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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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bei Navarin (20. Oct. 1827), die Besetzung der messenischen Festungen
durch eine französische Occupationsarmce (August 1828) und endlich der
Friede zu Adrianopel (14. September 1829) machte dem neunjährigen mit
abwechselnden Kriegsglück geführten Kampfe der Griechen und Türken ein
Ende; Kriechenland begann, ans schmachvoller Knechtschaft erlöst, freier
aufzuathmen und uuter dem Schutze einer nach Ordnung strebenden Regie-
rungsform die nach blutigen Anstrengungen mühsam errungene Selbststän-
digkeit wohlthuend zu empfinden.

Bezeichnend und bis in die neueste Geschichte des Landes sich verzwei¬
gend verdient der Umstand hervorgehoben zu werden, daß während des gan¬
zen Verlaufs des Befreiungskampfes es keinem einzigen Griechen gelingen
wollte, die oberste Leitung des Staates im Innern und nach Außen dauernd
in sich zu vereinigen, gleichsam als ein vom Volte ausgegangener Dictator
das Ruder der neugeschaffenen Republik kühn zu erfassen und mit kräftiger
Hand zu führen. War es Mangel an Talenten oder Energie, Vorhanden¬
sein überwiegender Eifersucht untereinander, zu großes Selbstvertrauen ans
die politische Macht Einzelner n. tgi. in., welche keinen der Volkssührer jener
Zeit, als: Markos Botsaris (geht. 20. April 1824), I. Kolettis, Theod.
Kolokvtrottis (geht. 1.5. März 1843), G. Kondouriottis, Alex. Mavrokor-
datos, Petros Mavromichalis, And. Miaulis (geht. 1835), D. Upsilanti's
(geht. August 1832) u. a. in. befähigte, jeden andern neben und mit ihm
kämpfenden Einfluß zu Paralysiren und sich selbst mit der repräsentativen
Alleingewalt über das Volk zu betrauen? Wohl möglich, daß, hätte ein
solches Ereigniß stattgefunden, die staatlichen Verhältnisse Griechenlands eine
von der Gegenwart ganz verschiedene Gestaltung erlangt haben würden.

Demnach ihre eigene Macht zu schwach fühlend und in der Absicht, dein
auf ihre Landsleute durch sie ausgeübten Einfluß kräftigere Stützen zu ver¬
schaffen, ließen sich jene griechischen Notablen und mit ihnen noch manche
Andere willig finden (freilich schwebte ihnen dabei die Grundidee vor, ihrem
bedrängten Vaterlande dadurch einen Dienst zu erweisen), den Rathschlägen
und Einflüsterungen fremder diplomatischer Agenten, häufig mehr als räth¬
lich Gehör zu geben, und solchergestalt als untergeordnete Organe auslän¬
discher Diplomatie Mehr oder weniger die Interessen des Auslandes ans
Kosten des Vaterlandes zu wahren. Die Geschichte bezeugt dies bei verschie¬
denen Anlässen, z. B. durch das Manifest der provisorischen Regierung
(2ö> Juli/7. August 1825), wodurch die griechische Nation unter den Schutz
Großbritanniens sich stellte, ferner durch Eontrahirung der 1. und 2. An¬
leihe in England (21. Febr. 1824 und 7. Febr. 1825), wo statt 2,800,000


bei Navarin (20. Oct. 1827), die Besetzung der messenischen Festungen
durch eine französische Occupationsarmce (August 1828) und endlich der
Friede zu Adrianopel (14. September 1829) machte dem neunjährigen mit
abwechselnden Kriegsglück geführten Kampfe der Griechen und Türken ein
Ende; Kriechenland begann, ans schmachvoller Knechtschaft erlöst, freier
aufzuathmen und uuter dem Schutze einer nach Ordnung strebenden Regie-
rungsform die nach blutigen Anstrengungen mühsam errungene Selbststän-
digkeit wohlthuend zu empfinden.

Bezeichnend und bis in die neueste Geschichte des Landes sich verzwei¬
gend verdient der Umstand hervorgehoben zu werden, daß während des gan¬
zen Verlaufs des Befreiungskampfes es keinem einzigen Griechen gelingen
wollte, die oberste Leitung des Staates im Innern und nach Außen dauernd
in sich zu vereinigen, gleichsam als ein vom Volte ausgegangener Dictator
das Ruder der neugeschaffenen Republik kühn zu erfassen und mit kräftiger
Hand zu führen. War es Mangel an Talenten oder Energie, Vorhanden¬
sein überwiegender Eifersucht untereinander, zu großes Selbstvertrauen ans
die politische Macht Einzelner n. tgi. in., welche keinen der Volkssührer jener
Zeit, als: Markos Botsaris (geht. 20. April 1824), I. Kolettis, Theod.
Kolokvtrottis (geht. 1.5. März 1843), G. Kondouriottis, Alex. Mavrokor-
datos, Petros Mavromichalis, And. Miaulis (geht. 1835), D. Upsilanti's
(geht. August 1832) u. a. in. befähigte, jeden andern neben und mit ihm
kämpfenden Einfluß zu Paralysiren und sich selbst mit der repräsentativen
Alleingewalt über das Volk zu betrauen? Wohl möglich, daß, hätte ein
solches Ereigniß stattgefunden, die staatlichen Verhältnisse Griechenlands eine
von der Gegenwart ganz verschiedene Gestaltung erlangt haben würden.

Demnach ihre eigene Macht zu schwach fühlend und in der Absicht, dein
auf ihre Landsleute durch sie ausgeübten Einfluß kräftigere Stützen zu ver¬
schaffen, ließen sich jene griechischen Notablen und mit ihnen noch manche
Andere willig finden (freilich schwebte ihnen dabei die Grundidee vor, ihrem
bedrängten Vaterlande dadurch einen Dienst zu erweisen), den Rathschlägen
und Einflüsterungen fremder diplomatischer Agenten, häufig mehr als räth¬
lich Gehör zu geben, und solchergestalt als untergeordnete Organe auslän¬
discher Diplomatie Mehr oder weniger die Interessen des Auslandes ans
Kosten des Vaterlandes zu wahren. Die Geschichte bezeugt dies bei verschie¬
denen Anlässen, z. B. durch das Manifest der provisorischen Regierung
(2ö> Juli/7. August 1825), wodurch die griechische Nation unter den Schutz
Großbritanniens sich stellte, ferner durch Eontrahirung der 1. und 2. An¬
leihe in England (21. Febr. 1824 und 7. Febr. 1825), wo statt 2,800,000


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/158>, abgerufen am 23.07.2024.