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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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tage noch ein Wallfahrtsort für das Volk der Umgegend. Man sieht noch
immer die Betstätte des Heiligen im Stein ausgehauen; Stufen im Felsen
führen darüber hinweg in eine Kapelle, die noch mit Resten alten Kirchen-
schmncks verziert ist. Auch eine Quelle wird gezeigt, die Se. Wolfgang durch
sein Gebet aus der Erde aufsprudeln ließ, eine Tafel rühmt ihre wunder¬
thätigen Eigenschaften, aber in dieser schlechten, glaubenslosen Zeit ist sie
fast ganz versiegt und hilft nicht einmal mehr für den Durst.

Rings um die Einsicdlei erheben sich cyclopische Mauern von Fels¬
blöcken aufgethürmt. Wer würde errathen, was sie bedeuten? Es sind Stein¬
blöcke von Büßern zur Sühne ihrer Sünden hinangerollt. Jahrelange An¬
strengungen, ja, Anstrengungen eines halben Menschenlebens wurden darauf
verwendet, diese Felsstücke ans den Thälern unten, das wilde Gebirg hin-
auzuwälzeu; jetzt legt sich das Moos und die wilde Brvmbeerstaude um sie,
als wollte die Natur mitleidig diese traurigen Monumente einer unglücklichen,
pfaffengläubigen Zeit verhüllen. Ein Gefühl aus Mitleid und Erbitterung
gemischt, ergreift das Herz in dieser Oede, bei diesen Marterstätten der
Gläubigkeit; das ganze Mittelalter duftet dem Wanderer aus der Kapelle
leichenhaft entgegen und mit traurigen und wilden Gedanken verläßt er die
Felsentlanseu von Se. Wolfgang.


I?

Jedesmal, so oft ich in meiner Jagdfreude das Gebirge hinter Se.
Wolfgang hinanklctterte, den "schwarzen See" hinter mir hatte und durch
die Thalebenen des Mooses hiuschritt, ergriff mich der Wunsch weiter vor>
zubringe", durch die Wälder einen Weg zu suchen und die Länder hinter
diesem Gebirge zu entdecken. -- Und so verließ ich denn eines Morgens
Se. Wolfgang, wo ich, Dank meinem lieben Wirthe, so angenehme Tage
verlebt hatte, und machte mich wieder allein ans die Wanderung. Der Tag
war schön, aber der Weg durch die vorhergegangenen Regentage sehr schlecht
geworden. Durch die dichten Tannenwälder fielen streifige Lichter, an allen
Nadeln funkelten sprühende Tropfen, die bei jedem Schritte den ich vorwärts
that in vollen Güssen herabkamen. Doch war es schön am See und ein
Reiher, der in der Höhe kreiste, hatte, wie ich, seine Frende an den hellen
blauen Spiegel und ließ von Zeit zu Zeit einen scharfen, kreischenden Laut
wie ein Jubeln seiner wilden Raubthierseele vernehmen. Rüstig schritt ich
an der Granitwand der Gallwand vorüber, wo ich noch vor wenigen Tagen
einen stattlichen Hirsch geschossen, und suchte unverdrossen meinen Weg vor¬
wärts durch das niedere Gebüsch des Moors und den darüber hinaus lie-


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tage noch ein Wallfahrtsort für das Volk der Umgegend. Man sieht noch
immer die Betstätte des Heiligen im Stein ausgehauen; Stufen im Felsen
führen darüber hinweg in eine Kapelle, die noch mit Resten alten Kirchen-
schmncks verziert ist. Auch eine Quelle wird gezeigt, die Se. Wolfgang durch
sein Gebet aus der Erde aufsprudeln ließ, eine Tafel rühmt ihre wunder¬
thätigen Eigenschaften, aber in dieser schlechten, glaubenslosen Zeit ist sie
fast ganz versiegt und hilft nicht einmal mehr für den Durst.

Rings um die Einsicdlei erheben sich cyclopische Mauern von Fels¬
blöcken aufgethürmt. Wer würde errathen, was sie bedeuten? Es sind Stein¬
blöcke von Büßern zur Sühne ihrer Sünden hinangerollt. Jahrelange An¬
strengungen, ja, Anstrengungen eines halben Menschenlebens wurden darauf
verwendet, diese Felsstücke ans den Thälern unten, das wilde Gebirg hin-
auzuwälzeu; jetzt legt sich das Moos und die wilde Brvmbeerstaude um sie,
als wollte die Natur mitleidig diese traurigen Monumente einer unglücklichen,
pfaffengläubigen Zeit verhüllen. Ein Gefühl aus Mitleid und Erbitterung
gemischt, ergreift das Herz in dieser Oede, bei diesen Marterstätten der
Gläubigkeit; das ganze Mittelalter duftet dem Wanderer aus der Kapelle
leichenhaft entgegen und mit traurigen und wilden Gedanken verläßt er die
Felsentlanseu von Se. Wolfgang.


I?

Jedesmal, so oft ich in meiner Jagdfreude das Gebirge hinter Se.
Wolfgang hinanklctterte, den „schwarzen See" hinter mir hatte und durch
die Thalebenen des Mooses hiuschritt, ergriff mich der Wunsch weiter vor>
zubringe», durch die Wälder einen Weg zu suchen und die Länder hinter
diesem Gebirge zu entdecken. — Und so verließ ich denn eines Morgens
Se. Wolfgang, wo ich, Dank meinem lieben Wirthe, so angenehme Tage
verlebt hatte, und machte mich wieder allein ans die Wanderung. Der Tag
war schön, aber der Weg durch die vorhergegangenen Regentage sehr schlecht
geworden. Durch die dichten Tannenwälder fielen streifige Lichter, an allen
Nadeln funkelten sprühende Tropfen, die bei jedem Schritte den ich vorwärts
that in vollen Güssen herabkamen. Doch war es schön am See und ein
Reiher, der in der Höhe kreiste, hatte, wie ich, seine Frende an den hellen
blauen Spiegel und ließ von Zeit zu Zeit einen scharfen, kreischenden Laut
wie ein Jubeln seiner wilden Raubthierseele vernehmen. Rüstig schritt ich
an der Granitwand der Gallwand vorüber, wo ich noch vor wenigen Tagen
einen stattlichen Hirsch geschossen, und suchte unverdrossen meinen Weg vor¬
wärts durch das niedere Gebüsch des Moors und den darüber hinaus lie-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/205>, abgerufen am 25.08.2024.