Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.in die Dependenz der befreienden Macht hinüberzureißen. Mit dem Schrecken in die Dependenz der befreienden Macht hinüberzureißen. Mit dem Schrecken <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/272198"/> <p xml:id="ID_1066" prev="#ID_1065" next="#ID_1067"> in die Dependenz der befreienden Macht hinüberzureißen. Mit dem Schrecken<lb/> schwand auch jene Tugend und Strenge, die bisher wenigstens als Ideal<lb/> anerkannt gewesen war. Die Lust des Gewinnes, des Ruhmes verschlang<lb/> die politischen Leidenschaften. Jeder neue Friede war eine Verlockung, eine<lb/> Gelegenheit zu neuen Mißverständnissen, zu neuen Eroberungen; eine Ent¬<lb/> hüllung der politischen Ohnmacht und Unsittlichkeit des alten Europa; jeder<lb/> Kongreß das wüste Fastnachtspiel der alten Jammcrdiplomatie der kleinen<lb/> Dynastien, mit solcher Offenheit getrieben, daß die Völker mit Ekel inne<lb/> wurden, wie man über sie feilschte. — Wie unklar und ungeordnet noch<lb/> Frankreichs innere Verhältnisse sind, das Wichtigste ist gewonnen, die völlig<lb/> neue Grundlage aller bürgerlichen und politischen Ordnung. Und eben<lb/> diese ist hervorgegangen aus den rationellen Ideen, die das 18. Jahr¬<lb/> hundert allgemein verbreitet, aus den sozialen Bedürfnissen, die es allge¬<lb/> mein vorbereitet hat. Nicht umsonst sind die Prinzipien der Gedanken-<lb/> nnd Gewissensfreiheit, der Gleichheit vor dem Recht, Gemeingut aller Ge¬<lb/> bildeten geworden. Die Revolution hat das riesenhafte Beispiel gegeben,<lb/> wie sie ans der Theorie in die Wirklichkeit überzuführen sind. Voll Hoff¬<lb/> nung sehen die Gebildeten aller Völker auf den Helden der italischen Kriege,<lb/> den Friedensstifter, auf die Macht, welche die Freiheit entwickelt; sie em¬<lb/> pfinden nun doppelt deu Druck der alten legitimen Verhältnisse, die weder<lb/> sich noch sie zu schützen vermögen. — In dem Heer und seinem Feldherrn<lb/> ist jetzt die wahre Macht der Republik; wo die Directoren stehen, ist nur die<lb/> leere Stelle derselben. Inmitten seiner republikanischen Soldaten schuf er<lb/> sich Zucht, Gehorsam, feste Ordnung; er hat ihre Liebe, ihren Enthusias¬<lb/> mus; ihm persönlich gehören sie an. Es sind nicht, wie daheim, abstracte,<lb/> sondern lebendige, sittliche Gewalten, die Tausende an diesen Einen knüpfen.<lb/> Frankreich bedürfte der festen Einigung; diese erlangte es am 18. Brumaire,<lb/> freilich durch eine Usurpation. Lügenhaft, wie alle Verhältnisse der Republik<lb/> geworden waren, verwickelten sie den Feldherrn in ein Labyrinth von Lügen<lb/> und Fictionen, mit denen er die Wahrheit der factischen Gewalt schlecht verhüllte.<lb/> Er war Monarch; freilich nicht in der bequemen Weise der Könige des alten<lb/> Europa; er war Monarch der Republik; auf der tabula r»sa der Revolu¬<lb/> tion hatte er eine Monarchie zu gestalten, die keine andere Legitimität haben<lb/> konnte als sich durch Kraft, Würde, Entwickelungsfähigkeit in jedem Augen¬<lb/> blick von Neuem zu rechtfertigen. Nie in der Geschichte hat sich menschlicher<lb/> Verstand in umfassenderer und durchgrcifenderer.Weise ordnend und forment<lb/> gezeigt. In der Revolution waren, wie in einem ungeheuren Bankbruch,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0299]
in die Dependenz der befreienden Macht hinüberzureißen. Mit dem Schrecken
schwand auch jene Tugend und Strenge, die bisher wenigstens als Ideal
anerkannt gewesen war. Die Lust des Gewinnes, des Ruhmes verschlang
die politischen Leidenschaften. Jeder neue Friede war eine Verlockung, eine
Gelegenheit zu neuen Mißverständnissen, zu neuen Eroberungen; eine Ent¬
hüllung der politischen Ohnmacht und Unsittlichkeit des alten Europa; jeder
Kongreß das wüste Fastnachtspiel der alten Jammcrdiplomatie der kleinen
Dynastien, mit solcher Offenheit getrieben, daß die Völker mit Ekel inne
wurden, wie man über sie feilschte. — Wie unklar und ungeordnet noch
Frankreichs innere Verhältnisse sind, das Wichtigste ist gewonnen, die völlig
neue Grundlage aller bürgerlichen und politischen Ordnung. Und eben
diese ist hervorgegangen aus den rationellen Ideen, die das 18. Jahr¬
hundert allgemein verbreitet, aus den sozialen Bedürfnissen, die es allge¬
mein vorbereitet hat. Nicht umsonst sind die Prinzipien der Gedanken-
nnd Gewissensfreiheit, der Gleichheit vor dem Recht, Gemeingut aller Ge¬
bildeten geworden. Die Revolution hat das riesenhafte Beispiel gegeben,
wie sie ans der Theorie in die Wirklichkeit überzuführen sind. Voll Hoff¬
nung sehen die Gebildeten aller Völker auf den Helden der italischen Kriege,
den Friedensstifter, auf die Macht, welche die Freiheit entwickelt; sie em¬
pfinden nun doppelt deu Druck der alten legitimen Verhältnisse, die weder
sich noch sie zu schützen vermögen. — In dem Heer und seinem Feldherrn
ist jetzt die wahre Macht der Republik; wo die Directoren stehen, ist nur die
leere Stelle derselben. Inmitten seiner republikanischen Soldaten schuf er
sich Zucht, Gehorsam, feste Ordnung; er hat ihre Liebe, ihren Enthusias¬
mus; ihm persönlich gehören sie an. Es sind nicht, wie daheim, abstracte,
sondern lebendige, sittliche Gewalten, die Tausende an diesen Einen knüpfen.
Frankreich bedürfte der festen Einigung; diese erlangte es am 18. Brumaire,
freilich durch eine Usurpation. Lügenhaft, wie alle Verhältnisse der Republik
geworden waren, verwickelten sie den Feldherrn in ein Labyrinth von Lügen
und Fictionen, mit denen er die Wahrheit der factischen Gewalt schlecht verhüllte.
Er war Monarch; freilich nicht in der bequemen Weise der Könige des alten
Europa; er war Monarch der Republik; auf der tabula r»sa der Revolu¬
tion hatte er eine Monarchie zu gestalten, die keine andere Legitimität haben
konnte als sich durch Kraft, Würde, Entwickelungsfähigkeit in jedem Augen¬
blick von Neuem zu rechtfertigen. Nie in der Geschichte hat sich menschlicher
Verstand in umfassenderer und durchgrcifenderer.Weise ordnend und forment
gezeigt. In der Revolution waren, wie in einem ungeheuren Bankbruch,
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