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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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i.
Frankreich und die Ereignisse in Preußen.

Die Berliner Ereignisse sind auch hier in Paris an der Tagesordnung, und
beschäftigen jedenfalls die denkenden Franzosen mehr als Alles, was gegenwärtig
in Frankreich und überhaupt in ganz Europa geschieht. Es beherrscht sie das
Gefühl, daß in diesem Augenblicke die Weltgeschichte ihren Sitz in der Haupt¬
stadt Preußens aufgeschlagen hat, und in diesem Gefühle folgen sie den dortigen
Vorgängen Schritt für Schritt mit einer Aufmerksamkeit und einer Theilnahme, als
ob sich ihr eigenes Geschick in ihnen entscheide. Das fast allgemeine Urtheil ist,
daß bis jetzt die preußischen Stände mit ebenso viel Freisinnigkeit als Klugheit
gehandelt haben. Neben dieser Grundansicht treten dann natürlich, je nach den
Parteien, die verschiedenartigsten Einzelnansichtcn hervor. Doch sind selbst die
entgegengesetztesten Parteien noch über einen anderen Punkt ziemlich einverstanden,
"ud zwar den, daß sowohl der König als die Stande eine feste Stellung ange¬
nommen haben. Und zwar der König diejenige, in der er sagt: Ich -- habe
allein das Recht über die Gesetzgebung des Staates zu entschei¬
den; -- und diesem Ausspruche gegenüber sehen sie die Stellung der Stände
in dem Ausspruche des Abgeordneten von Aachen, der sagte: "Nicht nur Gnade,
sondern Rechte nehmen wir in Anspruch!" Je nach den Partciansich-
ten glauben, hoffen oder fürchten die verschiedenen Organe der Oeffentlichkeit, daß
der König sich nach und nach zu allen nöthigen Zugeständnissen heranlassen,
oder auch, daß er diese Zugeständnisse verweigern werde, was denn nach dem Ur¬
theile der Meisten, zuletzt zu den ernstesten Verwickelungen sichren müßte.

Das ist in kurzen Andeutungen die Meinung, die sich hier über die preußi¬
schen Ereignisse ausspricht. Weniger bedeutend, aber doch interessant genug für
Deutschland, ist dann die allgemeine Stimmung der Franzosen, die sich bei dieser
Gelegenheit Deutschland gegenüber bekundete. Wir gestehen es mit Freuden zu.
auch nicht ein einziges Organ der Oeffentlichkeit in Frankreich, hat es versucht,
was in diesem Augenblicke'in Berlin geschieht, zu bemäkeln, zu bespötteln, zu
verkleinern, zu belächeln. Die Franzosen sind sonst stets bei der Hand, Allem


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i.
Frankreich und die Ereignisse in Preußen.

Die Berliner Ereignisse sind auch hier in Paris an der Tagesordnung, und
beschäftigen jedenfalls die denkenden Franzosen mehr als Alles, was gegenwärtig
in Frankreich und überhaupt in ganz Europa geschieht. Es beherrscht sie das
Gefühl, daß in diesem Augenblicke die Weltgeschichte ihren Sitz in der Haupt¬
stadt Preußens aufgeschlagen hat, und in diesem Gefühle folgen sie den dortigen
Vorgängen Schritt für Schritt mit einer Aufmerksamkeit und einer Theilnahme, als
ob sich ihr eigenes Geschick in ihnen entscheide. Das fast allgemeine Urtheil ist,
daß bis jetzt die preußischen Stände mit ebenso viel Freisinnigkeit als Klugheit
gehandelt haben. Neben dieser Grundansicht treten dann natürlich, je nach den
Parteien, die verschiedenartigsten Einzelnansichtcn hervor. Doch sind selbst die
entgegengesetztesten Parteien noch über einen anderen Punkt ziemlich einverstanden,
»ud zwar den, daß sowohl der König als die Stande eine feste Stellung ange¬
nommen haben. Und zwar der König diejenige, in der er sagt: Ich — habe
allein das Recht über die Gesetzgebung des Staates zu entschei¬
den; — und diesem Ausspruche gegenüber sehen sie die Stellung der Stände
in dem Ausspruche des Abgeordneten von Aachen, der sagte: „Nicht nur Gnade,
sondern Rechte nehmen wir in Anspruch!" Je nach den Partciansich-
ten glauben, hoffen oder fürchten die verschiedenen Organe der Oeffentlichkeit, daß
der König sich nach und nach zu allen nöthigen Zugeständnissen heranlassen,
oder auch, daß er diese Zugeständnisse verweigern werde, was denn nach dem Ur¬
theile der Meisten, zuletzt zu den ernstesten Verwickelungen sichren müßte.

Das ist in kurzen Andeutungen die Meinung, die sich hier über die preußi¬
schen Ereignisse ausspricht. Weniger bedeutend, aber doch interessant genug für
Deutschland, ist dann die allgemeine Stimmung der Franzosen, die sich bei dieser
Gelegenheit Deutschland gegenüber bekundete. Wir gestehen es mit Freuden zu.
auch nicht ein einziges Organ der Oeffentlichkeit in Frankreich, hat es versucht,
was in diesem Augenblicke'in Berlin geschieht, zu bemäkeln, zu bespötteln, zu
verkleinern, zu belächeln. Die Franzosen sind sonst stets bei der Hand, Allem


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[0219] T a g e b u es. i. Frankreich und die Ereignisse in Preußen. Die Berliner Ereignisse sind auch hier in Paris an der Tagesordnung, und beschäftigen jedenfalls die denkenden Franzosen mehr als Alles, was gegenwärtig in Frankreich und überhaupt in ganz Europa geschieht. Es beherrscht sie das Gefühl, daß in diesem Augenblicke die Weltgeschichte ihren Sitz in der Haupt¬ stadt Preußens aufgeschlagen hat, und in diesem Gefühle folgen sie den dortigen Vorgängen Schritt für Schritt mit einer Aufmerksamkeit und einer Theilnahme, als ob sich ihr eigenes Geschick in ihnen entscheide. Das fast allgemeine Urtheil ist, daß bis jetzt die preußischen Stände mit ebenso viel Freisinnigkeit als Klugheit gehandelt haben. Neben dieser Grundansicht treten dann natürlich, je nach den Parteien, die verschiedenartigsten Einzelnansichtcn hervor. Doch sind selbst die entgegengesetztesten Parteien noch über einen anderen Punkt ziemlich einverstanden, »ud zwar den, daß sowohl der König als die Stande eine feste Stellung ange¬ nommen haben. Und zwar der König diejenige, in der er sagt: Ich — habe allein das Recht über die Gesetzgebung des Staates zu entschei¬ den; — und diesem Ausspruche gegenüber sehen sie die Stellung der Stände in dem Ausspruche des Abgeordneten von Aachen, der sagte: „Nicht nur Gnade, sondern Rechte nehmen wir in Anspruch!" Je nach den Partciansich- ten glauben, hoffen oder fürchten die verschiedenen Organe der Oeffentlichkeit, daß der König sich nach und nach zu allen nöthigen Zugeständnissen heranlassen, oder auch, daß er diese Zugeständnisse verweigern werde, was denn nach dem Ur¬ theile der Meisten, zuletzt zu den ernstesten Verwickelungen sichren müßte. Das ist in kurzen Andeutungen die Meinung, die sich hier über die preußi¬ schen Ereignisse ausspricht. Weniger bedeutend, aber doch interessant genug für Deutschland, ist dann die allgemeine Stimmung der Franzosen, die sich bei dieser Gelegenheit Deutschland gegenüber bekundete. Wir gestehen es mit Freuden zu. auch nicht ein einziges Organ der Oeffentlichkeit in Frankreich, hat es versucht, was in diesem Augenblicke'in Berlin geschieht, zu bemäkeln, zu bespötteln, zu verkleinern, zu belächeln. Die Franzosen sind sonst stets bei der Hand, Allem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/219>, abgerufen am 22.07.2024.