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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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und nimmt den Paß ein; Massen", mit seiner gewohnten Hartnäckigkeit,
greift ihn wieder an; beide Feldherrn, von der Wichtigkeit dieses Passes
durchdrungen, setzen sich den größten Gefahren aus. Der Paß von Tarvis
ist der Schlüssel von Dalmatien. Man schlug sich über den Wolken, auf
Schnee- und Eisfeldern. Endlich, nachdem er sich zwanzigmal dem Tode
ausgesetzt hatte, sah sich der Erzherzog genöthigt, Tarvis seinem hartnäckigen
Gegner zu überlassen und die Division Bayalitsch aufzugeben, die auf der
einen Seite von Massena, auf der andern von Bonaparte angegriffen, die
Waffen strecken mußte.

So kam Bonaparte auf dem Gipfel der Alpen an, vereinigte sich mit
Joubert und Massena und war im Begriff mit 50,000 Mann auf Wien zu
rücken, als er die Nachricht von dein Russland der venetianischen Provinzen
empfing, der sich über alle Provinzen am rechten Ufer des Mincio ausdehnte
und im Fall eines Rückzugs die Sicherheit seiner Armee bedrohte. Gleich¬
zeitig erfuhr er, daß das Direktorium ans Maugel an Geld die beideu
Rheinarmecn nicht hatte in's Feld rücken lassen, daß Oesterreich in seiner
höchsten Noth das Volk zu den Waffen rufen wolle. In dieser mißlichen
Lage entschloß sich Bonaparre Unterhandlung zu versuchen; er bot dem be¬
siegten Feind Frieden an und richtete an den Erzherzog den 31. Mai von
Klagenfurt aus deu berühmten Brief, den wir hier mittheilen, weil er die
Achtung Bonapartes für den Erzherzog ausspricht:


"Herr Geueral! Die braven Soldaten kämpfen und verlangen nach
Frieden; dauert der Krieg nicht schon sechs Jahr? haben wir nicht genug
Meuschen umgebracht, der Menschheit genug Leiden verursacht? Das Di¬
rektorium hat Sr. Maj. dem Kaiser den Wunsch zu erkennen gegeben,
einem Kriege ein Ende zu macheu, der alle Welt in's Unglück stürzt; das
englische Cabinet hat es verhindert. Ist denn keine Hoffnung uns zu ver¬
ständigen? Und müssen wir im Interesse einer Nation, die den Leiden des
Kriegs fern bleibt, fortfahren uns einander zu erwürgen? Sie> Herr Ge¬
neral , der Sie durch Ihre Geburt dem Throne nahe stehen und über die
kleinlichen Leidenschaften erhaben sind, welche so häufig die Regierungen
bestimmen, wollen Sie Sich den Ruhm eines Wohlthäters der Menschheit
erwerben, eines Retters von Deutschland? Nicht als ob es sich nicht auch
auf andere Weise retten ließe; aber auch im Fall eines günstigen Aus¬
gangs leidet doch immer Deutschland unter dem Kriege. Was mich be¬
trifft, so würde ich mich stolzer fühlen, durch diese Eröffnung auch nur
Einem Meuschen das Leben gerettet zusahen, als über den traurigen
Ruhm, der aus Kriegsthaten entsprießt."

und nimmt den Paß ein; Massen«, mit seiner gewohnten Hartnäckigkeit,
greift ihn wieder an; beide Feldherrn, von der Wichtigkeit dieses Passes
durchdrungen, setzen sich den größten Gefahren aus. Der Paß von Tarvis
ist der Schlüssel von Dalmatien. Man schlug sich über den Wolken, auf
Schnee- und Eisfeldern. Endlich, nachdem er sich zwanzigmal dem Tode
ausgesetzt hatte, sah sich der Erzherzog genöthigt, Tarvis seinem hartnäckigen
Gegner zu überlassen und die Division Bayalitsch aufzugeben, die auf der
einen Seite von Massena, auf der andern von Bonaparte angegriffen, die
Waffen strecken mußte.

So kam Bonaparte auf dem Gipfel der Alpen an, vereinigte sich mit
Joubert und Massena und war im Begriff mit 50,000 Mann auf Wien zu
rücken, als er die Nachricht von dein Russland der venetianischen Provinzen
empfing, der sich über alle Provinzen am rechten Ufer des Mincio ausdehnte
und im Fall eines Rückzugs die Sicherheit seiner Armee bedrohte. Gleich¬
zeitig erfuhr er, daß das Direktorium ans Maugel an Geld die beideu
Rheinarmecn nicht hatte in's Feld rücken lassen, daß Oesterreich in seiner
höchsten Noth das Volk zu den Waffen rufen wolle. In dieser mißlichen
Lage entschloß sich Bonaparre Unterhandlung zu versuchen; er bot dem be¬
siegten Feind Frieden an und richtete an den Erzherzog den 31. Mai von
Klagenfurt aus deu berühmten Brief, den wir hier mittheilen, weil er die
Achtung Bonapartes für den Erzherzog ausspricht:


„Herr Geueral! Die braven Soldaten kämpfen und verlangen nach
Frieden; dauert der Krieg nicht schon sechs Jahr? haben wir nicht genug
Meuschen umgebracht, der Menschheit genug Leiden verursacht? Das Di¬
rektorium hat Sr. Maj. dem Kaiser den Wunsch zu erkennen gegeben,
einem Kriege ein Ende zu macheu, der alle Welt in's Unglück stürzt; das
englische Cabinet hat es verhindert. Ist denn keine Hoffnung uns zu ver¬
ständigen? Und müssen wir im Interesse einer Nation, die den Leiden des
Kriegs fern bleibt, fortfahren uns einander zu erwürgen? Sie> Herr Ge¬
neral , der Sie durch Ihre Geburt dem Throne nahe stehen und über die
kleinlichen Leidenschaften erhaben sind, welche so häufig die Regierungen
bestimmen, wollen Sie Sich den Ruhm eines Wohlthäters der Menschheit
erwerben, eines Retters von Deutschland? Nicht als ob es sich nicht auch
auf andere Weise retten ließe; aber auch im Fall eines günstigen Aus¬
gangs leidet doch immer Deutschland unter dem Kriege. Was mich be¬
trifft, so würde ich mich stolzer fühlen, durch diese Eröffnung auch nur
Einem Meuschen das Leben gerettet zusahen, als über den traurigen
Ruhm, der aus Kriegsthaten entsprießt."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/254>, abgerufen am 22.07.2024.