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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Der preußische Landtag hat diese Gelegenheit vorübergehen lassen; in
seiner Adresse murrt und schmeichelt er gleichzeitig; hofft er und zagt; nimmt
er Lehren an nud opponire. Wenn er den Kampf jetzt von neuem unter¬
nimmt, so kann er wohl den Zorn der Regierung erregen, aber nicht mehr
ihre Achtung erzwingen. Ich möchte nicht gern mißverstanden werden! Ich
bezweifle nicht im Geringsten die vollkommene Ehrenhaftigkeit, die redliche
Gesinnung, die ausgezeichnete Einsicht der einzelnen Mitglieder der Stände-
versammlung; aber als Gesammtheit können sie aus dieser Stellung, in die
sie durch die Adresse gerathen, nicht mehr heraustreten.

Die Verfassung vom 3. Februar leidet vielleicht an größern Mängeln
als eine andere der mir bekannten; aber es gilt von ihr, was von allen
"geschriebenen Papieren" zu halten ist, sie wird unter den Händen entschlos¬
sener Männer zu dem, was sie daraus mache" wollen. Es war möglich,
durch einen gesetzten, seiner selbst sichern Willen aus dem Factum der Ein¬
berufung die Grundlage eines gesetzlich gesicherten Baues zu machen. Dies
ist nicht geschehen. Jene Verfassung besteht nun zu Recht, wie man sich
ausdrückt, d. h. es gibt kein legales Organ mehr, durch das sie angegriffen
werden könnte. Allerdings haben die Stände erklärt, sie hätten Manches
an ihr auszusetzen; sie habe" Meinungen, Wünsche, Hoffnungen vorgetragen,
aber keinen Entschluß.

Wenn sie jetzt mit dieser Erklärung nachträglich austreten, so ist die
nächste Folge ein durchaus unsittliches Verhältniß zwischen Fürst und Volk;
ein der Moral nach anarchischer Zustand, der auf die politische Bedeutung
Preußens nur verderblich einwirken kann. Die einzelnen Mitglieder haben
nicht einmal mehr das Recht, sich zu entfernen, wenn sie in der Minorität
bleiben; und wenn die Opposition die Majorität gewinnt, so ist es ein un¬
sicherer, unklarer und darum unsittlicher Kampf. Einem Pessimisten, der
nur aus der Fäulniß des Bestehenden die Saat der bessern Zukunft keimen
sieht, möchte ein solches Verhältniß gefallen. Wer es wohl mit dem Volke
meint, kann einen so bedenklichen Weg nicht einschlagen. Was sollen denn
also die Stände jetzt thun? Ich habe nur Eine Meinung darüber -- Sie
kennen dieselbe schon aus meinem frühern Bericht. Nachdem die offne, feier¬
liche, ehrenvolle Ankündigung der Fehde unterblieben ist, bleibt nur ein
ehrenvoller Friede.

Die liberale Opposition muß ihren prinzipiellen Widerstand aufge¬
ben. Sie kann noch Gutes und Vortreffliches wirken, wenn sie aufrichtig
dem neuen Rechtszustand sich anschließt, und aus demselben im Einzelnen,
auf eine organische und natürliche Weise das Bessere sich entwickeln läßt.


Der preußische Landtag hat diese Gelegenheit vorübergehen lassen; in
seiner Adresse murrt und schmeichelt er gleichzeitig; hofft er und zagt; nimmt
er Lehren an nud opponire. Wenn er den Kampf jetzt von neuem unter¬
nimmt, so kann er wohl den Zorn der Regierung erregen, aber nicht mehr
ihre Achtung erzwingen. Ich möchte nicht gern mißverstanden werden! Ich
bezweifle nicht im Geringsten die vollkommene Ehrenhaftigkeit, die redliche
Gesinnung, die ausgezeichnete Einsicht der einzelnen Mitglieder der Stände-
versammlung; aber als Gesammtheit können sie aus dieser Stellung, in die
sie durch die Adresse gerathen, nicht mehr heraustreten.

Die Verfassung vom 3. Februar leidet vielleicht an größern Mängeln
als eine andere der mir bekannten; aber es gilt von ihr, was von allen
„geschriebenen Papieren" zu halten ist, sie wird unter den Händen entschlos¬
sener Männer zu dem, was sie daraus mache» wollen. Es war möglich,
durch einen gesetzten, seiner selbst sichern Willen aus dem Factum der Ein¬
berufung die Grundlage eines gesetzlich gesicherten Baues zu machen. Dies
ist nicht geschehen. Jene Verfassung besteht nun zu Recht, wie man sich
ausdrückt, d. h. es gibt kein legales Organ mehr, durch das sie angegriffen
werden könnte. Allerdings haben die Stände erklärt, sie hätten Manches
an ihr auszusetzen; sie habe» Meinungen, Wünsche, Hoffnungen vorgetragen,
aber keinen Entschluß.

Wenn sie jetzt mit dieser Erklärung nachträglich austreten, so ist die
nächste Folge ein durchaus unsittliches Verhältniß zwischen Fürst und Volk;
ein der Moral nach anarchischer Zustand, der auf die politische Bedeutung
Preußens nur verderblich einwirken kann. Die einzelnen Mitglieder haben
nicht einmal mehr das Recht, sich zu entfernen, wenn sie in der Minorität
bleiben; und wenn die Opposition die Majorität gewinnt, so ist es ein un¬
sicherer, unklarer und darum unsittlicher Kampf. Einem Pessimisten, der
nur aus der Fäulniß des Bestehenden die Saat der bessern Zukunft keimen
sieht, möchte ein solches Verhältniß gefallen. Wer es wohl mit dem Volke
meint, kann einen so bedenklichen Weg nicht einschlagen. Was sollen denn
also die Stände jetzt thun? Ich habe nur Eine Meinung darüber — Sie
kennen dieselbe schon aus meinem frühern Bericht. Nachdem die offne, feier¬
liche, ehrenvolle Ankündigung der Fehde unterblieben ist, bleibt nur ein
ehrenvoller Friede.

Die liberale Opposition muß ihren prinzipiellen Widerstand aufge¬
ben. Sie kann noch Gutes und Vortreffliches wirken, wenn sie aufrichtig
dem neuen Rechtszustand sich anschließt, und aus demselben im Einzelnen,
auf eine organische und natürliche Weise das Bessere sich entwickeln läßt.


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[0123] Der preußische Landtag hat diese Gelegenheit vorübergehen lassen; in seiner Adresse murrt und schmeichelt er gleichzeitig; hofft er und zagt; nimmt er Lehren an nud opponire. Wenn er den Kampf jetzt von neuem unter¬ nimmt, so kann er wohl den Zorn der Regierung erregen, aber nicht mehr ihre Achtung erzwingen. Ich möchte nicht gern mißverstanden werden! Ich bezweifle nicht im Geringsten die vollkommene Ehrenhaftigkeit, die redliche Gesinnung, die ausgezeichnete Einsicht der einzelnen Mitglieder der Stände- versammlung; aber als Gesammtheit können sie aus dieser Stellung, in die sie durch die Adresse gerathen, nicht mehr heraustreten. Die Verfassung vom 3. Februar leidet vielleicht an größern Mängeln als eine andere der mir bekannten; aber es gilt von ihr, was von allen „geschriebenen Papieren" zu halten ist, sie wird unter den Händen entschlos¬ sener Männer zu dem, was sie daraus mache» wollen. Es war möglich, durch einen gesetzten, seiner selbst sichern Willen aus dem Factum der Ein¬ berufung die Grundlage eines gesetzlich gesicherten Baues zu machen. Dies ist nicht geschehen. Jene Verfassung besteht nun zu Recht, wie man sich ausdrückt, d. h. es gibt kein legales Organ mehr, durch das sie angegriffen werden könnte. Allerdings haben die Stände erklärt, sie hätten Manches an ihr auszusetzen; sie habe» Meinungen, Wünsche, Hoffnungen vorgetragen, aber keinen Entschluß. Wenn sie jetzt mit dieser Erklärung nachträglich austreten, so ist die nächste Folge ein durchaus unsittliches Verhältniß zwischen Fürst und Volk; ein der Moral nach anarchischer Zustand, der auf die politische Bedeutung Preußens nur verderblich einwirken kann. Die einzelnen Mitglieder haben nicht einmal mehr das Recht, sich zu entfernen, wenn sie in der Minorität bleiben; und wenn die Opposition die Majorität gewinnt, so ist es ein un¬ sicherer, unklarer und darum unsittlicher Kampf. Einem Pessimisten, der nur aus der Fäulniß des Bestehenden die Saat der bessern Zukunft keimen sieht, möchte ein solches Verhältniß gefallen. Wer es wohl mit dem Volke meint, kann einen so bedenklichen Weg nicht einschlagen. Was sollen denn also die Stände jetzt thun? Ich habe nur Eine Meinung darüber — Sie kennen dieselbe schon aus meinem frühern Bericht. Nachdem die offne, feier¬ liche, ehrenvolle Ankündigung der Fehde unterblieben ist, bleibt nur ein ehrenvoller Friede. Die liberale Opposition muß ihren prinzipiellen Widerstand aufge¬ ben. Sie kann noch Gutes und Vortreffliches wirken, wenn sie aufrichtig dem neuen Rechtszustand sich anschließt, und aus demselben im Einzelnen, auf eine organische und natürliche Weise das Bessere sich entwickeln läßt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/123>, abgerufen am 22.07.2024.