Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.dichter und die Gefahr des Sichverirrens wuchs. Ich und Lionel, ein jun¬ Was war zu thun? Wir riefen um Hülfe, erst vergebens, dann Was sich begeben hätte, wenn wir nicht gehört worden wären und wir Das junge Volk war so glücklich, nur der hölzerne Hofmeister und die Als es eilf Uhr ward, mahnten diese beiden Vertreter der Sitte mit Ein kecker Bursch mit spitzem bebänderten Gebirgshut und blondem
dichter und die Gefahr des Sichverirrens wuchs. Ich und Lionel, ein jun¬ Was war zu thun? Wir riefen um Hülfe, erst vergebens, dann Was sich begeben hätte, wenn wir nicht gehört worden wären und wir Das junge Volk war so glücklich, nur der hölzerne Hofmeister und die Als es eilf Uhr ward, mahnten diese beiden Vertreter der Sitte mit Ein kecker Bursch mit spitzem bebänderten Gebirgshut und blondem
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0201" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/272100"/> <p xml:id="ID_757" prev="#ID_756"> dichter und die Gefahr des Sichverirrens wuchs. Ich und Lionel, ein jun¬<lb/> ger Engländer, der Anbeter der schönen Maria, Tochter der Baronesse,<lb/> waren mit mehren Damen die letzten im Zuge. Wir hielten die schöne Last<lb/> in deu Armen, wir zogen sie heran mit aller Kraft der Verzweiflung, es<lb/> wollte nicht helfen. Ihre Füßchen glitten auf deu Steingerölle aus, ihre<lb/> Knieen brachen zusammen und immer wieder sanken sie erschöpft und todt¬<lb/> müde auf das karge, dürre Moos, auf das Kiesgerölle des Bergabhangs.</p><lb/> <p xml:id="ID_758"> Was war zu thun? Wir riefen um Hülfe, erst vergebens, dann<lb/> mit mehr Erfolg. Bald antworteten uns Stimmen von der Höhe, Fackeln<lb/> und Laternen blitzten durch die Nacht; die Leute der Kuppe kamen den Da¬<lb/> men mit sanften zu Hilfe, und wir waren erlöst.</p><lb/> <p xml:id="ID_759"> Was sich begeben hätte, wenn wir nicht gehört worden wären und wir<lb/> in der gänzlichen Dunkelheit unter den Felsblöcken hätten übernachten müs¬<lb/> sen, ist eine andere Frage. Kurz, um neun Uhr saßen wir in der Sennhütte.<lb/> Bald war alles im kleinen Stübchen voll des heitersten Lebens. Der Thee<lb/> brodelte in der Maschine, das Feuer knisterte, die Damen, von Müdigkeit<lb/> und Angst erholt, saßen bald schäkernd und kichernd um den Tisch, eine blü¬<lb/> hende Tafelrunde. Minna die Liebliche, unter den warmen Himmel Athens<lb/> geboren, halb Griechin mit schwarzen Flechten, halb Baierin mit den deut¬<lb/> schen blauen Augen spielte die Zither, indeß ich Heine's Lieder der Harz¬<lb/> reise vorlas. Lionel, der gute junge Englischmau hatte immer etwas der<lb/> schönen Maria ins Ohr zu flüstern und es schien, als ob sie ihn nicht un¬<lb/> gern anhöre....</p><lb/> <p xml:id="ID_760"> Das junge Volk war so glücklich, nur der hölzerne Hofmeister und die<lb/> häßliche Gouvernante langweilten sich.</p><lb/> <p xml:id="ID_761"> Als es eilf Uhr ward, mahnten diese beiden Vertreter der Sitte mit<lb/> den ernstesten Worten zum Aufbruch. Die Damen begaben sich — wie¬<lb/> wohl zögernd — in ihr Schlafgemach, die Herren lagerten sich ans den Ma¬<lb/> tratzen, die in der Gaststube ausgebreitet worden waren. Ich zog es vor,<lb/> noch draußen vor der Hütte beim Feuer zu sitzen, das die Kvppenbewvhner<lb/> angeschürt, und indeß ich behaglich die Füße gegen die Brände zugekehrt,<lb/> eine Cigarre rauchte, saugen die Söhne der Berge zur Begleitung der Zit-<lb/> ther ihre liebliche Reime.</p><lb/> <p xml:id="ID_762"> Ein kecker Bursch mit spitzem bebänderten Gebirgshut und blondem<lb/> Bart sang:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_2" type="poem"> <l> Ich geh' so gern zu dir<lb/> Im Garten ama,<lb/> Schöner Schatz, Leib und Lebe»<lb/> Thu' ich wagen wegen dein«,</l> </lg> </quote><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0201]
dichter und die Gefahr des Sichverirrens wuchs. Ich und Lionel, ein jun¬
ger Engländer, der Anbeter der schönen Maria, Tochter der Baronesse,
waren mit mehren Damen die letzten im Zuge. Wir hielten die schöne Last
in deu Armen, wir zogen sie heran mit aller Kraft der Verzweiflung, es
wollte nicht helfen. Ihre Füßchen glitten auf deu Steingerölle aus, ihre
Knieen brachen zusammen und immer wieder sanken sie erschöpft und todt¬
müde auf das karge, dürre Moos, auf das Kiesgerölle des Bergabhangs.
Was war zu thun? Wir riefen um Hülfe, erst vergebens, dann
mit mehr Erfolg. Bald antworteten uns Stimmen von der Höhe, Fackeln
und Laternen blitzten durch die Nacht; die Leute der Kuppe kamen den Da¬
men mit sanften zu Hilfe, und wir waren erlöst.
Was sich begeben hätte, wenn wir nicht gehört worden wären und wir
in der gänzlichen Dunkelheit unter den Felsblöcken hätten übernachten müs¬
sen, ist eine andere Frage. Kurz, um neun Uhr saßen wir in der Sennhütte.
Bald war alles im kleinen Stübchen voll des heitersten Lebens. Der Thee
brodelte in der Maschine, das Feuer knisterte, die Damen, von Müdigkeit
und Angst erholt, saßen bald schäkernd und kichernd um den Tisch, eine blü¬
hende Tafelrunde. Minna die Liebliche, unter den warmen Himmel Athens
geboren, halb Griechin mit schwarzen Flechten, halb Baierin mit den deut¬
schen blauen Augen spielte die Zither, indeß ich Heine's Lieder der Harz¬
reise vorlas. Lionel, der gute junge Englischmau hatte immer etwas der
schönen Maria ins Ohr zu flüstern und es schien, als ob sie ihn nicht un¬
gern anhöre....
Das junge Volk war so glücklich, nur der hölzerne Hofmeister und die
häßliche Gouvernante langweilten sich.
Als es eilf Uhr ward, mahnten diese beiden Vertreter der Sitte mit
den ernstesten Worten zum Aufbruch. Die Damen begaben sich — wie¬
wohl zögernd — in ihr Schlafgemach, die Herren lagerten sich ans den Ma¬
tratzen, die in der Gaststube ausgebreitet worden waren. Ich zog es vor,
noch draußen vor der Hütte beim Feuer zu sitzen, das die Kvppenbewvhner
angeschürt, und indeß ich behaglich die Füße gegen die Brände zugekehrt,
eine Cigarre rauchte, saugen die Söhne der Berge zur Begleitung der Zit-
ther ihre liebliche Reime.
Ein kecker Bursch mit spitzem bebänderten Gebirgshut und blondem
Bart sang:
Ich geh' so gern zu dir
Im Garten ama,
Schöner Schatz, Leib und Lebe»
Thu' ich wagen wegen dein«,
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