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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Der preußische Landtag.

Die entscheidende Schlacht ist nun geschlagen; sie ist für die constitu-
tionelle Partei verloren. Ist dieses ein Unglück oder nicht? -- Die Ant¬
wort können wir zunächst dahingestellt sein lassen; machen wir uns vor Al¬
lem den Sinn dieser bedeutungsvollen Tage klar. Es berührt dies eine
allgemeinere Frage, die, nicht allein für Preußen, zur Sprache kommen dürfte.
Ist ein legaler Zustand, er sei wie er wolle, unbedingt dem Patriarchaten
Vertrauens- und Aufsichtszustaud vorzuziehen? Ist eine halbe "Verfassung"
besser als gar keine? Denn so steht es uun. Der einzige Augenblick, in wel¬
chem die Vertreter des Volks es bestimmt auszusprechen hatten, ob sie die im
Patent vom Februar enthaltene Verfassung als diejenige begrüßen und
anerkennen, auf welchem die Entwickelung des preußischen Staatswesens
vor sich gehen sollte, oder, nicht, ist nun vorübergegangen: keines von
beiden ist geschehen. Nachdem seit dein Huldigungslandtag von 1840 die
Landtage sich aus allen Kräften abgemüht hatten, diesen großen Augen¬
blick herbeizuführen; nachdem Presse, Volk, Regierung, Stände, im ver¬
schiedenartigsten Sinn gewetteifert, ihn möglich oder unmöglich zu machen,
kommt dieser große Augenblick; und -- die Entscheidung wird vertagt; aber
vertagt in einer Weise, die eine ehrenvolle Wiederaufnahme des Kampfes
nicht wohl möglich macht.

Da man diese einzige Gelegenheit, dem Fürsten, der mit königlicher Of¬
fenheit gesprochen, gegenüber diese ehrerbietige, aber volle Wahrheit auszu-
sprechen, vorübergehen ließ? Man könnte sagen: "Es ist im Wesentlichen
noch nichts verloren; die liberale Opposition war nicht gehörig organisirt;
sie ist ungeschickt, schlecht angeführt, aus zu heterogenen Elementen zusammen-
gesetzt;" aber sie ist da, und was einmal versäumt ist, kann in günstigen Mo¬
menten nachgeholt werden; diese Momente müssen sich finden, ja sie sind wesent¬
lich durch die weiten Geschäfte des Landtags bedingt. Zum Beispiel. Es ist dem
Landtage der Entwurf einer Anleihe zum Behuf der östlichen Eisenbahn vorgelegt.


Der preußische Landtag.

Die entscheidende Schlacht ist nun geschlagen; sie ist für die constitu-
tionelle Partei verloren. Ist dieses ein Unglück oder nicht? — Die Ant¬
wort können wir zunächst dahingestellt sein lassen; machen wir uns vor Al¬
lem den Sinn dieser bedeutungsvollen Tage klar. Es berührt dies eine
allgemeinere Frage, die, nicht allein für Preußen, zur Sprache kommen dürfte.
Ist ein legaler Zustand, er sei wie er wolle, unbedingt dem Patriarchaten
Vertrauens- und Aufsichtszustaud vorzuziehen? Ist eine halbe „Verfassung"
besser als gar keine? Denn so steht es uun. Der einzige Augenblick, in wel¬
chem die Vertreter des Volks es bestimmt auszusprechen hatten, ob sie die im
Patent vom Februar enthaltene Verfassung als diejenige begrüßen und
anerkennen, auf welchem die Entwickelung des preußischen Staatswesens
vor sich gehen sollte, oder, nicht, ist nun vorübergegangen: keines von
beiden ist geschehen. Nachdem seit dein Huldigungslandtag von 1840 die
Landtage sich aus allen Kräften abgemüht hatten, diesen großen Augen¬
blick herbeizuführen; nachdem Presse, Volk, Regierung, Stände, im ver¬
schiedenartigsten Sinn gewetteifert, ihn möglich oder unmöglich zu machen,
kommt dieser große Augenblick; und — die Entscheidung wird vertagt; aber
vertagt in einer Weise, die eine ehrenvolle Wiederaufnahme des Kampfes
nicht wohl möglich macht.

Da man diese einzige Gelegenheit, dem Fürsten, der mit königlicher Of¬
fenheit gesprochen, gegenüber diese ehrerbietige, aber volle Wahrheit auszu-
sprechen, vorübergehen ließ? Man könnte sagen: „Es ist im Wesentlichen
noch nichts verloren; die liberale Opposition war nicht gehörig organisirt;
sie ist ungeschickt, schlecht angeführt, aus zu heterogenen Elementen zusammen-
gesetzt;" aber sie ist da, und was einmal versäumt ist, kann in günstigen Mo¬
menten nachgeholt werden; diese Momente müssen sich finden, ja sie sind wesent¬
lich durch die weiten Geschäfte des Landtags bedingt. Zum Beispiel. Es ist dem
Landtage der Entwurf einer Anleihe zum Behuf der östlichen Eisenbahn vorgelegt.


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[0121] Der preußische Landtag. Die entscheidende Schlacht ist nun geschlagen; sie ist für die constitu- tionelle Partei verloren. Ist dieses ein Unglück oder nicht? — Die Ant¬ wort können wir zunächst dahingestellt sein lassen; machen wir uns vor Al¬ lem den Sinn dieser bedeutungsvollen Tage klar. Es berührt dies eine allgemeinere Frage, die, nicht allein für Preußen, zur Sprache kommen dürfte. Ist ein legaler Zustand, er sei wie er wolle, unbedingt dem Patriarchaten Vertrauens- und Aufsichtszustaud vorzuziehen? Ist eine halbe „Verfassung" besser als gar keine? Denn so steht es uun. Der einzige Augenblick, in wel¬ chem die Vertreter des Volks es bestimmt auszusprechen hatten, ob sie die im Patent vom Februar enthaltene Verfassung als diejenige begrüßen und anerkennen, auf welchem die Entwickelung des preußischen Staatswesens vor sich gehen sollte, oder, nicht, ist nun vorübergegangen: keines von beiden ist geschehen. Nachdem seit dein Huldigungslandtag von 1840 die Landtage sich aus allen Kräften abgemüht hatten, diesen großen Augen¬ blick herbeizuführen; nachdem Presse, Volk, Regierung, Stände, im ver¬ schiedenartigsten Sinn gewetteifert, ihn möglich oder unmöglich zu machen, kommt dieser große Augenblick; und — die Entscheidung wird vertagt; aber vertagt in einer Weise, die eine ehrenvolle Wiederaufnahme des Kampfes nicht wohl möglich macht. Da man diese einzige Gelegenheit, dem Fürsten, der mit königlicher Of¬ fenheit gesprochen, gegenüber diese ehrerbietige, aber volle Wahrheit auszu- sprechen, vorübergehen ließ? Man könnte sagen: „Es ist im Wesentlichen noch nichts verloren; die liberale Opposition war nicht gehörig organisirt; sie ist ungeschickt, schlecht angeführt, aus zu heterogenen Elementen zusammen- gesetzt;" aber sie ist da, und was einmal versäumt ist, kann in günstigen Mo¬ menten nachgeholt werden; diese Momente müssen sich finden, ja sie sind wesent¬ lich durch die weiten Geschäfte des Landtags bedingt. Zum Beispiel. Es ist dem Landtage der Entwurf einer Anleihe zum Behuf der östlichen Eisenbahn vorgelegt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/121>, abgerufen am 22.07.2024.