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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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in Italien und näherte sich Tyrol; Jourdan bedrohte Böhme", Moreau drang
in Baiern ein. Zugleich suchte Preußen, unter dem Schutzmantel seiner Neu
tralität, die Verlegenheit seines Nachbarn zu benutzen, um sich in Deutsch¬
land auszubreiten; schon hatte es Nürnberg gedrängt, sich unter seine Sou-
veränität zu stellen, und theilweise schon Besitz davon ergriffen; es hatte
Würtemberg, Baden und Cassel von Oesterreich abgezogen. So standen die
Sachen, als die glänzende Bewegung eines 25 jährigen Generals plötzlich
die Lage veränderte; Preußen beeilte sich, seine Truppen aus Nürnberg
zurückzuziehen; der König von Baiern, dessen Minister schon mit Moreau
unterhandelt hatten, verweigerte die Ratification des Tractats und siel wie¬
der unter das österreichische Joch, und der Krieg zog sich nach der französi¬
schen Grenze hin; Kehl und Hüningen mußten sich den siegreichen Waffen
des Erzherzogs ergeben.

Indeß rüstete sich Bonaparte, die bairischen Alpen zu übersteigen, um
allein den Plan des Directoriums auszuführen. Um diese neue Gefahr zu
beschwören, warf Oesterreich natürlich die Augen auf denjenigen, der es schon
einmal gerettet. Nach einem glänzenden Empfang in Wien wurde der Erz¬
herzog zum Generalissimus aller österreichischen Armeen ernannt und befeh¬
ligt, sich sogleich gegen Bonaparte zu wenden.

Unglücklicherweise verband der Erzherzog mit seinen großen militärischen
Eigenschaften nicht dieses Selbstvertrauen, diese Hartnäckigkeit und Unabhän¬
gigkeit des Willens, die sein junger und ungestümer Gegner so häufig gegen
das Direktorium anwandte. Se it Walten stein ist es bei dein Hofkriegsrat!) zu
Wien mehr als je Sitte, die Generale zu beschränken; der Hofkriegsrath behält
sich die absolute Leitung des Ganzen vor und überläßt dem Feldherrn nnr das
Detail. Im Augenblick, wo ganz Deutschland, durch die Stimme des Coad-
jutor vou Mainz, die Nothwendigkeit anerkannte, dem Prinzen eine nitida
rische Dictatur zu übertragen, die seinem Genie erlaubte, sich frei zu ent¬
wickeln, schrieben ihm einige alte Taktiker des Cabinets einen absurden Feld'
zugsplan vor und in seinem Respect vor der Wiener Bureaukratie unterwarf sich
der Erzherzog blind der Bestimmung, die er mißbilligte. Alle Schriftsteller
sind einig darin, seine Operations-Linie zu tadeln.

"Der große Fehler des Hofraths, die kaiserliche Armee in Friaul, nicht
ni, Tyrol zu sammeln, setzte die Hauptstadt in Gefahr und entschied über den
Ausgang des Kriegs. Wären die Franzosen gezwungen worden, den Krieg
in Tyrol zu führen, so hätte der österreichische Feldherr sein Heer 2") Tage
früher vereinigen, er hätte in einen: dem Kaiserhause blind ergebenen Volk


in Italien und näherte sich Tyrol; Jourdan bedrohte Böhme», Moreau drang
in Baiern ein. Zugleich suchte Preußen, unter dem Schutzmantel seiner Neu
tralität, die Verlegenheit seines Nachbarn zu benutzen, um sich in Deutsch¬
land auszubreiten; schon hatte es Nürnberg gedrängt, sich unter seine Sou-
veränität zu stellen, und theilweise schon Besitz davon ergriffen; es hatte
Würtemberg, Baden und Cassel von Oesterreich abgezogen. So standen die
Sachen, als die glänzende Bewegung eines 25 jährigen Generals plötzlich
die Lage veränderte; Preußen beeilte sich, seine Truppen aus Nürnberg
zurückzuziehen; der König von Baiern, dessen Minister schon mit Moreau
unterhandelt hatten, verweigerte die Ratification des Tractats und siel wie¬
der unter das österreichische Joch, und der Krieg zog sich nach der französi¬
schen Grenze hin; Kehl und Hüningen mußten sich den siegreichen Waffen
des Erzherzogs ergeben.

Indeß rüstete sich Bonaparte, die bairischen Alpen zu übersteigen, um
allein den Plan des Directoriums auszuführen. Um diese neue Gefahr zu
beschwören, warf Oesterreich natürlich die Augen auf denjenigen, der es schon
einmal gerettet. Nach einem glänzenden Empfang in Wien wurde der Erz¬
herzog zum Generalissimus aller österreichischen Armeen ernannt und befeh¬
ligt, sich sogleich gegen Bonaparte zu wenden.

Unglücklicherweise verband der Erzherzog mit seinen großen militärischen
Eigenschaften nicht dieses Selbstvertrauen, diese Hartnäckigkeit und Unabhän¬
gigkeit des Willens, die sein junger und ungestümer Gegner so häufig gegen
das Direktorium anwandte. Se it Walten stein ist es bei dein Hofkriegsrat!) zu
Wien mehr als je Sitte, die Generale zu beschränken; der Hofkriegsrath behält
sich die absolute Leitung des Ganzen vor und überläßt dem Feldherrn nnr das
Detail. Im Augenblick, wo ganz Deutschland, durch die Stimme des Coad-
jutor vou Mainz, die Nothwendigkeit anerkannte, dem Prinzen eine nitida
rische Dictatur zu übertragen, die seinem Genie erlaubte, sich frei zu ent¬
wickeln, schrieben ihm einige alte Taktiker des Cabinets einen absurden Feld'
zugsplan vor und in seinem Respect vor der Wiener Bureaukratie unterwarf sich
der Erzherzog blind der Bestimmung, die er mißbilligte. Alle Schriftsteller
sind einig darin, seine Operations-Linie zu tadeln.

„Der große Fehler des Hofraths, die kaiserliche Armee in Friaul, nicht
ni, Tyrol zu sammeln, setzte die Hauptstadt in Gefahr und entschied über den
Ausgang des Kriegs. Wären die Franzosen gezwungen worden, den Krieg
in Tyrol zu führen, so hätte der österreichische Feldherr sein Heer 2«) Tage
früher vereinigen, er hätte in einen: dem Kaiserhause blind ergebenen Volk


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[0252] in Italien und näherte sich Tyrol; Jourdan bedrohte Böhme», Moreau drang in Baiern ein. Zugleich suchte Preußen, unter dem Schutzmantel seiner Neu tralität, die Verlegenheit seines Nachbarn zu benutzen, um sich in Deutsch¬ land auszubreiten; schon hatte es Nürnberg gedrängt, sich unter seine Sou- veränität zu stellen, und theilweise schon Besitz davon ergriffen; es hatte Würtemberg, Baden und Cassel von Oesterreich abgezogen. So standen die Sachen, als die glänzende Bewegung eines 25 jährigen Generals plötzlich die Lage veränderte; Preußen beeilte sich, seine Truppen aus Nürnberg zurückzuziehen; der König von Baiern, dessen Minister schon mit Moreau unterhandelt hatten, verweigerte die Ratification des Tractats und siel wie¬ der unter das österreichische Joch, und der Krieg zog sich nach der französi¬ schen Grenze hin; Kehl und Hüningen mußten sich den siegreichen Waffen des Erzherzogs ergeben. Indeß rüstete sich Bonaparte, die bairischen Alpen zu übersteigen, um allein den Plan des Directoriums auszuführen. Um diese neue Gefahr zu beschwören, warf Oesterreich natürlich die Augen auf denjenigen, der es schon einmal gerettet. Nach einem glänzenden Empfang in Wien wurde der Erz¬ herzog zum Generalissimus aller österreichischen Armeen ernannt und befeh¬ ligt, sich sogleich gegen Bonaparte zu wenden. Unglücklicherweise verband der Erzherzog mit seinen großen militärischen Eigenschaften nicht dieses Selbstvertrauen, diese Hartnäckigkeit und Unabhän¬ gigkeit des Willens, die sein junger und ungestümer Gegner so häufig gegen das Direktorium anwandte. Se it Walten stein ist es bei dein Hofkriegsrat!) zu Wien mehr als je Sitte, die Generale zu beschränken; der Hofkriegsrath behält sich die absolute Leitung des Ganzen vor und überläßt dem Feldherrn nnr das Detail. Im Augenblick, wo ganz Deutschland, durch die Stimme des Coad- jutor vou Mainz, die Nothwendigkeit anerkannte, dem Prinzen eine nitida rische Dictatur zu übertragen, die seinem Genie erlaubte, sich frei zu ent¬ wickeln, schrieben ihm einige alte Taktiker des Cabinets einen absurden Feld' zugsplan vor und in seinem Respect vor der Wiener Bureaukratie unterwarf sich der Erzherzog blind der Bestimmung, die er mißbilligte. Alle Schriftsteller sind einig darin, seine Operations-Linie zu tadeln. „Der große Fehler des Hofraths, die kaiserliche Armee in Friaul, nicht ni, Tyrol zu sammeln, setzte die Hauptstadt in Gefahr und entschied über den Ausgang des Kriegs. Wären die Franzosen gezwungen worden, den Krieg in Tyrol zu führen, so hätte der österreichische Feldherr sein Heer 2«) Tage früher vereinigen, er hätte in einen: dem Kaiserhause blind ergebenen Volk

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/252>, abgerufen am 22.07.2024.