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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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einem Totaleindruck der ganzen Geschichte nicht die Rede sein kann. Erfreulich
ist in diesem Werk der gesunde realistische Blick, mit dem die Vorzüge und Schwä¬
chen der einzelnen Charactere durchschaut werden, minder erfreulich die von der
Ehrfurcht vor dem Haus Hohenzollern herrührende Abneigung gegen die republi¬
kanischen Formen, die in Cäsar nicht nnr eine zeitlich nothwendig bedingte Er¬
scheinung, sondern überhaupt das Ideal der gauzeu Römischen Geschichte erblickt.

In Bezug auf die akademische Wirksamkeit ist wohl Schubert unter den
Historikern der bedeutendste. Sein eigentliches Feld ist zwar nicht die Geschichte,
sondern die Statistik, welche Wissenschaft er mit dem gediegensten Beitrag der
neuern Zeit bereichert hat, doch sind auch seine historischen Collegien darum am
Anregendsten, weil er nicht blos dictirt, sondern wenigstens freie Exkursionen an¬
stellt, theils über einzelne Charactere, theils über Combinationen von Thatsachen.
Außer der Statistik, in deren Vortrag er mehr das comparative Moment hervor¬
treten läßt, als in seinem Werk, liest er namentlich über die cameralistischen
Disciplinen, Staats- und Volkswirthschaft, Finanzwissenschaft, Diplomatie :c.
und dann über neue Geschichte. In seinem Urtheil hebt er als eingefleischter
Empiriker stets das endliche Moment hervor, und ich kann die Art, wie er zu¬
weilen große Perioden klein macht, nicht anders bezeichnen, als mit dem Aus¬
druck Pfiffigkeit, ein Ausdruck, der in solchen Augenblicken sich anch auf seinem
häßlichen, aber nicht gewöhnlichen Gesicht ausprägt. In seinem Wesen liegt eine
gewisse aristokratische diplomatische Tendenz; anch ist er unter den Professoren
unstreitig derjenige, der mit der Aristokratie am meisten in Berührung kommt.
Deshalb ist er auch in politischer Beziehung als Gegner der Liberalen aufgetre¬
ten, und hat sogar eine kurze Zeitlang ein eignes Regierungs-Organ redigirt,
die Königsberger Allgemeine, die aber aus Mangel an polemischem Material ein¬
ging, denn Schubert war im Grunde seines Herzens der Sache nach mit den
Liberalen wenigstens in vielen Dingen Einer Meinung, eben so sehr ein Feind
der kirchlich-politischen Reaction als jene, wenn er auch auf die demokratischen
Formen ihres Auftretens und anf ihren Mangel an statistischen Kenntnissen mit
Verachtung herabsah.

Mit seinen nächsten Collegen ist er oft in gehässige Conflikte gekommen, und
man hat die mannigfachsten Vorwürfe über seinen Charakter aufgebracht, ohne
daß diesen Gerüchten ein ernstlicher Boden zu Grunde liege. Selbst die Eitel¬
keit, die man ihm gewöhnlich zum Vorwurf macht, tritt denn doch bei ihm nicht
mehr hervor, als bei andern Gelehrten auch. In seiner Function als Stipen-
dieucuratvr fand er Gelegenheit, sich genauer um die innere Politik der Studen¬
ten zu bekümmern, als man glauben sollte, daß dergleichen das Interesse eines
gebildeten Historikers erregen konnte. Als Stifter und Vorsteher des historischen
Seminars entwickelt er eine unermüdliche und segensreiche Thätigkeit, wie ich
denn der Meinung bin, daß diese .Institute, so sehr man dafür eifern mag, die


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einem Totaleindruck der ganzen Geschichte nicht die Rede sein kann. Erfreulich
ist in diesem Werk der gesunde realistische Blick, mit dem die Vorzüge und Schwä¬
chen der einzelnen Charactere durchschaut werden, minder erfreulich die von der
Ehrfurcht vor dem Haus Hohenzollern herrührende Abneigung gegen die republi¬
kanischen Formen, die in Cäsar nicht nnr eine zeitlich nothwendig bedingte Er¬
scheinung, sondern überhaupt das Ideal der gauzeu Römischen Geschichte erblickt.

In Bezug auf die akademische Wirksamkeit ist wohl Schubert unter den
Historikern der bedeutendste. Sein eigentliches Feld ist zwar nicht die Geschichte,
sondern die Statistik, welche Wissenschaft er mit dem gediegensten Beitrag der
neuern Zeit bereichert hat, doch sind auch seine historischen Collegien darum am
Anregendsten, weil er nicht blos dictirt, sondern wenigstens freie Exkursionen an¬
stellt, theils über einzelne Charactere, theils über Combinationen von Thatsachen.
Außer der Statistik, in deren Vortrag er mehr das comparative Moment hervor¬
treten läßt, als in seinem Werk, liest er namentlich über die cameralistischen
Disciplinen, Staats- und Volkswirthschaft, Finanzwissenschaft, Diplomatie :c.
und dann über neue Geschichte. In seinem Urtheil hebt er als eingefleischter
Empiriker stets das endliche Moment hervor, und ich kann die Art, wie er zu¬
weilen große Perioden klein macht, nicht anders bezeichnen, als mit dem Aus¬
druck Pfiffigkeit, ein Ausdruck, der in solchen Augenblicken sich anch auf seinem
häßlichen, aber nicht gewöhnlichen Gesicht ausprägt. In seinem Wesen liegt eine
gewisse aristokratische diplomatische Tendenz; anch ist er unter den Professoren
unstreitig derjenige, der mit der Aristokratie am meisten in Berührung kommt.
Deshalb ist er auch in politischer Beziehung als Gegner der Liberalen aufgetre¬
ten, und hat sogar eine kurze Zeitlang ein eignes Regierungs-Organ redigirt,
die Königsberger Allgemeine, die aber aus Mangel an polemischem Material ein¬
ging, denn Schubert war im Grunde seines Herzens der Sache nach mit den
Liberalen wenigstens in vielen Dingen Einer Meinung, eben so sehr ein Feind
der kirchlich-politischen Reaction als jene, wenn er auch auf die demokratischen
Formen ihres Auftretens und anf ihren Mangel an statistischen Kenntnissen mit
Verachtung herabsah.

Mit seinen nächsten Collegen ist er oft in gehässige Conflikte gekommen, und
man hat die mannigfachsten Vorwürfe über seinen Charakter aufgebracht, ohne
daß diesen Gerüchten ein ernstlicher Boden zu Grunde liege. Selbst die Eitel¬
keit, die man ihm gewöhnlich zum Vorwurf macht, tritt denn doch bei ihm nicht
mehr hervor, als bei andern Gelehrten auch. In seiner Function als Stipen-
dieucuratvr fand er Gelegenheit, sich genauer um die innere Politik der Studen¬
ten zu bekümmern, als man glauben sollte, daß dergleichen das Interesse eines
gebildeten Historikers erregen konnte. Als Stifter und Vorsteher des historischen
Seminars entwickelt er eine unermüdliche und segensreiche Thätigkeit, wie ich
denn der Meinung bin, daß diese .Institute, so sehr man dafür eifern mag, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/75>, abgerufen am 22.07.2024.