Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

richtet, sie ist roth geworden. "Glücklicher," rufe ich dem Engländer in's
Ohr, "nun können Sie Ihrer Sache gewiß sein." Aber wer ist einer Sache
gewiß! . .. Im Schlosse der herzlichste Empfang. Die-alte Baronin und
ihre Schwester, die Gräfin B., machen die Honneurs bei unserem Frühstück.
Aber die Lectionen der jungen Damm können unsertwegen nicht unterbro¬
chen werden. Wir müssen der Sing- und Musikstunde beiwohnen, und das
sängt an, für den, der nicht verliebt ist, etwas langweilig zu werden. Schon
glaub' ich diese Schrecknisse überstanden, da tritt der Zcichcnmcister hervor
und erklärt, daß er die Zeichenstunde im Freien vornehmen werde. Alles
rüstet sich, um in's Dorf auszuwandern. Auch Lionel und ich, ob wir gleich
nie Zeichnen gelernt haben, werden mit Album's und Bleistiften bepackt und
müssen versprechen zeichnen zu wollen. Im Dorfe gruppirt sich Alles um
einen ganz besonders garstigen Röhrkasten und mau beginnt ihn abzuconter-
feien. - Wenn man mich nun fragt, wie Lionel die Stunden benutzte, so
muß ich erwiedern: sehr schlecht. Er ließ in seiner Schüchternheit die kost¬
barsten Gelegenheiten bei der Zeichenstunde wie bei dem Mittagessen vor¬
übergehen, und sprach mehr mit den Augen, als mit den Lippen, was bei
dem schönen Geschlechte keine gute Wirkung thut. -- So kam der Abend
heran, der Vollmond stand am blauen Himmel und "füllte Busch und Thal
mit Nebelglanz." Ich stand mit Marien am Balkon und schaute träumend
in den Park hinab. Geisterhaft flimmerte es in deu Bäumen und Büschen.
Die Weißen Statuen halb im Grün versteckt, singen zu leben an, dazwischen
sprach der Springbrunnen und die Grille sang ihr klagendes Lied. Ab¬
wechselnd blickte ich in das seltsame Treiben da unter, und auf das schöne
bleiche Frauenbild zu meiner Seite. -- "In solchen Nächten," sprach ich,
"glaube ich an all' die Märchenwelt wieder, die einst die Freude meines
Herzens war! Ja ich glaube an die Dryaden die den Hain durchjagen, ich
glaube an Lima, ich glaube an Endymion! Hinter jenen Büschen muß er
schlnmiueru der Buhle Dianens -- wecken wir nicht den schönen Schläfer!
Wie sich die Bäume neigen und biegen, wie es in allen Aesten und Zwei¬
gen singt und flüstert, glimmert und flimmert, die Statuen leben -- bald
s^igt Venus Anadyomene vom kalten Piedestale. Diese weißen Marmor¬
treppen wie sie im Mondlicht daher leuchten -- schreiten nur sie hinan, sie
führen gerade in die Welt der Wunder und der Träume! O Süßigkeit
des einsamen Schweifens durch Busch und Flur, wie lockst dn mich wie¬
der!" -- "Priesen Sie nicht das einsame Wandeln, so würde ich Sie
bitten mir ihren Arm für eine Promenade durch den Park zu geben," sagte
Maria. -- "Kann man nicht einsam sein zu Zweien?" fragte ich, als ich


richtet, sie ist roth geworden. „Glücklicher," rufe ich dem Engländer in's
Ohr, „nun können Sie Ihrer Sache gewiß sein." Aber wer ist einer Sache
gewiß! . .. Im Schlosse der herzlichste Empfang. Die-alte Baronin und
ihre Schwester, die Gräfin B., machen die Honneurs bei unserem Frühstück.
Aber die Lectionen der jungen Damm können unsertwegen nicht unterbro¬
chen werden. Wir müssen der Sing- und Musikstunde beiwohnen, und das
sängt an, für den, der nicht verliebt ist, etwas langweilig zu werden. Schon
glaub' ich diese Schrecknisse überstanden, da tritt der Zcichcnmcister hervor
und erklärt, daß er die Zeichenstunde im Freien vornehmen werde. Alles
rüstet sich, um in's Dorf auszuwandern. Auch Lionel und ich, ob wir gleich
nie Zeichnen gelernt haben, werden mit Album's und Bleistiften bepackt und
müssen versprechen zeichnen zu wollen. Im Dorfe gruppirt sich Alles um
einen ganz besonders garstigen Röhrkasten und mau beginnt ihn abzuconter-
feien. - Wenn man mich nun fragt, wie Lionel die Stunden benutzte, so
muß ich erwiedern: sehr schlecht. Er ließ in seiner Schüchternheit die kost¬
barsten Gelegenheiten bei der Zeichenstunde wie bei dem Mittagessen vor¬
übergehen, und sprach mehr mit den Augen, als mit den Lippen, was bei
dem schönen Geschlechte keine gute Wirkung thut. — So kam der Abend
heran, der Vollmond stand am blauen Himmel und „füllte Busch und Thal
mit Nebelglanz." Ich stand mit Marien am Balkon und schaute träumend
in den Park hinab. Geisterhaft flimmerte es in deu Bäumen und Büschen.
Die Weißen Statuen halb im Grün versteckt, singen zu leben an, dazwischen
sprach der Springbrunnen und die Grille sang ihr klagendes Lied. Ab¬
wechselnd blickte ich in das seltsame Treiben da unter, und auf das schöne
bleiche Frauenbild zu meiner Seite. — „In solchen Nächten," sprach ich,
„glaube ich an all' die Märchenwelt wieder, die einst die Freude meines
Herzens war! Ja ich glaube an die Dryaden die den Hain durchjagen, ich
glaube an Lima, ich glaube an Endymion! Hinter jenen Büschen muß er
schlnmiueru der Buhle Dianens — wecken wir nicht den schönen Schläfer!
Wie sich die Bäume neigen und biegen, wie es in allen Aesten und Zwei¬
gen singt und flüstert, glimmert und flimmert, die Statuen leben — bald
s^igt Venus Anadyomene vom kalten Piedestale. Diese weißen Marmor¬
treppen wie sie im Mondlicht daher leuchten — schreiten nur sie hinan, sie
führen gerade in die Welt der Wunder und der Träume! O Süßigkeit
des einsamen Schweifens durch Busch und Flur, wie lockst dn mich wie¬
der!" — „Priesen Sie nicht das einsame Wandeln, so würde ich Sie
bitten mir ihren Arm für eine Promenade durch den Park zu geben," sagte
Maria. — „Kann man nicht einsam sein zu Zweien?" fragte ich, als ich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0209" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/272108"/>
            <p xml:id="ID_781" prev="#ID_780" next="#ID_782"> richtet, sie ist roth geworden. &#x201E;Glücklicher," rufe ich dem Engländer in's<lb/>
Ohr, &#x201E;nun können Sie Ihrer Sache gewiß sein." Aber wer ist einer Sache<lb/>
gewiß! . .. Im Schlosse der herzlichste Empfang. Die-alte Baronin und<lb/>
ihre Schwester, die Gräfin B., machen die Honneurs bei unserem Frühstück.<lb/>
Aber die Lectionen der jungen Damm können unsertwegen nicht unterbro¬<lb/>
chen werden. Wir müssen der Sing- und Musikstunde beiwohnen, und das<lb/>
sängt an, für den, der nicht verliebt ist, etwas langweilig zu werden. Schon<lb/>
glaub' ich diese Schrecknisse überstanden, da tritt der Zcichcnmcister hervor<lb/>
und erklärt, daß er die Zeichenstunde im Freien vornehmen werde. Alles<lb/>
rüstet sich, um in's Dorf auszuwandern. Auch Lionel und ich, ob wir gleich<lb/>
nie Zeichnen gelernt haben, werden mit Album's und Bleistiften bepackt und<lb/>
müssen versprechen zeichnen zu wollen. Im Dorfe gruppirt sich Alles um<lb/>
einen ganz besonders garstigen Röhrkasten und mau beginnt ihn abzuconter-<lb/>
feien. - Wenn man mich nun fragt, wie Lionel die Stunden benutzte, so<lb/>
muß ich erwiedern: sehr schlecht. Er ließ in seiner Schüchternheit die kost¬<lb/>
barsten Gelegenheiten bei der Zeichenstunde wie bei dem Mittagessen vor¬<lb/>
übergehen, und sprach mehr mit den Augen, als mit den Lippen, was bei<lb/>
dem schönen Geschlechte keine gute Wirkung thut. &#x2014; So kam der Abend<lb/>
heran, der Vollmond stand am blauen Himmel und &#x201E;füllte Busch und Thal<lb/>
mit Nebelglanz." Ich stand mit Marien am Balkon und schaute träumend<lb/>
in den Park hinab. Geisterhaft flimmerte es in deu Bäumen und Büschen.<lb/>
Die Weißen Statuen halb im Grün versteckt, singen zu leben an, dazwischen<lb/>
sprach der Springbrunnen und die Grille sang ihr klagendes Lied. Ab¬<lb/>
wechselnd blickte ich in das seltsame Treiben da unter, und auf das schöne<lb/>
bleiche Frauenbild zu meiner Seite. &#x2014; &#x201E;In solchen Nächten," sprach ich,<lb/>
&#x201E;glaube ich an all' die Märchenwelt wieder, die einst die Freude meines<lb/>
Herzens war! Ja ich glaube an die Dryaden die den Hain durchjagen, ich<lb/>
glaube an Lima, ich glaube an Endymion! Hinter jenen Büschen muß er<lb/>
schlnmiueru der Buhle Dianens &#x2014; wecken wir nicht den schönen Schläfer!<lb/>
Wie sich die Bäume neigen und biegen, wie es in allen Aesten und Zwei¬<lb/>
gen singt und flüstert, glimmert und flimmert, die Statuen leben &#x2014; bald<lb/>
s^igt Venus Anadyomene vom kalten Piedestale. Diese weißen Marmor¬<lb/>
treppen wie sie im Mondlicht daher leuchten &#x2014; schreiten nur sie hinan, sie<lb/>
führen gerade in die Welt der Wunder und der Träume! O Süßigkeit<lb/>
des einsamen Schweifens durch Busch und Flur, wie lockst dn mich wie¬<lb/>
der!" &#x2014; &#x201E;Priesen Sie nicht das einsame Wandeln, so würde ich Sie<lb/>
bitten mir ihren Arm für eine Promenade durch den Park zu geben," sagte<lb/>
Maria. &#x2014; &#x201E;Kann man nicht einsam sein zu Zweien?" fragte ich, als ich</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0209] richtet, sie ist roth geworden. „Glücklicher," rufe ich dem Engländer in's Ohr, „nun können Sie Ihrer Sache gewiß sein." Aber wer ist einer Sache gewiß! . .. Im Schlosse der herzlichste Empfang. Die-alte Baronin und ihre Schwester, die Gräfin B., machen die Honneurs bei unserem Frühstück. Aber die Lectionen der jungen Damm können unsertwegen nicht unterbro¬ chen werden. Wir müssen der Sing- und Musikstunde beiwohnen, und das sängt an, für den, der nicht verliebt ist, etwas langweilig zu werden. Schon glaub' ich diese Schrecknisse überstanden, da tritt der Zcichcnmcister hervor und erklärt, daß er die Zeichenstunde im Freien vornehmen werde. Alles rüstet sich, um in's Dorf auszuwandern. Auch Lionel und ich, ob wir gleich nie Zeichnen gelernt haben, werden mit Album's und Bleistiften bepackt und müssen versprechen zeichnen zu wollen. Im Dorfe gruppirt sich Alles um einen ganz besonders garstigen Röhrkasten und mau beginnt ihn abzuconter- feien. - Wenn man mich nun fragt, wie Lionel die Stunden benutzte, so muß ich erwiedern: sehr schlecht. Er ließ in seiner Schüchternheit die kost¬ barsten Gelegenheiten bei der Zeichenstunde wie bei dem Mittagessen vor¬ übergehen, und sprach mehr mit den Augen, als mit den Lippen, was bei dem schönen Geschlechte keine gute Wirkung thut. — So kam der Abend heran, der Vollmond stand am blauen Himmel und „füllte Busch und Thal mit Nebelglanz." Ich stand mit Marien am Balkon und schaute träumend in den Park hinab. Geisterhaft flimmerte es in deu Bäumen und Büschen. Die Weißen Statuen halb im Grün versteckt, singen zu leben an, dazwischen sprach der Springbrunnen und die Grille sang ihr klagendes Lied. Ab¬ wechselnd blickte ich in das seltsame Treiben da unter, und auf das schöne bleiche Frauenbild zu meiner Seite. — „In solchen Nächten," sprach ich, „glaube ich an all' die Märchenwelt wieder, die einst die Freude meines Herzens war! Ja ich glaube an die Dryaden die den Hain durchjagen, ich glaube an Lima, ich glaube an Endymion! Hinter jenen Büschen muß er schlnmiueru der Buhle Dianens — wecken wir nicht den schönen Schläfer! Wie sich die Bäume neigen und biegen, wie es in allen Aesten und Zwei¬ gen singt und flüstert, glimmert und flimmert, die Statuen leben — bald s^igt Venus Anadyomene vom kalten Piedestale. Diese weißen Marmor¬ treppen wie sie im Mondlicht daher leuchten — schreiten nur sie hinan, sie führen gerade in die Welt der Wunder und der Träume! O Süßigkeit des einsamen Schweifens durch Busch und Flur, wie lockst dn mich wie¬ der!" — „Priesen Sie nicht das einsame Wandeln, so würde ich Sie bitten mir ihren Arm für eine Promenade durch den Park zu geben," sagte Maria. — „Kann man nicht einsam sein zu Zweien?" fragte ich, als ich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/209
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/209>, abgerufen am 22.07.2024.