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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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rdübcn, in welchen das Treiben beginnen sollte. Plötzlich tönt das Gebell
der Hunde, das Rufen und Jagen der Treiber daher -- der stattliche Hirsch,
der braune Bock, die flinke Gemse bricht durch die Bäume nud will sich in
die gegenüberliegenden Wälder flüchten. Ein Schuß! und der stattliche Hirsch
knickt zusammen, die Gemse entweicht -- ein Schuß, und der flinke Rehbock
bricht zusammen. Wie sie fallen des Waldes schöne Dämonen, andere flüch¬
ten und erreichen gerettet das Weite. Treiber und Hunde erscheinen am
Waldrande; diesmal ist das Treiben zu Ende. Zwei Hirsche, die gewiß getrof¬
fen wurden, sind nicht zu finden, man läßt den klugen Hund Waldel los,
bald ist er auf der Spur und man findet die beiden Thiere dicht bei einan¬
der in der Felsschlucht.

Wie schön war es, wenn wir über den schwarzen See uach Hause zo¬
gen! Da lagen eines Abends drei Hirsche im Boote, man hatte den schö¬
nen Thieren das Geweih mit Kränzen von rothen Vogelbeeren und blauen
Blumen geziert und ihnen ein grünes Tannenreis in das Maul gesteckt.
Die Jäger in ihrer schönen Gebirgstracht, mit ihren ausdrucksvollen, gebräun-
ten Gesichtern lehnten auf ihren Büchsen, die Treiber mit den zerrissenen
Jacken, breiten Hüten und langen Stäben bildeten malerische Gruppen. Der
See war ein weiter, klarer, metallener Spiegel , durch keinen Windhauch,
durch kein fallendes Blatt zerknittert, alle Berge, alle Wälder mit ihrem ver¬
gilbenden Laube spiegelten sich in ihm mit täuschender Treue wieder. Rein-
hold und ich standen vorn im Boote und ruderten kräftig mit, nur der arme
blasse Engländer Lionel saß traurig am Hinteren Ende des Schiffs, starrte
unverwandt in die Tiefe und seufzte vou Zeit zu Zeit: Maria. Der arme
Junge. Seit drei Monaten, während denen er der Schönen den Hof machte,
hatte er es noch nicht zu einem Geständniß bringen können; ja er wußte
noch nicht einmal, wie er daran war. Maria, schön aber wandelbar wie
der wechselnde Mond, ließ ihn in einer Stunde hoffen und warf ihn in
der nächsten mit einem spöttischen Wort in alle Abgründe der Ungewißheit,
ja der Verzweiflung zurück. Dabei war er blaß und krank geworden, seine
einzige Freude war, als Orlando in den Ardennen von Oberösterreich her-
umzuschweifen -- es hätte nur noch gefehlt, daß er seinen guten brittischen
Appetit verloren hätte, um einen todten Mann ans ihn zu machen.

Der Marktflecken Se. Wolfgang hat seinen Namen von dem heiligen
Einsiedler erhalten, der in der Nähe, in den Felsen der Frankensteinerwand,
mit einer Schaar von Brüdern ein Leben gottgefälliger Verwilderung führte.
Wie lange das her ist, weiß ich nicht, man muß einen frommem Mann dar¬
um fragen, als ich bin, aber die Stätte, wo der Asket gehaust, ist heutzu-


rdübcn, in welchen das Treiben beginnen sollte. Plötzlich tönt das Gebell
der Hunde, das Rufen und Jagen der Treiber daher — der stattliche Hirsch,
der braune Bock, die flinke Gemse bricht durch die Bäume nud will sich in
die gegenüberliegenden Wälder flüchten. Ein Schuß! und der stattliche Hirsch
knickt zusammen, die Gemse entweicht — ein Schuß, und der flinke Rehbock
bricht zusammen. Wie sie fallen des Waldes schöne Dämonen, andere flüch¬
ten und erreichen gerettet das Weite. Treiber und Hunde erscheinen am
Waldrande; diesmal ist das Treiben zu Ende. Zwei Hirsche, die gewiß getrof¬
fen wurden, sind nicht zu finden, man läßt den klugen Hund Waldel los,
bald ist er auf der Spur und man findet die beiden Thiere dicht bei einan¬
der in der Felsschlucht.

Wie schön war es, wenn wir über den schwarzen See uach Hause zo¬
gen! Da lagen eines Abends drei Hirsche im Boote, man hatte den schö¬
nen Thieren das Geweih mit Kränzen von rothen Vogelbeeren und blauen
Blumen geziert und ihnen ein grünes Tannenreis in das Maul gesteckt.
Die Jäger in ihrer schönen Gebirgstracht, mit ihren ausdrucksvollen, gebräun-
ten Gesichtern lehnten auf ihren Büchsen, die Treiber mit den zerrissenen
Jacken, breiten Hüten und langen Stäben bildeten malerische Gruppen. Der
See war ein weiter, klarer, metallener Spiegel , durch keinen Windhauch,
durch kein fallendes Blatt zerknittert, alle Berge, alle Wälder mit ihrem ver¬
gilbenden Laube spiegelten sich in ihm mit täuschender Treue wieder. Rein-
hold und ich standen vorn im Boote und ruderten kräftig mit, nur der arme
blasse Engländer Lionel saß traurig am Hinteren Ende des Schiffs, starrte
unverwandt in die Tiefe und seufzte vou Zeit zu Zeit: Maria. Der arme
Junge. Seit drei Monaten, während denen er der Schönen den Hof machte,
hatte er es noch nicht zu einem Geständniß bringen können; ja er wußte
noch nicht einmal, wie er daran war. Maria, schön aber wandelbar wie
der wechselnde Mond, ließ ihn in einer Stunde hoffen und warf ihn in
der nächsten mit einem spöttischen Wort in alle Abgründe der Ungewißheit,
ja der Verzweiflung zurück. Dabei war er blaß und krank geworden, seine
einzige Freude war, als Orlando in den Ardennen von Oberösterreich her-
umzuschweifen — es hätte nur noch gefehlt, daß er seinen guten brittischen
Appetit verloren hätte, um einen todten Mann ans ihn zu machen.

Der Marktflecken Se. Wolfgang hat seinen Namen von dem heiligen
Einsiedler erhalten, der in der Nähe, in den Felsen der Frankensteinerwand,
mit einer Schaar von Brüdern ein Leben gottgefälliger Verwilderung führte.
Wie lange das her ist, weiß ich nicht, man muß einen frommem Mann dar¬
um fragen, als ich bin, aber die Stätte, wo der Asket gehaust, ist heutzu-


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[0204] rdübcn, in welchen das Treiben beginnen sollte. Plötzlich tönt das Gebell der Hunde, das Rufen und Jagen der Treiber daher — der stattliche Hirsch, der braune Bock, die flinke Gemse bricht durch die Bäume nud will sich in die gegenüberliegenden Wälder flüchten. Ein Schuß! und der stattliche Hirsch knickt zusammen, die Gemse entweicht — ein Schuß, und der flinke Rehbock bricht zusammen. Wie sie fallen des Waldes schöne Dämonen, andere flüch¬ ten und erreichen gerettet das Weite. Treiber und Hunde erscheinen am Waldrande; diesmal ist das Treiben zu Ende. Zwei Hirsche, die gewiß getrof¬ fen wurden, sind nicht zu finden, man läßt den klugen Hund Waldel los, bald ist er auf der Spur und man findet die beiden Thiere dicht bei einan¬ der in der Felsschlucht. Wie schön war es, wenn wir über den schwarzen See uach Hause zo¬ gen! Da lagen eines Abends drei Hirsche im Boote, man hatte den schö¬ nen Thieren das Geweih mit Kränzen von rothen Vogelbeeren und blauen Blumen geziert und ihnen ein grünes Tannenreis in das Maul gesteckt. Die Jäger in ihrer schönen Gebirgstracht, mit ihren ausdrucksvollen, gebräun- ten Gesichtern lehnten auf ihren Büchsen, die Treiber mit den zerrissenen Jacken, breiten Hüten und langen Stäben bildeten malerische Gruppen. Der See war ein weiter, klarer, metallener Spiegel , durch keinen Windhauch, durch kein fallendes Blatt zerknittert, alle Berge, alle Wälder mit ihrem ver¬ gilbenden Laube spiegelten sich in ihm mit täuschender Treue wieder. Rein- hold und ich standen vorn im Boote und ruderten kräftig mit, nur der arme blasse Engländer Lionel saß traurig am Hinteren Ende des Schiffs, starrte unverwandt in die Tiefe und seufzte vou Zeit zu Zeit: Maria. Der arme Junge. Seit drei Monaten, während denen er der Schönen den Hof machte, hatte er es noch nicht zu einem Geständniß bringen können; ja er wußte noch nicht einmal, wie er daran war. Maria, schön aber wandelbar wie der wechselnde Mond, ließ ihn in einer Stunde hoffen und warf ihn in der nächsten mit einem spöttischen Wort in alle Abgründe der Ungewißheit, ja der Verzweiflung zurück. Dabei war er blaß und krank geworden, seine einzige Freude war, als Orlando in den Ardennen von Oberösterreich her- umzuschweifen — es hätte nur noch gefehlt, daß er seinen guten brittischen Appetit verloren hätte, um einen todten Mann ans ihn zu machen. Der Marktflecken Se. Wolfgang hat seinen Namen von dem heiligen Einsiedler erhalten, der in der Nähe, in den Felsen der Frankensteinerwand, mit einer Schaar von Brüdern ein Leben gottgefälliger Verwilderung führte. Wie lange das her ist, weiß ich nicht, man muß einen frommem Mann dar¬ um fragen, als ich bin, aber die Stätte, wo der Asket gehaust, ist heutzu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/204>, abgerufen am 22.07.2024.