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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Die Vorlesungen wurden nnn erlaubt, nachdem Prutz ein Protokoll unter¬
schrieben, daß es der Regierung jeden Augenblick frei stehen sollte, die ertheilte
Erlaubniß zurückzunehmen, bei jedem Uebergriff in die Politik und bei jedem
Tumult, der etwa uuter den Zuhörern entstünde. Die Vorlesungen gingen ohne
weitere Störung vor sich, obgleich schon damals, wie sich später ergab, der Mi¬
nister sehr ungehalten über den Ton derselben war. Im folgenden Jahre war die
Erlaubniß zu ähnlichen Vorlesungen über die gegenwärtige Literatur ohne Schwie¬
rigkeit ertheilt. Aber schon nach der ersten, die vor einem sehr zahlreichen und
theilnehmenden Auditorium gehalten war, wurde die Erlaubniß zurückgenommen,
weil sich Prnjz zahlreiche Digressivnen ans das Gebiet der politischen Geschichte
erlaubt habe -- ein Factum, dessen Nichtigkeit uicht bestritten werden kann und
wobei man nur uicht übersehen darf, daß eine Literaturgeschichte der neuern Zeit
unmöglich vorgetragen werden kann, ohne Bezugnahme auf die politischen Ver¬
hältnisse der Zeit. Ob sich Prutz stets in deu Schranken der Nothwendigkeit ge¬
halten, ob er uicht zuweilen Dinge hineingemischt, die nicht unmittelbar zur Auf¬
klärung seines Gegenstandes erforderlich waren, darüber enthalte ich mich eines
jeden Urtheils, denn die Bestimmung darüber würde doch immer nur eine sub-
jective sein können. Interessant sind die Worte des Herrn v. Bodelschwingh an
den Schriftsteller: "Suche" Sie sich ein anderes Theater, wo Sie sich können
dafür beklatschen lassen, daß Sie die französische Revolution loben; in Berlin ist dafür
kein Platz." -- Prutz macht darauf aufmerksam, daß Herr v. Bodelschwingh später
in ein gewissermaßen ähnliches Mißgeschick verfallen ist, indem man ihn auf dem
Landtage gleichfalls wegen liberaler Ausdrücke beklatscht hat.

Prutz ließ kein ehrenhaftes Mittel unversucht, die Rücknahme des Verbots
zu erwirken. Er richtete eine Jmmediateiugabe an deu König, worin er sich be¬
reit erklärte, seine fernern Vorträge einer Spczialcontrole zu unterwerfen. Mus
Wochen später wurde dieses Gesuch durch ein Ministerialrcskript zurückgewiesen.

Die Vorlesungen selbst") beginnen mit den Einwirkungen der Aufklärung und
der französischen Revolution auf die deutsche Literatur; sie schildern die Geniali-
tätspcriode. der Weimarer Zeit, die romantische Schule und ihre Tendenzen einer uni¬
versellen Literatur; das Gefährliche, was in dieser genialen Ironie gegen die sitt¬
lichen Bestrebungen der Zeit lag; den Uebergang der Romantik in die Politik in
den Tagen der Schlacht von Jena; die Resultate der Freiheitskriege für die Lite¬
ratur; die sittliche Ohnmacht und den Ouietismus der Restaurationsperiode; die
doppelte Reaction im Sinne einer frivolen Genußsucht und eines sittlichen Ern¬
stes; den Einfluß der Julirevolution auf Deutschland; endlich das Erwachen einer
jungen, von der Politik inficirten Literatur seit dem Ende des vorigen Decenniums.



*) Sie sind jetzt gedruckt erschienen: "Vorlesungen über deutsche Literatur der Gegen¬
wart." Von 0>'. R. E- Prutz. (Leipzig "8-17. Gustav Mayer.)

Die Vorlesungen wurden nnn erlaubt, nachdem Prutz ein Protokoll unter¬
schrieben, daß es der Regierung jeden Augenblick frei stehen sollte, die ertheilte
Erlaubniß zurückzunehmen, bei jedem Uebergriff in die Politik und bei jedem
Tumult, der etwa uuter den Zuhörern entstünde. Die Vorlesungen gingen ohne
weitere Störung vor sich, obgleich schon damals, wie sich später ergab, der Mi¬
nister sehr ungehalten über den Ton derselben war. Im folgenden Jahre war die
Erlaubniß zu ähnlichen Vorlesungen über die gegenwärtige Literatur ohne Schwie¬
rigkeit ertheilt. Aber schon nach der ersten, die vor einem sehr zahlreichen und
theilnehmenden Auditorium gehalten war, wurde die Erlaubniß zurückgenommen,
weil sich Prnjz zahlreiche Digressivnen ans das Gebiet der politischen Geschichte
erlaubt habe — ein Factum, dessen Nichtigkeit uicht bestritten werden kann und
wobei man nur uicht übersehen darf, daß eine Literaturgeschichte der neuern Zeit
unmöglich vorgetragen werden kann, ohne Bezugnahme auf die politischen Ver¬
hältnisse der Zeit. Ob sich Prutz stets in deu Schranken der Nothwendigkeit ge¬
halten, ob er uicht zuweilen Dinge hineingemischt, die nicht unmittelbar zur Auf¬
klärung seines Gegenstandes erforderlich waren, darüber enthalte ich mich eines
jeden Urtheils, denn die Bestimmung darüber würde doch immer nur eine sub-
jective sein können. Interessant sind die Worte des Herrn v. Bodelschwingh an
den Schriftsteller: „Suche» Sie sich ein anderes Theater, wo Sie sich können
dafür beklatschen lassen, daß Sie die französische Revolution loben; in Berlin ist dafür
kein Platz." — Prutz macht darauf aufmerksam, daß Herr v. Bodelschwingh später
in ein gewissermaßen ähnliches Mißgeschick verfallen ist, indem man ihn auf dem
Landtage gleichfalls wegen liberaler Ausdrücke beklatscht hat.

Prutz ließ kein ehrenhaftes Mittel unversucht, die Rücknahme des Verbots
zu erwirken. Er richtete eine Jmmediateiugabe an deu König, worin er sich be¬
reit erklärte, seine fernern Vorträge einer Spczialcontrole zu unterwerfen. Mus
Wochen später wurde dieses Gesuch durch ein Ministerialrcskript zurückgewiesen.

Die Vorlesungen selbst") beginnen mit den Einwirkungen der Aufklärung und
der französischen Revolution auf die deutsche Literatur; sie schildern die Geniali-
tätspcriode. der Weimarer Zeit, die romantische Schule und ihre Tendenzen einer uni¬
versellen Literatur; das Gefährliche, was in dieser genialen Ironie gegen die sitt¬
lichen Bestrebungen der Zeit lag; den Uebergang der Romantik in die Politik in
den Tagen der Schlacht von Jena; die Resultate der Freiheitskriege für die Lite¬
ratur; die sittliche Ohnmacht und den Ouietismus der Restaurationsperiode; die
doppelte Reaction im Sinne einer frivolen Genußsucht und eines sittlichen Ern¬
stes; den Einfluß der Julirevolution auf Deutschland; endlich das Erwachen einer
jungen, von der Politik inficirten Literatur seit dem Ende des vorigen Decenniums.



*) Sie sind jetzt gedruckt erschienen: „Vorlesungen über deutsche Literatur der Gegen¬
wart." Von 0>'. R. E- Prutz. (Leipzig »8-17. Gustav Mayer.)
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[0061] Die Vorlesungen wurden nnn erlaubt, nachdem Prutz ein Protokoll unter¬ schrieben, daß es der Regierung jeden Augenblick frei stehen sollte, die ertheilte Erlaubniß zurückzunehmen, bei jedem Uebergriff in die Politik und bei jedem Tumult, der etwa uuter den Zuhörern entstünde. Die Vorlesungen gingen ohne weitere Störung vor sich, obgleich schon damals, wie sich später ergab, der Mi¬ nister sehr ungehalten über den Ton derselben war. Im folgenden Jahre war die Erlaubniß zu ähnlichen Vorlesungen über die gegenwärtige Literatur ohne Schwie¬ rigkeit ertheilt. Aber schon nach der ersten, die vor einem sehr zahlreichen und theilnehmenden Auditorium gehalten war, wurde die Erlaubniß zurückgenommen, weil sich Prnjz zahlreiche Digressivnen ans das Gebiet der politischen Geschichte erlaubt habe — ein Factum, dessen Nichtigkeit uicht bestritten werden kann und wobei man nur uicht übersehen darf, daß eine Literaturgeschichte der neuern Zeit unmöglich vorgetragen werden kann, ohne Bezugnahme auf die politischen Ver¬ hältnisse der Zeit. Ob sich Prutz stets in deu Schranken der Nothwendigkeit ge¬ halten, ob er uicht zuweilen Dinge hineingemischt, die nicht unmittelbar zur Auf¬ klärung seines Gegenstandes erforderlich waren, darüber enthalte ich mich eines jeden Urtheils, denn die Bestimmung darüber würde doch immer nur eine sub- jective sein können. Interessant sind die Worte des Herrn v. Bodelschwingh an den Schriftsteller: „Suche» Sie sich ein anderes Theater, wo Sie sich können dafür beklatschen lassen, daß Sie die französische Revolution loben; in Berlin ist dafür kein Platz." — Prutz macht darauf aufmerksam, daß Herr v. Bodelschwingh später in ein gewissermaßen ähnliches Mißgeschick verfallen ist, indem man ihn auf dem Landtage gleichfalls wegen liberaler Ausdrücke beklatscht hat. Prutz ließ kein ehrenhaftes Mittel unversucht, die Rücknahme des Verbots zu erwirken. Er richtete eine Jmmediateiugabe an deu König, worin er sich be¬ reit erklärte, seine fernern Vorträge einer Spczialcontrole zu unterwerfen. Mus Wochen später wurde dieses Gesuch durch ein Ministerialrcskript zurückgewiesen. Die Vorlesungen selbst") beginnen mit den Einwirkungen der Aufklärung und der französischen Revolution auf die deutsche Literatur; sie schildern die Geniali- tätspcriode. der Weimarer Zeit, die romantische Schule und ihre Tendenzen einer uni¬ versellen Literatur; das Gefährliche, was in dieser genialen Ironie gegen die sitt¬ lichen Bestrebungen der Zeit lag; den Uebergang der Romantik in die Politik in den Tagen der Schlacht von Jena; die Resultate der Freiheitskriege für die Lite¬ ratur; die sittliche Ohnmacht und den Ouietismus der Restaurationsperiode; die doppelte Reaction im Sinne einer frivolen Genußsucht und eines sittlichen Ern¬ stes; den Einfluß der Julirevolution auf Deutschland; endlich das Erwachen einer jungen, von der Politik inficirten Literatur seit dem Ende des vorigen Decenniums. *) Sie sind jetzt gedruckt erschienen: „Vorlesungen über deutsche Literatur der Gegen¬ wart." Von 0>'. R. E- Prutz. (Leipzig »8-17. Gustav Mayer.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/61>, abgerufen am 22.07.2024.