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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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als Docent ans derselben gewirkt, aber vielleicht war das Getheilte seiner Be-
schäftigung der Grund, daß die Resultate dieser Wirksamkeit geringer waren, als
man bei einem Mann von so eminenten Gaben und so durchgebildeter Gelehrsam¬
keit erwarten sollte. Er gehört übrigens zu den in unserer Zeit so seltenen Män¬
nern, die nur des Studiums willen studiren, und denen die Production eben aus
Gewissenhaftigkeit unendlich schwer wird, weil sie mit einem Gegenstand selten zu
Rande kommen. Das Wenige aber, was er geschrieben hat, erfreut sich des glän¬
zendsten Rufs in der philologischen Welt.

Ein anderer merkwürdiger Mann ist Gvtthold, Director des einzigen könig¬
lichen Gymnasiums, welches wir haben -- des Fridericianums -- die beiden an¬
dern sind städtisch -- welches er trotz mannigfacher Anfechtungen doch stets als
Musterschule zu erhalte" gewußt hat. Ein Mann ans der alten Zeit, gravitälisib,
gemessen, grob und doch von einer gewissen pedantischen Eleganz, übervoll von dem
Gefühl seiner Wichtigkeit, die aber keineswegs blos in der Illusion beruht, schrei¬
tet er noch immer stattlich in seinem braunen Leibrock einher, der Senior aller
Lehrer, und unterrichtet uoch immer seine Schüler in der gewandten Vildnng deut¬
scher und lateinischer Verse. Ob sein Gymnasium durch Lehr'ö Abgang nicht sehr
viel verlieren wird, steht dahin. Seine unverdrossenen Kämpfe für die bessere
Stellung des Lehrerstandes in den Provinzialblättern sind bekannt. Er gehört
nicht einseitig der philologischen Richtung an, er hat einmal ein Ideal der Real¬
schule aufgestellt, das aber vou den Ansichten der übrigen Welt in den wesentlich¬
sten Punkten abweicht. Der Zweck derselben soll nämlich sein, den Schüler auf
eine einfache Weise zum Griechen, d. h. zu einem classischen Menschen umzuwan¬
deln, und ihn dadurch aus der romantischen Verwirrung unserer uuclassischen,
chaotischen Zeit zu retten. Dazu soll dreierlei wirken: Detaillirter Vortrag der
griechischen Geschichte, Studium der griechischen Classiker - - in Ueberhebungen,
und Uebung in der plastischen Kunst uach antiken Mustern. Nebenbei will Gott¬
hold auch die Naturwissenschaft gelten lassen, doch soll diese genetisch vorgetragen
werden, wie sie successiv dem menschliche" Geist zum Bewußtsein gekommen ist.

So eben hat sich ein junger Docent habilitirt, Fried land er, dessen Ge¬
lehrsamkeit das beste verspricht, "in so mehr, da er einen großen Theil seiner Thä¬
tigkeit der Archäologie zugewendet hat, einem Felde, das hier in Königsberg "och
ganz brach liegt. In künstlerischer Beziehung merkt man überhaupt, daß wir nahe
an Sibirien liege"; Professor August Hagen kündigt zwar jedes Semester ein
Kollegium über Kunstgeschichte a", aber es gelingt ihm in der Regel n"r andert¬
halb Zuhörer zu werben. Unsere praktischen Kunstleistungen heben uns nicht
hoch über Fischhausen, die Stadt, welche zwei Meere umspielen.

El" anderer junger Gelehrter ist noch z" "eniie", der vor "och nicht langer
Zeit nach bedeutenden Reisen seiner Vaterstadt wiedergegeben ist, Goldstücker,
der in den Studien der indischen Literatur noch einmal eine wesentliche Rolle


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als Docent ans derselben gewirkt, aber vielleicht war das Getheilte seiner Be-
schäftigung der Grund, daß die Resultate dieser Wirksamkeit geringer waren, als
man bei einem Mann von so eminenten Gaben und so durchgebildeter Gelehrsam¬
keit erwarten sollte. Er gehört übrigens zu den in unserer Zeit so seltenen Män¬
nern, die nur des Studiums willen studiren, und denen die Production eben aus
Gewissenhaftigkeit unendlich schwer wird, weil sie mit einem Gegenstand selten zu
Rande kommen. Das Wenige aber, was er geschrieben hat, erfreut sich des glän¬
zendsten Rufs in der philologischen Welt.

Ein anderer merkwürdiger Mann ist Gvtthold, Director des einzigen könig¬
lichen Gymnasiums, welches wir haben — des Fridericianums — die beiden an¬
dern sind städtisch — welches er trotz mannigfacher Anfechtungen doch stets als
Musterschule zu erhalte» gewußt hat. Ein Mann ans der alten Zeit, gravitälisib,
gemessen, grob und doch von einer gewissen pedantischen Eleganz, übervoll von dem
Gefühl seiner Wichtigkeit, die aber keineswegs blos in der Illusion beruht, schrei¬
tet er noch immer stattlich in seinem braunen Leibrock einher, der Senior aller
Lehrer, und unterrichtet uoch immer seine Schüler in der gewandten Vildnng deut¬
scher und lateinischer Verse. Ob sein Gymnasium durch Lehr'ö Abgang nicht sehr
viel verlieren wird, steht dahin. Seine unverdrossenen Kämpfe für die bessere
Stellung des Lehrerstandes in den Provinzialblättern sind bekannt. Er gehört
nicht einseitig der philologischen Richtung an, er hat einmal ein Ideal der Real¬
schule aufgestellt, das aber vou den Ansichten der übrigen Welt in den wesentlich¬
sten Punkten abweicht. Der Zweck derselben soll nämlich sein, den Schüler auf
eine einfache Weise zum Griechen, d. h. zu einem classischen Menschen umzuwan¬
deln, und ihn dadurch aus der romantischen Verwirrung unserer uuclassischen,
chaotischen Zeit zu retten. Dazu soll dreierlei wirken: Detaillirter Vortrag der
griechischen Geschichte, Studium der griechischen Classiker - - in Ueberhebungen,
und Uebung in der plastischen Kunst uach antiken Mustern. Nebenbei will Gott¬
hold auch die Naturwissenschaft gelten lassen, doch soll diese genetisch vorgetragen
werden, wie sie successiv dem menschliche» Geist zum Bewußtsein gekommen ist.

So eben hat sich ein junger Docent habilitirt, Fried land er, dessen Ge¬
lehrsamkeit das beste verspricht, »in so mehr, da er einen großen Theil seiner Thä¬
tigkeit der Archäologie zugewendet hat, einem Felde, das hier in Königsberg »och
ganz brach liegt. In künstlerischer Beziehung merkt man überhaupt, daß wir nahe
an Sibirien liege»; Professor August Hagen kündigt zwar jedes Semester ein
Kollegium über Kunstgeschichte a», aber es gelingt ihm in der Regel n»r andert¬
halb Zuhörer zu werben. Unsere praktischen Kunstleistungen heben uns nicht
hoch über Fischhausen, die Stadt, welche zwei Meere umspielen.

El» anderer junger Gelehrter ist noch z» »eniie», der vor »och nicht langer
Zeit nach bedeutenden Reisen seiner Vaterstadt wiedergegeben ist, Goldstücker,
der in den Studien der indischen Literatur noch einmal eine wesentliche Rolle


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[0073] als Docent ans derselben gewirkt, aber vielleicht war das Getheilte seiner Be- schäftigung der Grund, daß die Resultate dieser Wirksamkeit geringer waren, als man bei einem Mann von so eminenten Gaben und so durchgebildeter Gelehrsam¬ keit erwarten sollte. Er gehört übrigens zu den in unserer Zeit so seltenen Män¬ nern, die nur des Studiums willen studiren, und denen die Production eben aus Gewissenhaftigkeit unendlich schwer wird, weil sie mit einem Gegenstand selten zu Rande kommen. Das Wenige aber, was er geschrieben hat, erfreut sich des glän¬ zendsten Rufs in der philologischen Welt. Ein anderer merkwürdiger Mann ist Gvtthold, Director des einzigen könig¬ lichen Gymnasiums, welches wir haben — des Fridericianums — die beiden an¬ dern sind städtisch — welches er trotz mannigfacher Anfechtungen doch stets als Musterschule zu erhalte» gewußt hat. Ein Mann ans der alten Zeit, gravitälisib, gemessen, grob und doch von einer gewissen pedantischen Eleganz, übervoll von dem Gefühl seiner Wichtigkeit, die aber keineswegs blos in der Illusion beruht, schrei¬ tet er noch immer stattlich in seinem braunen Leibrock einher, der Senior aller Lehrer, und unterrichtet uoch immer seine Schüler in der gewandten Vildnng deut¬ scher und lateinischer Verse. Ob sein Gymnasium durch Lehr'ö Abgang nicht sehr viel verlieren wird, steht dahin. Seine unverdrossenen Kämpfe für die bessere Stellung des Lehrerstandes in den Provinzialblättern sind bekannt. Er gehört nicht einseitig der philologischen Richtung an, er hat einmal ein Ideal der Real¬ schule aufgestellt, das aber vou den Ansichten der übrigen Welt in den wesentlich¬ sten Punkten abweicht. Der Zweck derselben soll nämlich sein, den Schüler auf eine einfache Weise zum Griechen, d. h. zu einem classischen Menschen umzuwan¬ deln, und ihn dadurch aus der romantischen Verwirrung unserer uuclassischen, chaotischen Zeit zu retten. Dazu soll dreierlei wirken: Detaillirter Vortrag der griechischen Geschichte, Studium der griechischen Classiker - - in Ueberhebungen, und Uebung in der plastischen Kunst uach antiken Mustern. Nebenbei will Gott¬ hold auch die Naturwissenschaft gelten lassen, doch soll diese genetisch vorgetragen werden, wie sie successiv dem menschliche» Geist zum Bewußtsein gekommen ist. So eben hat sich ein junger Docent habilitirt, Fried land er, dessen Ge¬ lehrsamkeit das beste verspricht, »in so mehr, da er einen großen Theil seiner Thä¬ tigkeit der Archäologie zugewendet hat, einem Felde, das hier in Königsberg »och ganz brach liegt. In künstlerischer Beziehung merkt man überhaupt, daß wir nahe an Sibirien liege»; Professor August Hagen kündigt zwar jedes Semester ein Kollegium über Kunstgeschichte a», aber es gelingt ihm in der Regel n»r andert¬ halb Zuhörer zu werben. Unsere praktischen Kunstleistungen heben uns nicht hoch über Fischhausen, die Stadt, welche zwei Meere umspielen. El» anderer junger Gelehrter ist noch z» »eniie», der vor »och nicht langer Zeit nach bedeutenden Reisen seiner Vaterstadt wiedergegeben ist, Goldstücker, der in den Studien der indischen Literatur noch einmal eine wesentliche Rolle Giciizb»««,. IV. l»47. . g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/73>, abgerufen am 22.07.2024.