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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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um etwa -10 Klafter trennt, ein Feuer veranstalten, in dem kein Schuß un¬
wirksam gewesen wäre; denn die französische Armee war vollständig blockirt,
ohne Munition, ohne Lebensmittel, eine verwirrte und zusammengepresste
Masse, und hätte bis auf den letzten Mann vernichtet werden können.

Zufrieden mit seinem Erfolg, ließ der Erzherzog zu, daß Napoleon sich
auf der Insel Lobau organisirte, dieselbe befestigte , sich verstärkte, seine
Brücken wieder herstellte und nach 22 Tagen unerhörter Arbeiten von Neuem
und zwar mit 180,000 Mann wieder über deu Strom setzte, um dem Erz¬
herzog die letzte, entscheidende Schlacht bei Wagram zu liefern.

Sie entspann sich den 0. Juli 1809, unter den Augen der Einwohner
von Wien, die auf die Dächer gestiegen waren; die beiden Armeen und ihre
Führer entfalteten dieselbe Tapferkeit als in den vorigen Tagen. Mehr als
20,000 Mann blieben von beiden Seiten auf dem Schlachtfelde. Endlich,
um 4 Uhr Abends sah sich der Erzherzog aus allen Punkten zum Rückzug
genöthigt, und überließ den Franzosen das Schlachtfeld, aber ohne Verlust
an Gefangenen oder Feldstücken, und nachdem er sich ans eine Weise geschla¬
gen hatte, die auch dein Verwegensten hätte Besonnenheit lehren können.
Mai: folgte ihm, ohne ihn zu drängen, denn man war nicht begierig nach
einer zweiten Schlacht.

Die verschiedenen Fehler, die man dem Erzherzog im Laufe dieses Feld
zugeö vorwirft, werden vorzüglich der Uneinigkeit zugeschrieben, die zwischen
ihm und seinein Bruder Johann bestand. Sobald also der Erzherzog einige
Tage uach der Schlacht einen Waffenstillstand unterzeichnet hatte, gab er
seine Entlassung ein, und übertrug den Oberbefehl dem Fürsten Lichtenstein,
nachdem er in einem Tagesbefehl den Soldaten sein Bedauern ausgedrückt
hatte, sich vou ihnen trennen zu müssen.

Hier endigt die militärische Laufbahn des Erzherzogs; seit diesem Augen¬
blick erschien er nicht mehr auf dem Schlachtfelde. Als nach dem Vertrag
von Schönbrunn die Heirath zwischen Napoleon und Marie Louise entschie¬
den war, übertrug Napoleon, um seinen edlen Gegner zu ehre", diesem den
Auftrag, sich die Prinzessin in seinem Namen antrauen zu lassen; und es
war nicht eine der geringsten Bizarrerien dieser wunderlichen Zeit, daß Erz¬
herzog Karl seine Nichte an den Altar führte und ihr im Namen des repu¬
blikanische" Helden vom Tagliamento den Vermählungsring ansteckte.

Die großen Ereignisse von !8> I >.'. veranlaßten den Erzherzog nicht,
ans seiner Zilrückgezogenheit herauszutreten. Vielleicht konnte trotz seines
Patriotismus das große Herz des Prinzen sich nicht einer geheimen Spin-


um etwa -10 Klafter trennt, ein Feuer veranstalten, in dem kein Schuß un¬
wirksam gewesen wäre; denn die französische Armee war vollständig blockirt,
ohne Munition, ohne Lebensmittel, eine verwirrte und zusammengepresste
Masse, und hätte bis auf den letzten Mann vernichtet werden können.

Zufrieden mit seinem Erfolg, ließ der Erzherzog zu, daß Napoleon sich
auf der Insel Lobau organisirte, dieselbe befestigte , sich verstärkte, seine
Brücken wieder herstellte und nach 22 Tagen unerhörter Arbeiten von Neuem
und zwar mit 180,000 Mann wieder über deu Strom setzte, um dem Erz¬
herzog die letzte, entscheidende Schlacht bei Wagram zu liefern.

Sie entspann sich den 0. Juli 1809, unter den Augen der Einwohner
von Wien, die auf die Dächer gestiegen waren; die beiden Armeen und ihre
Führer entfalteten dieselbe Tapferkeit als in den vorigen Tagen. Mehr als
20,000 Mann blieben von beiden Seiten auf dem Schlachtfelde. Endlich,
um 4 Uhr Abends sah sich der Erzherzog aus allen Punkten zum Rückzug
genöthigt, und überließ den Franzosen das Schlachtfeld, aber ohne Verlust
an Gefangenen oder Feldstücken, und nachdem er sich ans eine Weise geschla¬
gen hatte, die auch dein Verwegensten hätte Besonnenheit lehren können.
Mai: folgte ihm, ohne ihn zu drängen, denn man war nicht begierig nach
einer zweiten Schlacht.

Die verschiedenen Fehler, die man dem Erzherzog im Laufe dieses Feld
zugeö vorwirft, werden vorzüglich der Uneinigkeit zugeschrieben, die zwischen
ihm und seinein Bruder Johann bestand. Sobald also der Erzherzog einige
Tage uach der Schlacht einen Waffenstillstand unterzeichnet hatte, gab er
seine Entlassung ein, und übertrug den Oberbefehl dem Fürsten Lichtenstein,
nachdem er in einem Tagesbefehl den Soldaten sein Bedauern ausgedrückt
hatte, sich vou ihnen trennen zu müssen.

Hier endigt die militärische Laufbahn des Erzherzogs; seit diesem Augen¬
blick erschien er nicht mehr auf dem Schlachtfelde. Als nach dem Vertrag
von Schönbrunn die Heirath zwischen Napoleon und Marie Louise entschie¬
den war, übertrug Napoleon, um seinen edlen Gegner zu ehre», diesem den
Auftrag, sich die Prinzessin in seinem Namen antrauen zu lassen; und es
war nicht eine der geringsten Bizarrerien dieser wunderlichen Zeit, daß Erz¬
herzog Karl seine Nichte an den Altar führte und ihr im Namen des repu¬
blikanische» Helden vom Tagliamento den Vermählungsring ansteckte.

Die großen Ereignisse von !8> I >.'. veranlaßten den Erzherzog nicht,
ans seiner Zilrückgezogenheit herauszutreten. Vielleicht konnte trotz seines
Patriotismus das große Herz des Prinzen sich nicht einer geheimen Spin-


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[0261] um etwa -10 Klafter trennt, ein Feuer veranstalten, in dem kein Schuß un¬ wirksam gewesen wäre; denn die französische Armee war vollständig blockirt, ohne Munition, ohne Lebensmittel, eine verwirrte und zusammengepresste Masse, und hätte bis auf den letzten Mann vernichtet werden können. Zufrieden mit seinem Erfolg, ließ der Erzherzog zu, daß Napoleon sich auf der Insel Lobau organisirte, dieselbe befestigte , sich verstärkte, seine Brücken wieder herstellte und nach 22 Tagen unerhörter Arbeiten von Neuem und zwar mit 180,000 Mann wieder über deu Strom setzte, um dem Erz¬ herzog die letzte, entscheidende Schlacht bei Wagram zu liefern. Sie entspann sich den 0. Juli 1809, unter den Augen der Einwohner von Wien, die auf die Dächer gestiegen waren; die beiden Armeen und ihre Führer entfalteten dieselbe Tapferkeit als in den vorigen Tagen. Mehr als 20,000 Mann blieben von beiden Seiten auf dem Schlachtfelde. Endlich, um 4 Uhr Abends sah sich der Erzherzog aus allen Punkten zum Rückzug genöthigt, und überließ den Franzosen das Schlachtfeld, aber ohne Verlust an Gefangenen oder Feldstücken, und nachdem er sich ans eine Weise geschla¬ gen hatte, die auch dein Verwegensten hätte Besonnenheit lehren können. Mai: folgte ihm, ohne ihn zu drängen, denn man war nicht begierig nach einer zweiten Schlacht. Die verschiedenen Fehler, die man dem Erzherzog im Laufe dieses Feld zugeö vorwirft, werden vorzüglich der Uneinigkeit zugeschrieben, die zwischen ihm und seinein Bruder Johann bestand. Sobald also der Erzherzog einige Tage uach der Schlacht einen Waffenstillstand unterzeichnet hatte, gab er seine Entlassung ein, und übertrug den Oberbefehl dem Fürsten Lichtenstein, nachdem er in einem Tagesbefehl den Soldaten sein Bedauern ausgedrückt hatte, sich vou ihnen trennen zu müssen. Hier endigt die militärische Laufbahn des Erzherzogs; seit diesem Augen¬ blick erschien er nicht mehr auf dem Schlachtfelde. Als nach dem Vertrag von Schönbrunn die Heirath zwischen Napoleon und Marie Louise entschie¬ den war, übertrug Napoleon, um seinen edlen Gegner zu ehre», diesem den Auftrag, sich die Prinzessin in seinem Namen antrauen zu lassen; und es war nicht eine der geringsten Bizarrerien dieser wunderlichen Zeit, daß Erz¬ herzog Karl seine Nichte an den Altar führte und ihr im Namen des repu¬ blikanische» Helden vom Tagliamento den Vermählungsring ansteckte. Die großen Ereignisse von !8> I >.'. veranlaßten den Erzherzog nicht, ans seiner Zilrückgezogenheit herauszutreten. Vielleicht konnte trotz seines Patriotismus das große Herz des Prinzen sich nicht einer geheimen Spin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/261>, abgerufen am 22.07.2024.