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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Rom getroffen wurde, hat den Umschwung der öffentlichen Meinung ganz
vollendet."




Soweit der "Korrespondent," der,die Sache von französischem Gesichts-
punkte, auffaßt. Aber auch von deutschem und von allgemeinem Gesichts¬
punkte aus muß mau anerkennen, daß die Politik Pius IX. von durchaus
modernen und Staatsklugen Prinzipien ausgeht. Die Ausnahme, welche die
ungewohnte Erscheinung eines türkischen Gesandten in Rom beim Papste
fand und das noch unerhörte Ereignis;, daß das Haupt der Christenheit
einen Gesandten bei dem Sultan accredirt, ist ein Akt weitblickender Po¬
litik. Der Halbmond wackelt ans den Zinnen von Constantinopel, näher als
je steht die Auflösung der osmanischen Herrschaft bevor. Wer wird ihr Erbe
werden? Europa hat sich fast an den Gedanken gewöhnt, Rußlands Ezarcn,
dem Großherrn und die politische ttndnldsamkcit und egoistische Bckehrungs-
wuth des griechischen Kirchcnhaupteö dem religiösen Fanatismus der Os-
manen in Constantinopel folgen zu sehen. Welche Eventualitäten Hu Oriente
immerhin eintreten mögen, so hat die vorsichtige Politik Pius IX. der ka¬
tholischen Kirche dort einen Repräsentanten eingesetzt, der im Momente
russisch-griechischer Erobcrungsphasen erst seine rechte Bedeutung erhalten
wird. Daß Oesterreich und Frankreich, die beiden katholischen Großmächte,
hierin dein päpstlichen Stuhle rathend zur Seite standen, ist kaum zu ver¬
kennen, so wie überhaupt die Anecdoten, welche über Zerwürfnisse zwischen
Oesterreich und dem Papste in französischen Blättern cirkuliren, mit begrün¬
detem Zweifel aufgenommen werden müssen, da sie einerseits von Italienern
ausgehen, welche der nationale Haß gegen Oesterreich und andererseits von
Franzosen, welche die politische Eifersucht gegen die österreichische Herrschaft
in Italien zur Verbreitung, zur Uebertreibung, wenn nicht gar zur Erfin¬
dung solcher Anecdoten treibt. Was nur die päpstliche Politik in Deutsche
land betrifft, so haben wir in den jüngsten Tagen zwei bedeutsame Finger¬
zeige darüber erhalten: zuerst das freundliche Schreiben des Vaticans an
den König von Baiern uach dem Abtritte des Adel'schen Ministeriums, und
endlich die Form der Excommunication, die der Bischof von Breslau über
den Fürsten von HaMd verhängte, eine Form, die ganz ungewöhnlich in
katholischen Documenten dieser Art ist und sicherlich noch unter Gregor XVI.
in ganz anderem Styl hätte gefaßt werden müssen. Eine Excommunication
muß allerdings in der Mitte des l!>. Jahrhunderts, gegenüber dem gehn-


Rom getroffen wurde, hat den Umschwung der öffentlichen Meinung ganz
vollendet."




Soweit der „Korrespondent," der,die Sache von französischem Gesichts-
punkte, auffaßt. Aber auch von deutschem und von allgemeinem Gesichts¬
punkte aus muß mau anerkennen, daß die Politik Pius IX. von durchaus
modernen und Staatsklugen Prinzipien ausgeht. Die Ausnahme, welche die
ungewohnte Erscheinung eines türkischen Gesandten in Rom beim Papste
fand und das noch unerhörte Ereignis;, daß das Haupt der Christenheit
einen Gesandten bei dem Sultan accredirt, ist ein Akt weitblickender Po¬
litik. Der Halbmond wackelt ans den Zinnen von Constantinopel, näher als
je steht die Auflösung der osmanischen Herrschaft bevor. Wer wird ihr Erbe
werden? Europa hat sich fast an den Gedanken gewöhnt, Rußlands Ezarcn,
dem Großherrn und die politische ttndnldsamkcit und egoistische Bckehrungs-
wuth des griechischen Kirchcnhaupteö dem religiösen Fanatismus der Os-
manen in Constantinopel folgen zu sehen. Welche Eventualitäten Hu Oriente
immerhin eintreten mögen, so hat die vorsichtige Politik Pius IX. der ka¬
tholischen Kirche dort einen Repräsentanten eingesetzt, der im Momente
russisch-griechischer Erobcrungsphasen erst seine rechte Bedeutung erhalten
wird. Daß Oesterreich und Frankreich, die beiden katholischen Großmächte,
hierin dein päpstlichen Stuhle rathend zur Seite standen, ist kaum zu ver¬
kennen, so wie überhaupt die Anecdoten, welche über Zerwürfnisse zwischen
Oesterreich und dem Papste in französischen Blättern cirkuliren, mit begrün¬
detem Zweifel aufgenommen werden müssen, da sie einerseits von Italienern
ausgehen, welche der nationale Haß gegen Oesterreich und andererseits von
Franzosen, welche die politische Eifersucht gegen die österreichische Herrschaft
in Italien zur Verbreitung, zur Uebertreibung, wenn nicht gar zur Erfin¬
dung solcher Anecdoten treibt. Was nur die päpstliche Politik in Deutsche
land betrifft, so haben wir in den jüngsten Tagen zwei bedeutsame Finger¬
zeige darüber erhalten: zuerst das freundliche Schreiben des Vaticans an
den König von Baiern uach dem Abtritte des Adel'schen Ministeriums, und
endlich die Form der Excommunication, die der Bischof von Breslau über
den Fürsten von HaMd verhängte, eine Form, die ganz ungewöhnlich in
katholischen Documenten dieser Art ist und sicherlich noch unter Gregor XVI.
in ganz anderem Styl hätte gefaßt werden müssen. Eine Excommunication
muß allerdings in der Mitte des l!>. Jahrhunderts, gegenüber dem gehn-


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[0170] Rom getroffen wurde, hat den Umschwung der öffentlichen Meinung ganz vollendet." Soweit der „Korrespondent," der,die Sache von französischem Gesichts- punkte, auffaßt. Aber auch von deutschem und von allgemeinem Gesichts¬ punkte aus muß mau anerkennen, daß die Politik Pius IX. von durchaus modernen und Staatsklugen Prinzipien ausgeht. Die Ausnahme, welche die ungewohnte Erscheinung eines türkischen Gesandten in Rom beim Papste fand und das noch unerhörte Ereignis;, daß das Haupt der Christenheit einen Gesandten bei dem Sultan accredirt, ist ein Akt weitblickender Po¬ litik. Der Halbmond wackelt ans den Zinnen von Constantinopel, näher als je steht die Auflösung der osmanischen Herrschaft bevor. Wer wird ihr Erbe werden? Europa hat sich fast an den Gedanken gewöhnt, Rußlands Ezarcn, dem Großherrn und die politische ttndnldsamkcit und egoistische Bckehrungs- wuth des griechischen Kirchcnhaupteö dem religiösen Fanatismus der Os- manen in Constantinopel folgen zu sehen. Welche Eventualitäten Hu Oriente immerhin eintreten mögen, so hat die vorsichtige Politik Pius IX. der ka¬ tholischen Kirche dort einen Repräsentanten eingesetzt, der im Momente russisch-griechischer Erobcrungsphasen erst seine rechte Bedeutung erhalten wird. Daß Oesterreich und Frankreich, die beiden katholischen Großmächte, hierin dein päpstlichen Stuhle rathend zur Seite standen, ist kaum zu ver¬ kennen, so wie überhaupt die Anecdoten, welche über Zerwürfnisse zwischen Oesterreich und dem Papste in französischen Blättern cirkuliren, mit begrün¬ detem Zweifel aufgenommen werden müssen, da sie einerseits von Italienern ausgehen, welche der nationale Haß gegen Oesterreich und andererseits von Franzosen, welche die politische Eifersucht gegen die österreichische Herrschaft in Italien zur Verbreitung, zur Uebertreibung, wenn nicht gar zur Erfin¬ dung solcher Anecdoten treibt. Was nur die päpstliche Politik in Deutsche land betrifft, so haben wir in den jüngsten Tagen zwei bedeutsame Finger¬ zeige darüber erhalten: zuerst das freundliche Schreiben des Vaticans an den König von Baiern uach dem Abtritte des Adel'schen Ministeriums, und endlich die Form der Excommunication, die der Bischof von Breslau über den Fürsten von HaMd verhängte, eine Form, die ganz ungewöhnlich in katholischen Documenten dieser Art ist und sicherlich noch unter Gregor XVI. in ganz anderem Styl hätte gefaßt werden müssen. Eine Excommunication muß allerdings in der Mitte des l!>. Jahrhunderts, gegenüber dem gehn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/170>, abgerufen am 22.07.2024.