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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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und das Stsick Fleisch, die nackte Schützencompagnie, deren Uniformen wir
zerrissen haben." -- "Rechten, Linken!" schrie der Major außer sich vor
Wuth, keine anderen Worte zum Ausdruck seiner Gefühle findend, als die,
welche er beständig vor sich hingemurmelt hatte und -- -- hieb mit dein
Degen nach dem Spötter. Geschickt parirte dieser den Hieb und verschwand
lachend in der Volksmenge. Inzwischen hatte er dem Major einen solchen
Aerger bereitet, daß vier Flaschen Bier, welche der Major heimlich während
der Rede des Stadtpredigers trank, seinen Durst nicht zu löschen vermochten.

Nachmittags wurde der Erbprinz erwartet, und da er sich alle Em¬
pfangsfeierlichkeiten verbeten hatte, so hatte der Hochweise Magistrat nur das
Rathhhaus bekränzt und mit Fahnen geschmückt. Sonst blieb Alles ruhig.
Nur die Schützenmaunschast nicht. Auf dem Krähenberg, welcher, dicht vor
dem Thore gelegen, die ganze Heerstraße beherrscht, wurde ein Posten mit
geladenem Gewehr aufgestellt, ein Signal abzufeuern, wenn der Erwartete
nahe. Die übrige Mannschaft versammelte sich indessen im goldnen Löwen,
wo der Erbprinz-zu logiren gedachte, festlich geschmückt und mit ernsthafter,
feierlicher Miene. Ueber der Thür des goldnen Löwen hatte der Magister
eine ausgestopfte Siegesgöttin von Gyps postirt und im Transparent darun-
ter geschrieben: l'o <!ne" omniun!

Da es übrigens sehr lange währte, ehe das Signal ertönte, so suchte
mau sich die Zeit mit Trinken zu vertreiben.

Es schlug vier Uhr; das Signal fehlte noch immer. Man befürchtete,
der Posten ans dem Krähenberge könne eingeschlafen sein; er wurde abgelöst.

Es schlug fünf Uhr. Die Gesichter wurden länger, manche vom Trin¬
ken schon erhitzter. Eine Stunde später machte sich der Wind auf und wir¬
belte Staubwolken auf den Gassen empor. Schon brach die Dunkelheit,
durch das aufsteigende Gewitter noch verfinsterter, herein. Viele von den
Schützen konnten den Donner nicht gut ertragen; der Magister sagte, er
bekäme allemal Leibschmerz bei einem heranziehenden Wetter. Man schickte
dem Posten zwei Reitermantel zu. Viele wurden mißmuthig und schwuren:
wenn der Erbprinz in einer halben Stunde nicht da sei, so zögen sie ab.
Der Major, der der Flasche schon wacker zugesprochen hatte, theils weil er
in Angst war vor der, von ihm zu haltenden Anrede, theils wegen des
vielen Aergers, den er unablässig heute schou gehabt hatte, mußte sein
Möglichstes thun, sie zurückzuhalten. Endlich, als einige nach den Feder¬
hüten griffen und ihre Drohungen durch ihren Abgang wahr zu machen sich
anschickten, griff er zu dem letzten Rettungsmittel und sagte: "Kinder, um


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und das Stsick Fleisch, die nackte Schützencompagnie, deren Uniformen wir
zerrissen haben." — „Rechten, Linken!" schrie der Major außer sich vor
Wuth, keine anderen Worte zum Ausdruck seiner Gefühle findend, als die,
welche er beständig vor sich hingemurmelt hatte und — — hieb mit dein
Degen nach dem Spötter. Geschickt parirte dieser den Hieb und verschwand
lachend in der Volksmenge. Inzwischen hatte er dem Major einen solchen
Aerger bereitet, daß vier Flaschen Bier, welche der Major heimlich während
der Rede des Stadtpredigers trank, seinen Durst nicht zu löschen vermochten.

Nachmittags wurde der Erbprinz erwartet, und da er sich alle Em¬
pfangsfeierlichkeiten verbeten hatte, so hatte der Hochweise Magistrat nur das
Rathhhaus bekränzt und mit Fahnen geschmückt. Sonst blieb Alles ruhig.
Nur die Schützenmaunschast nicht. Auf dem Krähenberg, welcher, dicht vor
dem Thore gelegen, die ganze Heerstraße beherrscht, wurde ein Posten mit
geladenem Gewehr aufgestellt, ein Signal abzufeuern, wenn der Erwartete
nahe. Die übrige Mannschaft versammelte sich indessen im goldnen Löwen,
wo der Erbprinz-zu logiren gedachte, festlich geschmückt und mit ernsthafter,
feierlicher Miene. Ueber der Thür des goldnen Löwen hatte der Magister
eine ausgestopfte Siegesgöttin von Gyps postirt und im Transparent darun-
ter geschrieben: l'o <!ne« omniun!

Da es übrigens sehr lange währte, ehe das Signal ertönte, so suchte
mau sich die Zeit mit Trinken zu vertreiben.

Es schlug vier Uhr; das Signal fehlte noch immer. Man befürchtete,
der Posten ans dem Krähenberge könne eingeschlafen sein; er wurde abgelöst.

Es schlug fünf Uhr. Die Gesichter wurden länger, manche vom Trin¬
ken schon erhitzter. Eine Stunde später machte sich der Wind auf und wir¬
belte Staubwolken auf den Gassen empor. Schon brach die Dunkelheit,
durch das aufsteigende Gewitter noch verfinsterter, herein. Viele von den
Schützen konnten den Donner nicht gut ertragen; der Magister sagte, er
bekäme allemal Leibschmerz bei einem heranziehenden Wetter. Man schickte
dem Posten zwei Reitermantel zu. Viele wurden mißmuthig und schwuren:
wenn der Erbprinz in einer halben Stunde nicht da sei, so zögen sie ab.
Der Major, der der Flasche schon wacker zugesprochen hatte, theils weil er
in Angst war vor der, von ihm zu haltenden Anrede, theils wegen des
vielen Aergers, den er unablässig heute schou gehabt hatte, mußte sein
Möglichstes thun, sie zurückzuhalten. Endlich, als einige nach den Feder¬
hüten griffen und ihre Drohungen durch ihren Abgang wahr zu machen sich
anschickten, griff er zu dem letzten Rettungsmittel und sagte: „Kinder, um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/117>, abgerufen am 22.07.2024.