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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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einer Auction kauft, dann mit Hilfe eines Schneiders eine Färberei anlegt,
zum Bürgermeister von Weihungen erwühlt wird, übrigens sehr verkümmert
und schwächlich fortvegetire, unter dem Pantoffel seiner Mutter und Advptiv-
mntter steht (einer dicken, heiligen Person, die sich noch in ihrem 90. Jahre
verheirathen soll), der durch den berüchtigten Schwarzkünstler Faust junges
Blut einfiltrirt erhält, die Tochter seiner alten Geliebten heirathet u. s. w.
Endlich wird er durch jenen Faust, der hier als viehischer, boshafter Trun¬
kenbold auftritt, ermordet.

Einige Dramen: Der Auerhahn, die Belagerung von Wesel,
von Oppenheim, gehören auch Hieher; überall scheint ein überirdisches,
gespenstisches Licht in den breiten Realismus der Historie hinein, wenigstens
etwas Mordsucht, etwas Dämmernngswesen. So burlesk und possenhaft auch
diese buntscheckigen Harlekine sich herumtummeln, man kann nicht über sie
lachen; so greulich mitunter das Schicksal wüthet, man wird nicht erschüt¬
tert; so seltsam die Abentheuer wechseln, mau wird nicht gespannt. Es ist
alles ein gemachter, frostiger Spaß, eine ausgedachte Tragik. Das Herz
des Dichters ist nicht in seiner Phantasie, nicht in seiner Reflexion; darum
spricht er anch nicht zum Herzen.

Ausnehmen muß ich jedoch eine kleine Novelle: Die Kirchenord-
nung, die ebenfalls im Zeitalter der Reformation spielt; eine rasch fort¬
schreitende Handlung, mit lebendigen Charakteren, mit wahrer und tiefer
Reflexion erfüllt. Ich möchte sie mit Kleist's Erzählungen vergleichen, mit
dem der Dichter überhaupt Verwandtschaft hat, nur daß dieser innere Bruch
des Geistes Kleist wirklich das Herz brach, während er sich bei Arnim in
phantastischen Spielereien verflüchtigt.

Noch eine zweite Novelle muß ich nennen: Die Metamorphosen der
Gesellschaft, so barock und hölzern auch zuweilen die Darstellung erscheint.
Hier ist das Gefühl des Dichters wirklich in dem, was er sich vorstellt, und
die soziale Umwandlung, die er mitlebt, bedeutend genug, ein lebensvolles
Gemälde möglich zu machen.

Und doch gewähren anch diese einzelnen glücklichen Bilder kein reines
Vergnügen; besonders wenn man sich an die übrigen Schriften Arnim's er¬
innert, macht sich auch hier der Staub einer Hamlet'schen Reflexion bemerk¬
lich genug. Wir trauern um einen Dichter, der mit großen Anlagen, rei¬
cher Empfänglichkeit und tiefer Einsicht in diese Schule romantischer Ironie
gerathell mußte, die, um eine erträumte Heiligkeit zu realisiren, vorher zer¬
setzen zu müssen glaubte, was der sittlichen Welt heilig war. Nicht jeder
Einzelne trägt die Schuld dieser abstracten Subjectivität, die Epigonen


einer Auction kauft, dann mit Hilfe eines Schneiders eine Färberei anlegt,
zum Bürgermeister von Weihungen erwühlt wird, übrigens sehr verkümmert
und schwächlich fortvegetire, unter dem Pantoffel seiner Mutter und Advptiv-
mntter steht (einer dicken, heiligen Person, die sich noch in ihrem 90. Jahre
verheirathen soll), der durch den berüchtigten Schwarzkünstler Faust junges
Blut einfiltrirt erhält, die Tochter seiner alten Geliebten heirathet u. s. w.
Endlich wird er durch jenen Faust, der hier als viehischer, boshafter Trun¬
kenbold auftritt, ermordet.

Einige Dramen: Der Auerhahn, die Belagerung von Wesel,
von Oppenheim, gehören auch Hieher; überall scheint ein überirdisches,
gespenstisches Licht in den breiten Realismus der Historie hinein, wenigstens
etwas Mordsucht, etwas Dämmernngswesen. So burlesk und possenhaft auch
diese buntscheckigen Harlekine sich herumtummeln, man kann nicht über sie
lachen; so greulich mitunter das Schicksal wüthet, man wird nicht erschüt¬
tert; so seltsam die Abentheuer wechseln, mau wird nicht gespannt. Es ist
alles ein gemachter, frostiger Spaß, eine ausgedachte Tragik. Das Herz
des Dichters ist nicht in seiner Phantasie, nicht in seiner Reflexion; darum
spricht er anch nicht zum Herzen.

Ausnehmen muß ich jedoch eine kleine Novelle: Die Kirchenord-
nung, die ebenfalls im Zeitalter der Reformation spielt; eine rasch fort¬
schreitende Handlung, mit lebendigen Charakteren, mit wahrer und tiefer
Reflexion erfüllt. Ich möchte sie mit Kleist's Erzählungen vergleichen, mit
dem der Dichter überhaupt Verwandtschaft hat, nur daß dieser innere Bruch
des Geistes Kleist wirklich das Herz brach, während er sich bei Arnim in
phantastischen Spielereien verflüchtigt.

Noch eine zweite Novelle muß ich nennen: Die Metamorphosen der
Gesellschaft, so barock und hölzern auch zuweilen die Darstellung erscheint.
Hier ist das Gefühl des Dichters wirklich in dem, was er sich vorstellt, und
die soziale Umwandlung, die er mitlebt, bedeutend genug, ein lebensvolles
Gemälde möglich zu machen.

Und doch gewähren anch diese einzelnen glücklichen Bilder kein reines
Vergnügen; besonders wenn man sich an die übrigen Schriften Arnim's er¬
innert, macht sich auch hier der Staub einer Hamlet'schen Reflexion bemerk¬
lich genug. Wir trauern um einen Dichter, der mit großen Anlagen, rei¬
cher Empfänglichkeit und tiefer Einsicht in diese Schule romantischer Ironie
gerathell mußte, die, um eine erträumte Heiligkeit zu realisiren, vorher zer¬
setzen zu müssen glaubte, was der sittlichen Welt heilig war. Nicht jeder
Einzelne trägt die Schuld dieser abstracten Subjectivität, die Epigonen


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[0346] einer Auction kauft, dann mit Hilfe eines Schneiders eine Färberei anlegt, zum Bürgermeister von Weihungen erwühlt wird, übrigens sehr verkümmert und schwächlich fortvegetire, unter dem Pantoffel seiner Mutter und Advptiv- mntter steht (einer dicken, heiligen Person, die sich noch in ihrem 90. Jahre verheirathen soll), der durch den berüchtigten Schwarzkünstler Faust junges Blut einfiltrirt erhält, die Tochter seiner alten Geliebten heirathet u. s. w. Endlich wird er durch jenen Faust, der hier als viehischer, boshafter Trun¬ kenbold auftritt, ermordet. Einige Dramen: Der Auerhahn, die Belagerung von Wesel, von Oppenheim, gehören auch Hieher; überall scheint ein überirdisches, gespenstisches Licht in den breiten Realismus der Historie hinein, wenigstens etwas Mordsucht, etwas Dämmernngswesen. So burlesk und possenhaft auch diese buntscheckigen Harlekine sich herumtummeln, man kann nicht über sie lachen; so greulich mitunter das Schicksal wüthet, man wird nicht erschüt¬ tert; so seltsam die Abentheuer wechseln, mau wird nicht gespannt. Es ist alles ein gemachter, frostiger Spaß, eine ausgedachte Tragik. Das Herz des Dichters ist nicht in seiner Phantasie, nicht in seiner Reflexion; darum spricht er anch nicht zum Herzen. Ausnehmen muß ich jedoch eine kleine Novelle: Die Kirchenord- nung, die ebenfalls im Zeitalter der Reformation spielt; eine rasch fort¬ schreitende Handlung, mit lebendigen Charakteren, mit wahrer und tiefer Reflexion erfüllt. Ich möchte sie mit Kleist's Erzählungen vergleichen, mit dem der Dichter überhaupt Verwandtschaft hat, nur daß dieser innere Bruch des Geistes Kleist wirklich das Herz brach, während er sich bei Arnim in phantastischen Spielereien verflüchtigt. Noch eine zweite Novelle muß ich nennen: Die Metamorphosen der Gesellschaft, so barock und hölzern auch zuweilen die Darstellung erscheint. Hier ist das Gefühl des Dichters wirklich in dem, was er sich vorstellt, und die soziale Umwandlung, die er mitlebt, bedeutend genug, ein lebensvolles Gemälde möglich zu machen. Und doch gewähren anch diese einzelnen glücklichen Bilder kein reines Vergnügen; besonders wenn man sich an die übrigen Schriften Arnim's er¬ innert, macht sich auch hier der Staub einer Hamlet'schen Reflexion bemerk¬ lich genug. Wir trauern um einen Dichter, der mit großen Anlagen, rei¬ cher Empfänglichkeit und tiefer Einsicht in diese Schule romantischer Ironie gerathell mußte, die, um eine erträumte Heiligkeit zu realisiren, vorher zer¬ setzen zu müssen glaubte, was der sittlichen Welt heilig war. Nicht jeder Einzelne trägt die Schuld dieser abstracten Subjectivität, die Epigonen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/346>, abgerufen am 03.07.2024.