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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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alle materiellen und sittlichen Werthe untergegangen; aus der Idee des
Staates hervor ward nun Alles nen erzeugt. Kirche , Erziehung, Wissen¬
schaft, Industrie, Ackerbau, Alles muß diesem Organismus dienen. -- In
dem Kampf um die Weltherrschaft wird die alte Politik, nur in riesenhaften
Verhältnissen von Neuem angewandt. "Ein richtiges Gleichgewicht in allen
Theilen der Welt." Die Mächte macheu es, schneiden und wägen es zu-
recht, und das Maaß, nach dein sie messen, ist ihre Willkür, ihr Vortheil
und ihre Eisersucht; daß die Völker da sind und daß sie, kleine wie große,
ein Recht staatlicher Existenz haben, dieser große Grundsatz der Revolution
ist längst zur Lüge verkehrt; uun wird er vom Staat der Revolution völlig
dahingewvrsen, die alte Lehre vom Gleichgewicht tritt wieder in den Vorder¬
grund, um bald frecher und nichtswürdiger als je zuvor über die Völker
und Länder und Staaten zu schalten. In dem Frieden zu Lüneville war
Deutschlands politische Theilung vollbracht, und der noch bewahrte Schein
eines Zusammenhanges seiner Glieder diente nur dazu, die weitere Schwä¬
chung und Lähmung der einzelnen deutschen Staaten durch einander möglich
zu machen. Wie das alte Frankreich, so hat auch das alte Reich deutscher
Nation seine Revolution, nur daß es dort der tiers-"-t:et, hier die Landes-
fürsten waren, die sie machten; wie dort, so hier wurde der alte Rechts¬
und Besitzstand völlig umgestürzt, nur daß dort alle Frevelschuld gegen das
Alte und alle Hoffnung des Neuen bei dem Volte war, während bei uns
das Volk deu Einen und Andern fremd blieb. Es war ein Segen, daß diese
verrotteten, lähmenden, sinnlos gewordenen Formen des Reichs zerbröckelt
wurden; aber es geschah auf die schmachvollste und sür die Nation entner-
vendste Art. --- Der Staat der Revolution hatte die alten Staaten in ihren
Künsten überholt; Bonaparte demoralisirte die Kronen, indem er mit ihnen
her und hin schaltete, sie als Belohnung austheilte. -- Erst seitdem das neue
Frankreich monarchisch und dynastisch geworden war. erreichte die Cabinets-
politik die Vollendung, die das t8. Jahrhundert angestrebt hatte. Welch
ein Wetteifer nun zwischen den Cabinetten der großen Mächte, welche voll¬
endete Heuchelei von allen Seiten, als sollte das alte diplomatische System
des Völkerrechts erst vollkommen abgenutzt werden, bevor ein Staatensystem
sich auf das Recht der Völker gründen könne. Das politische System, das
Napoleon vom Jahre 1805 an ergriff und seitdem unablässig weiter aus¬
dehnte, ist die Fortsetzung jener erstaunenswerthen Arbeit, mit der er seine
Monarchie aus der Revolution emporgebaut hat. Mit Ähnlicher Kühnheit
und Zweckgemäßheit schaffte er eine Ordnung der Dinge, die nicht blos


alle materiellen und sittlichen Werthe untergegangen; aus der Idee des
Staates hervor ward nun Alles nen erzeugt. Kirche , Erziehung, Wissen¬
schaft, Industrie, Ackerbau, Alles muß diesem Organismus dienen. — In
dem Kampf um die Weltherrschaft wird die alte Politik, nur in riesenhaften
Verhältnissen von Neuem angewandt. „Ein richtiges Gleichgewicht in allen
Theilen der Welt." Die Mächte macheu es, schneiden und wägen es zu-
recht, und das Maaß, nach dein sie messen, ist ihre Willkür, ihr Vortheil
und ihre Eisersucht; daß die Völker da sind und daß sie, kleine wie große,
ein Recht staatlicher Existenz haben, dieser große Grundsatz der Revolution
ist längst zur Lüge verkehrt; uun wird er vom Staat der Revolution völlig
dahingewvrsen, die alte Lehre vom Gleichgewicht tritt wieder in den Vorder¬
grund, um bald frecher und nichtswürdiger als je zuvor über die Völker
und Länder und Staaten zu schalten. In dem Frieden zu Lüneville war
Deutschlands politische Theilung vollbracht, und der noch bewahrte Schein
eines Zusammenhanges seiner Glieder diente nur dazu, die weitere Schwä¬
chung und Lähmung der einzelnen deutschen Staaten durch einander möglich
zu machen. Wie das alte Frankreich, so hat auch das alte Reich deutscher
Nation seine Revolution, nur daß es dort der tiers-«-t:et, hier die Landes-
fürsten waren, die sie machten; wie dort, so hier wurde der alte Rechts¬
und Besitzstand völlig umgestürzt, nur daß dort alle Frevelschuld gegen das
Alte und alle Hoffnung des Neuen bei dem Volte war, während bei uns
das Volk deu Einen und Andern fremd blieb. Es war ein Segen, daß diese
verrotteten, lähmenden, sinnlos gewordenen Formen des Reichs zerbröckelt
wurden; aber es geschah auf die schmachvollste und sür die Nation entner-
vendste Art. -— Der Staat der Revolution hatte die alten Staaten in ihren
Künsten überholt; Bonaparte demoralisirte die Kronen, indem er mit ihnen
her und hin schaltete, sie als Belohnung austheilte. — Erst seitdem das neue
Frankreich monarchisch und dynastisch geworden war. erreichte die Cabinets-
politik die Vollendung, die das t8. Jahrhundert angestrebt hatte. Welch
ein Wetteifer nun zwischen den Cabinetten der großen Mächte, welche voll¬
endete Heuchelei von allen Seiten, als sollte das alte diplomatische System
des Völkerrechts erst vollkommen abgenutzt werden, bevor ein Staatensystem
sich auf das Recht der Völker gründen könne. Das politische System, das
Napoleon vom Jahre 1805 an ergriff und seitdem unablässig weiter aus¬
dehnte, ist die Fortsetzung jener erstaunenswerthen Arbeit, mit der er seine
Monarchie aus der Revolution emporgebaut hat. Mit Ähnlicher Kühnheit
und Zweckgemäßheit schaffte er eine Ordnung der Dinge, die nicht blos


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/300>, abgerufen am 22.07.2024.