissermaß en in's Angesicht zu schleudern und die weitere Aus-
führung dieses Thema's in einer der verbreitesten belletristischen Zeitschriften,
im Morgenblatte, verschafften ihm nicht nnr in Deutschland, sondern auch
im Auslande ein bedeutendes Ansehen. Und darüber darf man sich nicht
wundern, wenn man bedenkt, daß bis dahin noch Niemand auf diesem Ge¬
biete den literarischen Persönlichkeiten und dem deutschen Philister so zu
Leibe gegangen war. Schon die Keckheit, die er dabei gezeigt und die frische
Kampflust mußte gefallen, und mancher Hieb, den er austheilte, saß, daß
es eine Lust war. Aber leider fehlte Menzel'n Alles, um auf die Dauer
dieses schnell gewonnene Ansehn zu behaupten. Der Mangel an Gründlich¬
keit, die Anmaßung im Urtheil, die Verunglimpfung des Genies, die er
besonders in den wahrhaft lächerlichen Angriffen auf Göthe verschuldete,
endlich das Unwürdige des Ton's -- alle diese Fehler mußten der öffent¬
lichen Meinung zu seinem Nachtheile immer mehr klar werden. Je entschie¬
dener man ihm aber entgegentrat, desto mehr versteckte er sich in der Ueber¬
treibung der Ansichten, die er früher ausgesprochen. Er hat sich abgenutzt,
hat sich überlebt, darüber ist wohl jetzt kein Zweifel mehr. Allein abgesehen
von den vielen treffenden Bemerkungen seiner Literaturgeschichte, die zum
Theil selbst eine richtigere Auffassung der deutschen Literatur auf einem hö¬
heren Standpunkt vorbereitet haben, hat sein Buch auch noch die besondere
Bedeutung, eine eigene Art von Literaturgeschichte bei uns eingeführt zu
haben, die ein ansehnlicher Theil des Publikums bei unsern jetzigen
Bildungsverhältnissen nicht entbehren kann. Die ersten Erfordernisse in
solchen Büchern sind sogenannter Esprit und eleganter oder pikanter Styl,
denn das Publikum, welches ich meine , bewegt sich sonst vorzugsweise im
sozialen Leben und in der Journalliteratur. Für dieses Bedürfniß haben in
der folgenden Zeit mehrere gewandte Schriftsteller wie Gutzkow, Laube,
Marggraff, Mundt und Andere, natürlich Jeder von seinem eigenthüm¬
lichen Standpunkte aus mit mehr oder minder vorübergehendem Erfolge ge¬
schrieben, aber ebeu weil sie nnr auf kurze Zeit vorzugsweise in der obenge
nannten Sphäre wirkten und auf die Entwickelung der eigentlichen Geschichte
der Literatur keinen bedeutenden Einfluß hatten, so ist es nicht nöthig, län¬
ger bei ihnen zu verweilen, zumal da sie sich zum Theil an der eigentlichen
Production betheiligt und hierin eine Stellung gewonnen haben, welche sie
vorzugsweise dem Publikum lieb gemacht hat. --

Und hiermit sind wir schon in die neueste Zeit eingetreten, in die Zeit
der politischen und literarischen Gesinnung seit dem Jahre 1830. -- Die
ganze junge Literatur mußte, um Raum zu gewinnen, vorzugsweise kritisch


Publikum gewissermaß en in's Angesicht zu schleudern und die weitere Aus-
führung dieses Thema's in einer der verbreitesten belletristischen Zeitschriften,
im Morgenblatte, verschafften ihm nicht nnr in Deutschland, sondern auch
im Auslande ein bedeutendes Ansehen. Und darüber darf man sich nicht
wundern, wenn man bedenkt, daß bis dahin noch Niemand auf diesem Ge¬
biete den literarischen Persönlichkeiten und dem deutschen Philister so zu
Leibe gegangen war. Schon die Keckheit, die er dabei gezeigt und die frische
Kampflust mußte gefallen, und mancher Hieb, den er austheilte, saß, daß
es eine Lust war. Aber leider fehlte Menzel'n Alles, um auf die Dauer
dieses schnell gewonnene Ansehn zu behaupten. Der Mangel an Gründlich¬
keit, die Anmaßung im Urtheil, die Verunglimpfung des Genies, die er
besonders in den wahrhaft lächerlichen Angriffen auf Göthe verschuldete,
endlich das Unwürdige des Ton's — alle diese Fehler mußten der öffent¬
lichen Meinung zu seinem Nachtheile immer mehr klar werden. Je entschie¬
dener man ihm aber entgegentrat, desto mehr versteckte er sich in der Ueber¬
treibung der Ansichten, die er früher ausgesprochen. Er hat sich abgenutzt,
hat sich überlebt, darüber ist wohl jetzt kein Zweifel mehr. Allein abgesehen
von den vielen treffenden Bemerkungen seiner Literaturgeschichte, die zum
Theil selbst eine richtigere Auffassung der deutschen Literatur auf einem hö¬
heren Standpunkt vorbereitet haben, hat sein Buch auch noch die besondere
Bedeutung, eine eigene Art von Literaturgeschichte bei uns eingeführt zu
haben, die ein ansehnlicher Theil des Publikums bei unsern jetzigen
Bildungsverhältnissen nicht entbehren kann. Die ersten Erfordernisse in
solchen Büchern sind sogenannter Esprit und eleganter oder pikanter Styl,
denn das Publikum, welches ich meine , bewegt sich sonst vorzugsweise im
sozialen Leben und in der Journalliteratur. Für dieses Bedürfniß haben in
der folgenden Zeit mehrere gewandte Schriftsteller wie Gutzkow, Laube,
Marggraff, Mundt und Andere, natürlich Jeder von seinem eigenthüm¬
lichen Standpunkte aus mit mehr oder minder vorübergehendem Erfolge ge¬
schrieben, aber ebeu weil sie nnr auf kurze Zeit vorzugsweise in der obenge
nannten Sphäre wirkten und auf die Entwickelung der eigentlichen Geschichte
der Literatur keinen bedeutenden Einfluß hatten, so ist es nicht nöthig, län¬
ger bei ihnen zu verweilen, zumal da sie sich zum Theil an der eigentlichen
Production betheiligt und hierin eine Stellung gewonnen haben, welche sie
vorzugsweise dem Publikum lieb gemacht hat. —

Und hiermit sind wir schon in die neueste Zeit eingetreten, in die Zeit
der politischen und literarischen Gesinnung seit dem Jahre 1830. — Die
ganze junge Literatur mußte, um Raum zu gewinnen, vorzugsweise kritisch


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[0385] Publikum gewissermaß en in's Angesicht zu schleudern und die weitere Aus- führung dieses Thema's in einer der verbreitesten belletristischen Zeitschriften, im Morgenblatte, verschafften ihm nicht nnr in Deutschland, sondern auch im Auslande ein bedeutendes Ansehen. Und darüber darf man sich nicht wundern, wenn man bedenkt, daß bis dahin noch Niemand auf diesem Ge¬ biete den literarischen Persönlichkeiten und dem deutschen Philister so zu Leibe gegangen war. Schon die Keckheit, die er dabei gezeigt und die frische Kampflust mußte gefallen, und mancher Hieb, den er austheilte, saß, daß es eine Lust war. Aber leider fehlte Menzel'n Alles, um auf die Dauer dieses schnell gewonnene Ansehn zu behaupten. Der Mangel an Gründlich¬ keit, die Anmaßung im Urtheil, die Verunglimpfung des Genies, die er besonders in den wahrhaft lächerlichen Angriffen auf Göthe verschuldete, endlich das Unwürdige des Ton's — alle diese Fehler mußten der öffent¬ lichen Meinung zu seinem Nachtheile immer mehr klar werden. Je entschie¬ dener man ihm aber entgegentrat, desto mehr versteckte er sich in der Ueber¬ treibung der Ansichten, die er früher ausgesprochen. Er hat sich abgenutzt, hat sich überlebt, darüber ist wohl jetzt kein Zweifel mehr. Allein abgesehen von den vielen treffenden Bemerkungen seiner Literaturgeschichte, die zum Theil selbst eine richtigere Auffassung der deutschen Literatur auf einem hö¬ heren Standpunkt vorbereitet haben, hat sein Buch auch noch die besondere Bedeutung, eine eigene Art von Literaturgeschichte bei uns eingeführt zu haben, die ein ansehnlicher Theil des Publikums bei unsern jetzigen Bildungsverhältnissen nicht entbehren kann. Die ersten Erfordernisse in solchen Büchern sind sogenannter Esprit und eleganter oder pikanter Styl, denn das Publikum, welches ich meine , bewegt sich sonst vorzugsweise im sozialen Leben und in der Journalliteratur. Für dieses Bedürfniß haben in der folgenden Zeit mehrere gewandte Schriftsteller wie Gutzkow, Laube, Marggraff, Mundt und Andere, natürlich Jeder von seinem eigenthüm¬ lichen Standpunkte aus mit mehr oder minder vorübergehendem Erfolge ge¬ schrieben, aber ebeu weil sie nnr auf kurze Zeit vorzugsweise in der obenge nannten Sphäre wirkten und auf die Entwickelung der eigentlichen Geschichte der Literatur keinen bedeutenden Einfluß hatten, so ist es nicht nöthig, län¬ ger bei ihnen zu verweilen, zumal da sie sich zum Theil an der eigentlichen Production betheiligt und hierin eine Stellung gewonnen haben, welche sie vorzugsweise dem Publikum lieb gemacht hat. — Und hiermit sind wir schon in die neueste Zeit eingetreten, in die Zeit der politischen und literarischen Gesinnung seit dem Jahre 1830. — Die ganze junge Literatur mußte, um Raum zu gewinnen, vorzugsweise kritisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/385>, abgerufen am 22.07.2024.