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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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zeichnet den Anfang der großen europäischen Umwälzung. Einmal begonnen,
konnte sie nicht eher aufhören, als bis sie Alles ergriffen und durchgearbei¬
tet, alle erlogenen Zustände niedergeworfen, neue sittliche Gewalten erweckt
und durch sie neue wahrhaftere Gestaltungen gegründet hatte.

Was als Staat auftrat, es war in seinem Kern doch nichts Anderes
als das dynastische Interesse des Regentenhauses; was erstrebt ward, war
wesentlich Sicherung und Wahrung des eignen Machtbereiches, sowohl im
Innern gegen die bisher Hochberechtigteil Stände, wie nach Außen gegen
andere zumal minder mächtige Nachbarn. Und in dein Maße als mau hierin
das Recht und die höchste Aufgabe der Staatsregierung zu sehen, als man
sich zu diesem Zweck Alles gestattet glaubte, verlor auch der Staat diejenige
sittliche Grundlage, die dem Uebergang ans der ältern umschränkten Weise zu
der neuen Unumschränktheit zur Rechtfertigung hätte dienen können. Ja seltsam
genug kehrte mancher Staat, der eifrig zu reformiren gewesen war, vor dem
sich aufbäumenden Widerstande oder der noch bedrohlicheren Gewalt der
entfesselten unteren Masse besorgt, auf halbem Wege um; nur daß er damit
keineswegs zur alten Ruhe und Stätigkeit zurückgelangte. Die Josephinischen
Revolutionen scheiterten an dem Widerstand der einzelnen Völker; die Neichs-
einheit, wie Joseph II. sie erstrebt, war eine sittliche Unmöglichkeit. Dagegen
führten die Reformen, die Ludwig XVI. Minister versuchten, und der Wi¬
derstand, den die Privilegirten entgegensetzten, zur VolkSrevvlntion. Als die
Gemeinen sich zur Nationalversammlung machten, war das ein erster Schritt
zur Volkssouveränität; aber nicht minder die Noth der Umstände als die
Gesammtüberzeugung der Nation stellte das Mandat dazu aus; eine geschicht¬
liche Nothwendigkeit, eben so groß und berechtigt wie die, welche einst die
Monarchie Ludwig XIV. oder die feudalen Stände hatte entstehen lassen.
Die Nacht des 4. August stürzte die Summe irrationaler Verhältnisse über
den Haufen. Theoretisch war nun t-kiau", räh", war Raum da, ans der
Theorie einen völlig neuen Staat zu gründen. Seine Grundlage wurde die
Erklärung der Rechte des Menschen, das Prinzip der Volkssouveränität, der
Autonomie der Gemeinden, -..... nur -daß sie hier nicht wie in Nordamerika
das Resultat einer langen und in Fleiß und Noth bewährten Gewohnheit
bürgerlicher Freiheit, sondern ein Postulat, eine iuiti^.alm n^ni-üg war, nach
der'sich erst die Verhältnisse, und was schwerer und gefährlicher war, die
Personen völlig umwandeln sollten. Indeß revolutionirten die legitimen
Mächte in Polen, und schlössen Bündnisse angeblich um das alte monarchi¬
sche Europa zum Schutz des Königthums, zum Kampf gegen die revolutiv^
raren Gewalten zu vereinen, die doch ans dem Boden der alten Monarchie


zeichnet den Anfang der großen europäischen Umwälzung. Einmal begonnen,
konnte sie nicht eher aufhören, als bis sie Alles ergriffen und durchgearbei¬
tet, alle erlogenen Zustände niedergeworfen, neue sittliche Gewalten erweckt
und durch sie neue wahrhaftere Gestaltungen gegründet hatte.

Was als Staat auftrat, es war in seinem Kern doch nichts Anderes
als das dynastische Interesse des Regentenhauses; was erstrebt ward, war
wesentlich Sicherung und Wahrung des eignen Machtbereiches, sowohl im
Innern gegen die bisher Hochberechtigteil Stände, wie nach Außen gegen
andere zumal minder mächtige Nachbarn. Und in dein Maße als mau hierin
das Recht und die höchste Aufgabe der Staatsregierung zu sehen, als man
sich zu diesem Zweck Alles gestattet glaubte, verlor auch der Staat diejenige
sittliche Grundlage, die dem Uebergang ans der ältern umschränkten Weise zu
der neuen Unumschränktheit zur Rechtfertigung hätte dienen können. Ja seltsam
genug kehrte mancher Staat, der eifrig zu reformiren gewesen war, vor dem
sich aufbäumenden Widerstande oder der noch bedrohlicheren Gewalt der
entfesselten unteren Masse besorgt, auf halbem Wege um; nur daß er damit
keineswegs zur alten Ruhe und Stätigkeit zurückgelangte. Die Josephinischen
Revolutionen scheiterten an dem Widerstand der einzelnen Völker; die Neichs-
einheit, wie Joseph II. sie erstrebt, war eine sittliche Unmöglichkeit. Dagegen
führten die Reformen, die Ludwig XVI. Minister versuchten, und der Wi¬
derstand, den die Privilegirten entgegensetzten, zur VolkSrevvlntion. Als die
Gemeinen sich zur Nationalversammlung machten, war das ein erster Schritt
zur Volkssouveränität; aber nicht minder die Noth der Umstände als die
Gesammtüberzeugung der Nation stellte das Mandat dazu aus; eine geschicht¬
liche Nothwendigkeit, eben so groß und berechtigt wie die, welche einst die
Monarchie Ludwig XIV. oder die feudalen Stände hatte entstehen lassen.
Die Nacht des 4. August stürzte die Summe irrationaler Verhältnisse über
den Haufen. Theoretisch war nun t-kiau», räh», war Raum da, ans der
Theorie einen völlig neuen Staat zu gründen. Seine Grundlage wurde die
Erklärung der Rechte des Menschen, das Prinzip der Volkssouveränität, der
Autonomie der Gemeinden, -..... nur -daß sie hier nicht wie in Nordamerika
das Resultat einer langen und in Fleiß und Noth bewährten Gewohnheit
bürgerlicher Freiheit, sondern ein Postulat, eine iuiti^.alm n^ni-üg war, nach
der'sich erst die Verhältnisse, und was schwerer und gefährlicher war, die
Personen völlig umwandeln sollten. Indeß revolutionirten die legitimen
Mächte in Polen, und schlössen Bündnisse angeblich um das alte monarchi¬
sche Europa zum Schutz des Königthums, zum Kampf gegen die revolutiv^
raren Gewalten zu vereinen, die doch ans dem Boden der alten Monarchie


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[0296] zeichnet den Anfang der großen europäischen Umwälzung. Einmal begonnen, konnte sie nicht eher aufhören, als bis sie Alles ergriffen und durchgearbei¬ tet, alle erlogenen Zustände niedergeworfen, neue sittliche Gewalten erweckt und durch sie neue wahrhaftere Gestaltungen gegründet hatte. Was als Staat auftrat, es war in seinem Kern doch nichts Anderes als das dynastische Interesse des Regentenhauses; was erstrebt ward, war wesentlich Sicherung und Wahrung des eignen Machtbereiches, sowohl im Innern gegen die bisher Hochberechtigteil Stände, wie nach Außen gegen andere zumal minder mächtige Nachbarn. Und in dein Maße als mau hierin das Recht und die höchste Aufgabe der Staatsregierung zu sehen, als man sich zu diesem Zweck Alles gestattet glaubte, verlor auch der Staat diejenige sittliche Grundlage, die dem Uebergang ans der ältern umschränkten Weise zu der neuen Unumschränktheit zur Rechtfertigung hätte dienen können. Ja seltsam genug kehrte mancher Staat, der eifrig zu reformiren gewesen war, vor dem sich aufbäumenden Widerstande oder der noch bedrohlicheren Gewalt der entfesselten unteren Masse besorgt, auf halbem Wege um; nur daß er damit keineswegs zur alten Ruhe und Stätigkeit zurückgelangte. Die Josephinischen Revolutionen scheiterten an dem Widerstand der einzelnen Völker; die Neichs- einheit, wie Joseph II. sie erstrebt, war eine sittliche Unmöglichkeit. Dagegen führten die Reformen, die Ludwig XVI. Minister versuchten, und der Wi¬ derstand, den die Privilegirten entgegensetzten, zur VolkSrevvlntion. Als die Gemeinen sich zur Nationalversammlung machten, war das ein erster Schritt zur Volkssouveränität; aber nicht minder die Noth der Umstände als die Gesammtüberzeugung der Nation stellte das Mandat dazu aus; eine geschicht¬ liche Nothwendigkeit, eben so groß und berechtigt wie die, welche einst die Monarchie Ludwig XIV. oder die feudalen Stände hatte entstehen lassen. Die Nacht des 4. August stürzte die Summe irrationaler Verhältnisse über den Haufen. Theoretisch war nun t-kiau», räh», war Raum da, ans der Theorie einen völlig neuen Staat zu gründen. Seine Grundlage wurde die Erklärung der Rechte des Menschen, das Prinzip der Volkssouveränität, der Autonomie der Gemeinden, -..... nur -daß sie hier nicht wie in Nordamerika das Resultat einer langen und in Fleiß und Noth bewährten Gewohnheit bürgerlicher Freiheit, sondern ein Postulat, eine iuiti^.alm n^ni-üg war, nach der'sich erst die Verhältnisse, und was schwerer und gefährlicher war, die Personen völlig umwandeln sollten. Indeß revolutionirten die legitimen Mächte in Polen, und schlössen Bündnisse angeblich um das alte monarchi¬ sche Europa zum Schutz des Königthums, zum Kampf gegen die revolutiv^ raren Gewalten zu vereinen, die doch ans dem Boden der alten Monarchie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/296>, abgerufen am 22.07.2024.