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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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in der That "acht sich diese in jugendlicher Kraft oft mehr geltend, als es
der Verfasser selber wollte und dachte. Trotz alledem ist aber darin ein un-
gemein reicher Inhalt und in der schönsten Form eines klaren und keuschen
Styls, der unserer Zeit, trotz der allgemein verbreiteten Gewandtheit und
Eleganz des Ausdrucks doch so ziemlich fremd geworden ist. Endlich sind
noch die spätern dramaturgischen Aufsätze von L. Tieck hierher zu rechnen.

Auf solche Lectüre wurden wir bei der eifrigen Beschäftigung mit un¬
sern Klassikern damals hingeführt, als wir zur Universität heranreiften und
dadurch wurde wohl auch in dem Einen und Andern der Wunsch erweckt,
die Entwickelung der Literatur, an der er sich in beseligender Naivetät er¬
baute, im Zusammenhange kritisch zu betrachten. Doch waren wir in der
Beziehung noch sehr bescheiden und leicht zu befriedigen. Da nahm man
wohl einmal zum Nachschlagen Bouterweck's Geschichte der Poesie und
Beredsamkeit vor, die von 1801 --19 erschienen war und im 9. bis 11.
Bande die deutsche Literatur behandelte, ein Buch, welches natürlich jetzt
ganz unbrauchbar ist, aber für seine Zeit ein reiches und später hier und
da benutztes Material der Literaturkenntniß, ja selbst einzelne Gesichtspunkte
der Beurtheilung darbot, die jetzt noch ihre volle Geltung haben, oder die
Rachträge zu Sulzer^s Theorie der schönen Künste oder wegen der beque¬
men Uebersicht, der vaterländischen Gesinnung und ansprechenden Form Wach-
ler's Vorlesungen über die Geschichte der deutschen Nationalliteratur, welche
1818 in bewegter Zeit gehalten und gedruckt worden waren und 1834 noch
einmal aufgelegt werden konnten. Hierbei wurde das eigne Urtheil berich¬
tigt und geläutert, die vielseitigere Theilnahme an den Erzeugnissen unserer
Literatur geweckt und das Bedürfniß einer historischen Behandlung der deut¬
schen Literatur uns immer mehr zum Bewußtsein gebracht.

Bevor aber das Bewußtsein dieses Bedürfnisses vollständig zur Reife
gelangen konnte, mußte ein Umschwung in der Literaturbetrachtung und Le¬
bensauffassung eintreten, der theils viele der zeither herrschenden Ansichten
einer allmäligen Auslosung unterwarf, theils nur freilich oft noch sehr form¬
lose Elemente einer neuen Entwickelung hervortreten ließ. Der scharfe Witz
in den kritischen Schriften des edlen Börne, die geistvolle Ironie des fri¬
volen Heine mußte allmälig als Vorbereitung zu jener Umwandlung immer
wirksamer werden. Aber noch einflußreicher auf die Masse und für litera¬
rische Kritik zunächst wenigstens wirksamer war Wolfgang Menzel, so tief
er auch an Begabung und nachhaltigem Einfluß unter jenen beiden Man
nem stehen mag. Das kühne Unterfangen, seine kecken Ansichten über das
deutsche Bücherwesen in einer umfassenden Literaturgeschichte (1826) dem


in der That «acht sich diese in jugendlicher Kraft oft mehr geltend, als es
der Verfasser selber wollte und dachte. Trotz alledem ist aber darin ein un-
gemein reicher Inhalt und in der schönsten Form eines klaren und keuschen
Styls, der unserer Zeit, trotz der allgemein verbreiteten Gewandtheit und
Eleganz des Ausdrucks doch so ziemlich fremd geworden ist. Endlich sind
noch die spätern dramaturgischen Aufsätze von L. Tieck hierher zu rechnen.

Auf solche Lectüre wurden wir bei der eifrigen Beschäftigung mit un¬
sern Klassikern damals hingeführt, als wir zur Universität heranreiften und
dadurch wurde wohl auch in dem Einen und Andern der Wunsch erweckt,
die Entwickelung der Literatur, an der er sich in beseligender Naivetät er¬
baute, im Zusammenhange kritisch zu betrachten. Doch waren wir in der
Beziehung noch sehr bescheiden und leicht zu befriedigen. Da nahm man
wohl einmal zum Nachschlagen Bouterweck's Geschichte der Poesie und
Beredsamkeit vor, die von 1801 —19 erschienen war und im 9. bis 11.
Bande die deutsche Literatur behandelte, ein Buch, welches natürlich jetzt
ganz unbrauchbar ist, aber für seine Zeit ein reiches und später hier und
da benutztes Material der Literaturkenntniß, ja selbst einzelne Gesichtspunkte
der Beurtheilung darbot, die jetzt noch ihre volle Geltung haben, oder die
Rachträge zu Sulzer^s Theorie der schönen Künste oder wegen der beque¬
men Uebersicht, der vaterländischen Gesinnung und ansprechenden Form Wach-
ler's Vorlesungen über die Geschichte der deutschen Nationalliteratur, welche
1818 in bewegter Zeit gehalten und gedruckt worden waren und 1834 noch
einmal aufgelegt werden konnten. Hierbei wurde das eigne Urtheil berich¬
tigt und geläutert, die vielseitigere Theilnahme an den Erzeugnissen unserer
Literatur geweckt und das Bedürfniß einer historischen Behandlung der deut¬
schen Literatur uns immer mehr zum Bewußtsein gebracht.

Bevor aber das Bewußtsein dieses Bedürfnisses vollständig zur Reife
gelangen konnte, mußte ein Umschwung in der Literaturbetrachtung und Le¬
bensauffassung eintreten, der theils viele der zeither herrschenden Ansichten
einer allmäligen Auslosung unterwarf, theils nur freilich oft noch sehr form¬
lose Elemente einer neuen Entwickelung hervortreten ließ. Der scharfe Witz
in den kritischen Schriften des edlen Börne, die geistvolle Ironie des fri¬
volen Heine mußte allmälig als Vorbereitung zu jener Umwandlung immer
wirksamer werden. Aber noch einflußreicher auf die Masse und für litera¬
rische Kritik zunächst wenigstens wirksamer war Wolfgang Menzel, so tief
er auch an Begabung und nachhaltigem Einfluß unter jenen beiden Man
nem stehen mag. Das kühne Unterfangen, seine kecken Ansichten über das
deutsche Bücherwesen in einer umfassenden Literaturgeschichte (1826) dem


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[0384] in der That «acht sich diese in jugendlicher Kraft oft mehr geltend, als es der Verfasser selber wollte und dachte. Trotz alledem ist aber darin ein un- gemein reicher Inhalt und in der schönsten Form eines klaren und keuschen Styls, der unserer Zeit, trotz der allgemein verbreiteten Gewandtheit und Eleganz des Ausdrucks doch so ziemlich fremd geworden ist. Endlich sind noch die spätern dramaturgischen Aufsätze von L. Tieck hierher zu rechnen. Auf solche Lectüre wurden wir bei der eifrigen Beschäftigung mit un¬ sern Klassikern damals hingeführt, als wir zur Universität heranreiften und dadurch wurde wohl auch in dem Einen und Andern der Wunsch erweckt, die Entwickelung der Literatur, an der er sich in beseligender Naivetät er¬ baute, im Zusammenhange kritisch zu betrachten. Doch waren wir in der Beziehung noch sehr bescheiden und leicht zu befriedigen. Da nahm man wohl einmal zum Nachschlagen Bouterweck's Geschichte der Poesie und Beredsamkeit vor, die von 1801 —19 erschienen war und im 9. bis 11. Bande die deutsche Literatur behandelte, ein Buch, welches natürlich jetzt ganz unbrauchbar ist, aber für seine Zeit ein reiches und später hier und da benutztes Material der Literaturkenntniß, ja selbst einzelne Gesichtspunkte der Beurtheilung darbot, die jetzt noch ihre volle Geltung haben, oder die Rachträge zu Sulzer^s Theorie der schönen Künste oder wegen der beque¬ men Uebersicht, der vaterländischen Gesinnung und ansprechenden Form Wach- ler's Vorlesungen über die Geschichte der deutschen Nationalliteratur, welche 1818 in bewegter Zeit gehalten und gedruckt worden waren und 1834 noch einmal aufgelegt werden konnten. Hierbei wurde das eigne Urtheil berich¬ tigt und geläutert, die vielseitigere Theilnahme an den Erzeugnissen unserer Literatur geweckt und das Bedürfniß einer historischen Behandlung der deut¬ schen Literatur uns immer mehr zum Bewußtsein gebracht. Bevor aber das Bewußtsein dieses Bedürfnisses vollständig zur Reife gelangen konnte, mußte ein Umschwung in der Literaturbetrachtung und Le¬ bensauffassung eintreten, der theils viele der zeither herrschenden Ansichten einer allmäligen Auslosung unterwarf, theils nur freilich oft noch sehr form¬ lose Elemente einer neuen Entwickelung hervortreten ließ. Der scharfe Witz in den kritischen Schriften des edlen Börne, die geistvolle Ironie des fri¬ volen Heine mußte allmälig als Vorbereitung zu jener Umwandlung immer wirksamer werden. Aber noch einflußreicher auf die Masse und für litera¬ rische Kritik zunächst wenigstens wirksamer war Wolfgang Menzel, so tief er auch an Begabung und nachhaltigem Einfluß unter jenen beiden Man nem stehen mag. Das kühne Unterfangen, seine kecken Ansichten über das deutsche Bücherwesen in einer umfassenden Literaturgeschichte (1826) dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/384>, abgerufen am 03.07.2024.