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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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spielen wird. Als nächste Aufgabe hat er sich eine Uebersetzung des Mahabharata
mit kritischen Erläuterungen gesetzt, und dann beabsichtigt er, eine Geschichte der
indischen Philosophie zu schreiben.

Ich komme jetzt zu den Historikern. Voigt hat sich durch seine ncunbändige
Geschichte Preußens einen Namen gemacht, und eS ist immer ein sehr werthvolles
Buch, eine kritische Grundlage späterer Geschichte, obgleich mau ihm einen großen
Theil seiner Studien über die antediluviauische Zeit Preußens, so wie seine Aus¬
zeichnung stereotyper Höflichkeitsformen zwischen den Hochmeistern und den polnischen
Königen, gern erlassen, und dafür eine gründlichere Untersuchung der Entwickelung
des ständischen Wesens gewünscht hätte. Im Ganzen hatte übrigens die Geschichte
des Lombardenbundes, die er in seiner Jugend schrieb, größere Erwartungen von
seiner historischen Darstellung rege gemacht, als er später in seinein Hauptwerk
erfüllt hat. Seine akademische Wirksamkeit ist uicht bedeutend; in dem prächtigen
Lokal, dein Saal des Schlosses, in dem er zu lesen pflegt, erscheint er mit seiner
gewaltigen, aber langsamen, schleppenden und singenden Stimme, wie ein Prediger
in der Wüste, denn nur sehr spärlich verliert sich einmal ein menschliches Geschöpf
in diese weiten Räume. Als einziger Lehrer der Diplomatik ist er für die jungen
Historiker unumgänglich, und weiß übrigens diejenigen, die sich seines nähern Um¬
gangs erfreuen, durch seiue Gutmüthigkeit und seine ebenso wohlwollende als
männliche Gesinnung zu gewinnen. Seine sächsische Breite sticht noch immer, so
lange er auch schon hier heimisch geworden ist, gegen unser kurzes und brüskes
Wesen lebhaft ab.

Der zweite Historiker ist Dr"manu, in seinem Wesen eben so eckig und
stürrisch, als Voigt weich und empfänglich ist. Seine akademische Wirksamkeit
ist bedeutender, als die seines College", obgleich er sich ausschließlich daraus be¬
schränkt, seine allerdings werthvollen Vorträge in einer möglichst ermüdenden
Weise zu dictiren. Namentlich sind seine Vorträge über Culturgeschichte und alte
Geschichte von Werth, die er nach denselben Heften, aber stets mit Verbesserun¬
gen Jahr ans Jahr ein liest. Als Examinator ist er der Schrecken aller Docto-
randen, denn wenn man die Frage, in welchem Jahre Plinius geboren wurde,
verfehlt, so folgt sicher die nächste: in welchem Monat, und dann, an welchem
Tage geschah dieses Ereignis!? Seine politische Ansicht ist die altpreußische, aus
Liberalismus, Monarchismus und Rationalismus zusammengesetzt. Diese Ansicht
zieht sich auch wie ein rother Faden durch seine "römische Geschichte im Zeitalter
der Bürgerkriege," ein Werk, in welchem der Reichthum und die Gediegenheit
des Materials mit der Seltsamkeit der Form wunderlich contrastiren. Er hat
nämlich seine Forschungen über diesen wichtigsten Zeitraum der römischen Geschichte
in der Form eines biographischen Couversations-Lexikons geordnet, so daß man
zwar über die einzelnen Personen Alles, was irgend zu wissen möglich und
wünschenswert!) ist, in gedrängtem Zusammenhang vor sich hat, daß aber von


spielen wird. Als nächste Aufgabe hat er sich eine Uebersetzung des Mahabharata
mit kritischen Erläuterungen gesetzt, und dann beabsichtigt er, eine Geschichte der
indischen Philosophie zu schreiben.

Ich komme jetzt zu den Historikern. Voigt hat sich durch seine ncunbändige
Geschichte Preußens einen Namen gemacht, und eS ist immer ein sehr werthvolles
Buch, eine kritische Grundlage späterer Geschichte, obgleich mau ihm einen großen
Theil seiner Studien über die antediluviauische Zeit Preußens, so wie seine Aus¬
zeichnung stereotyper Höflichkeitsformen zwischen den Hochmeistern und den polnischen
Königen, gern erlassen, und dafür eine gründlichere Untersuchung der Entwickelung
des ständischen Wesens gewünscht hätte. Im Ganzen hatte übrigens die Geschichte
des Lombardenbundes, die er in seiner Jugend schrieb, größere Erwartungen von
seiner historischen Darstellung rege gemacht, als er später in seinein Hauptwerk
erfüllt hat. Seine akademische Wirksamkeit ist uicht bedeutend; in dem prächtigen
Lokal, dein Saal des Schlosses, in dem er zu lesen pflegt, erscheint er mit seiner
gewaltigen, aber langsamen, schleppenden und singenden Stimme, wie ein Prediger
in der Wüste, denn nur sehr spärlich verliert sich einmal ein menschliches Geschöpf
in diese weiten Räume. Als einziger Lehrer der Diplomatik ist er für die jungen
Historiker unumgänglich, und weiß übrigens diejenigen, die sich seines nähern Um¬
gangs erfreuen, durch seiue Gutmüthigkeit und seine ebenso wohlwollende als
männliche Gesinnung zu gewinnen. Seine sächsische Breite sticht noch immer, so
lange er auch schon hier heimisch geworden ist, gegen unser kurzes und brüskes
Wesen lebhaft ab.

Der zweite Historiker ist Dr»manu, in seinem Wesen eben so eckig und
stürrisch, als Voigt weich und empfänglich ist. Seine akademische Wirksamkeit
ist bedeutender, als die seines College», obgleich er sich ausschließlich daraus be¬
schränkt, seine allerdings werthvollen Vorträge in einer möglichst ermüdenden
Weise zu dictiren. Namentlich sind seine Vorträge über Culturgeschichte und alte
Geschichte von Werth, die er nach denselben Heften, aber stets mit Verbesserun¬
gen Jahr ans Jahr ein liest. Als Examinator ist er der Schrecken aller Docto-
randen, denn wenn man die Frage, in welchem Jahre Plinius geboren wurde,
verfehlt, so folgt sicher die nächste: in welchem Monat, und dann, an welchem
Tage geschah dieses Ereignis!? Seine politische Ansicht ist die altpreußische, aus
Liberalismus, Monarchismus und Rationalismus zusammengesetzt. Diese Ansicht
zieht sich auch wie ein rother Faden durch seine „römische Geschichte im Zeitalter
der Bürgerkriege," ein Werk, in welchem der Reichthum und die Gediegenheit
des Materials mit der Seltsamkeit der Form wunderlich contrastiren. Er hat
nämlich seine Forschungen über diesen wichtigsten Zeitraum der römischen Geschichte
in der Form eines biographischen Couversations-Lexikons geordnet, so daß man
zwar über die einzelnen Personen Alles, was irgend zu wissen möglich und
wünschenswert!) ist, in gedrängtem Zusammenhang vor sich hat, daß aber von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/74>, abgerufen am 25.08.2024.