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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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res Vorkämpfers; es war daher leicht, ihn in Paradoxien zu überflügeln. Aber
früh genug sind diese Fortschrittsmänner in's Alane hinein an ihrer innern Hohl¬
heit gescheitert, und bewegen sich seitdem auf den luftigen Höhen der Sophistik
in eitler Selbstvergötterung.

Eine dauernde Kränklichkeit hielt Strauß seit 1840 von größern wissenschaft¬
lichen Arbeiten zurück, doch schlössen sich die kleinen Streitschriften, die in den
Hallischen Jahrbüchern, nachmals in den Jahrbüchern der Gegenwart und ähn¬
lichen erschienen, ihrer wissenschaftlichen Haltung, ihrer Objectivität und ihrer
feinen, attischen Urbanität nach würdig jenen größern Leistungen an. In der
gegenwärtigen Broschüre, die in der Form einer Vorlesung auftritt, werden wir
in ein ziemlich entlegenes Alterthum zurückversetzt, und fühlen uns doch in un¬
mittelbarer Gegenwart. Strauß legt sich die Frage vor, wie es kommt, daß
jener Apostat, über den in frühern Zeiten von den christlichen Schriftstellern eine
unbedingte Verdammniß ausgesprochen wurde, während die heidnischen Sophisten
ihn unter die Sterne versetzten, von neuern Geschichtschreibern eine so entgegenge¬
setzte Beurtheilung erfahre" hat. Arnold, der Gläubige mit pietistischen Anflug,
entschuldigt ihn, der Deist Gibbon macht sich, obgleich er selber eher ein Feind
als ein Anhänger des Christenthums genannt werden kann, theilweise über ihn
lustig, der Nationalist Schlosser unterwirft seine Rückkehr zum Heidenthum einer
scharfen und bittern Kritik, dagegen spricht der moderne, reflectirte Supernatnra-
list Neander vou ihm mit der höchsten Achtung und einem gewissen Enthusias¬
mus. Strauß erklärt das daraus, daß die Gegensätze in unsern Tagen eine an¬
dere Wendung genommen haben; den Nationalisten ist diese mystische, schwärme¬
rische, erkünstelte Rückkehr zu einem bereits überwundenen Standpunkt, die über
das ganze Wesen des Apostaten ein unnatürliches, phantastisches Licht verbreitet,
zuwider; die Romantiker dagegen begrüßen in ihm den Glaubensgenossen, der
gleich ihnen mit einem rückwärtsgcwandten Gesicht den unbegreiflichen Gottheiten
opfert, sich gleich ihnen in das geheimnißvolle Dunkel des räthselhaften Tranm¬
und Ahnungswesens vertieft. Darauf führt Strauß diese Parallele weiter aus,
und wir werden von einer Menge von Zügen überrascht, die, ohne daß ihnen
irgend ein fremdartiger Anstrich aufgezwungen würde, uns an eine hochbedeu-
tende Erscheinung der Gegenwart erinnern.

Freilich fügt Strauß mit Recht hinzu, daß dieser Vergleich nur eine for¬
melle Geltung hat; daß in materieller Beziehung unsere Sympathie weit mehr
dem Manne zu Theil wird, der das Ideal einer heitern Götterwelt dem finstern
Geist der Selbstkrenzignng ^vorzog, als den modernen Romantikern, welche die¬
sen dunklen Geist in das Licht der Gegenwart wieder heraufbeschwören möchte.
Aber, schließt er, es kann uns dieses Beispiel ein Trost sein, daß auch ein mo¬
derner Julian geistreich und mächtig wie jener, dem Galiläer, d. h. dem Geist
des modernen Bewußtseins nicht wird widerstehen können.


res Vorkämpfers; es war daher leicht, ihn in Paradoxien zu überflügeln. Aber
früh genug sind diese Fortschrittsmänner in's Alane hinein an ihrer innern Hohl¬
heit gescheitert, und bewegen sich seitdem auf den luftigen Höhen der Sophistik
in eitler Selbstvergötterung.

Eine dauernde Kränklichkeit hielt Strauß seit 1840 von größern wissenschaft¬
lichen Arbeiten zurück, doch schlössen sich die kleinen Streitschriften, die in den
Hallischen Jahrbüchern, nachmals in den Jahrbüchern der Gegenwart und ähn¬
lichen erschienen, ihrer wissenschaftlichen Haltung, ihrer Objectivität und ihrer
feinen, attischen Urbanität nach würdig jenen größern Leistungen an. In der
gegenwärtigen Broschüre, die in der Form einer Vorlesung auftritt, werden wir
in ein ziemlich entlegenes Alterthum zurückversetzt, und fühlen uns doch in un¬
mittelbarer Gegenwart. Strauß legt sich die Frage vor, wie es kommt, daß
jener Apostat, über den in frühern Zeiten von den christlichen Schriftstellern eine
unbedingte Verdammniß ausgesprochen wurde, während die heidnischen Sophisten
ihn unter die Sterne versetzten, von neuern Geschichtschreibern eine so entgegenge¬
setzte Beurtheilung erfahre» hat. Arnold, der Gläubige mit pietistischen Anflug,
entschuldigt ihn, der Deist Gibbon macht sich, obgleich er selber eher ein Feind
als ein Anhänger des Christenthums genannt werden kann, theilweise über ihn
lustig, der Nationalist Schlosser unterwirft seine Rückkehr zum Heidenthum einer
scharfen und bittern Kritik, dagegen spricht der moderne, reflectirte Supernatnra-
list Neander vou ihm mit der höchsten Achtung und einem gewissen Enthusias¬
mus. Strauß erklärt das daraus, daß die Gegensätze in unsern Tagen eine an¬
dere Wendung genommen haben; den Nationalisten ist diese mystische, schwärme¬
rische, erkünstelte Rückkehr zu einem bereits überwundenen Standpunkt, die über
das ganze Wesen des Apostaten ein unnatürliches, phantastisches Licht verbreitet,
zuwider; die Romantiker dagegen begrüßen in ihm den Glaubensgenossen, der
gleich ihnen mit einem rückwärtsgcwandten Gesicht den unbegreiflichen Gottheiten
opfert, sich gleich ihnen in das geheimnißvolle Dunkel des räthselhaften Tranm¬
und Ahnungswesens vertieft. Darauf führt Strauß diese Parallele weiter aus,
und wir werden von einer Menge von Zügen überrascht, die, ohne daß ihnen
irgend ein fremdartiger Anstrich aufgezwungen würde, uns an eine hochbedeu-
tende Erscheinung der Gegenwart erinnern.

Freilich fügt Strauß mit Recht hinzu, daß dieser Vergleich nur eine for¬
melle Geltung hat; daß in materieller Beziehung unsere Sympathie weit mehr
dem Manne zu Theil wird, der das Ideal einer heitern Götterwelt dem finstern
Geist der Selbstkrenzignng ^vorzog, als den modernen Romantikern, welche die¬
sen dunklen Geist in das Licht der Gegenwart wieder heraufbeschwören möchte.
Aber, schließt er, es kann uns dieses Beispiel ein Trost sein, daß auch ein mo¬
derner Julian geistreich und mächtig wie jener, dem Galiläer, d. h. dem Geist
des modernen Bewußtseins nicht wird widerstehen können.


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[0058] res Vorkämpfers; es war daher leicht, ihn in Paradoxien zu überflügeln. Aber früh genug sind diese Fortschrittsmänner in's Alane hinein an ihrer innern Hohl¬ heit gescheitert, und bewegen sich seitdem auf den luftigen Höhen der Sophistik in eitler Selbstvergötterung. Eine dauernde Kränklichkeit hielt Strauß seit 1840 von größern wissenschaft¬ lichen Arbeiten zurück, doch schlössen sich die kleinen Streitschriften, die in den Hallischen Jahrbüchern, nachmals in den Jahrbüchern der Gegenwart und ähn¬ lichen erschienen, ihrer wissenschaftlichen Haltung, ihrer Objectivität und ihrer feinen, attischen Urbanität nach würdig jenen größern Leistungen an. In der gegenwärtigen Broschüre, die in der Form einer Vorlesung auftritt, werden wir in ein ziemlich entlegenes Alterthum zurückversetzt, und fühlen uns doch in un¬ mittelbarer Gegenwart. Strauß legt sich die Frage vor, wie es kommt, daß jener Apostat, über den in frühern Zeiten von den christlichen Schriftstellern eine unbedingte Verdammniß ausgesprochen wurde, während die heidnischen Sophisten ihn unter die Sterne versetzten, von neuern Geschichtschreibern eine so entgegenge¬ setzte Beurtheilung erfahre» hat. Arnold, der Gläubige mit pietistischen Anflug, entschuldigt ihn, der Deist Gibbon macht sich, obgleich er selber eher ein Feind als ein Anhänger des Christenthums genannt werden kann, theilweise über ihn lustig, der Nationalist Schlosser unterwirft seine Rückkehr zum Heidenthum einer scharfen und bittern Kritik, dagegen spricht der moderne, reflectirte Supernatnra- list Neander vou ihm mit der höchsten Achtung und einem gewissen Enthusias¬ mus. Strauß erklärt das daraus, daß die Gegensätze in unsern Tagen eine an¬ dere Wendung genommen haben; den Nationalisten ist diese mystische, schwärme¬ rische, erkünstelte Rückkehr zu einem bereits überwundenen Standpunkt, die über das ganze Wesen des Apostaten ein unnatürliches, phantastisches Licht verbreitet, zuwider; die Romantiker dagegen begrüßen in ihm den Glaubensgenossen, der gleich ihnen mit einem rückwärtsgcwandten Gesicht den unbegreiflichen Gottheiten opfert, sich gleich ihnen in das geheimnißvolle Dunkel des räthselhaften Tranm¬ und Ahnungswesens vertieft. Darauf führt Strauß diese Parallele weiter aus, und wir werden von einer Menge von Zügen überrascht, die, ohne daß ihnen irgend ein fremdartiger Anstrich aufgezwungen würde, uns an eine hochbedeu- tende Erscheinung der Gegenwart erinnern. Freilich fügt Strauß mit Recht hinzu, daß dieser Vergleich nur eine for¬ melle Geltung hat; daß in materieller Beziehung unsere Sympathie weit mehr dem Manne zu Theil wird, der das Ideal einer heitern Götterwelt dem finstern Geist der Selbstkrenzignng ^vorzog, als den modernen Romantikern, welche die¬ sen dunklen Geist in das Licht der Gegenwart wieder heraufbeschwören möchte. Aber, schließt er, es kann uns dieses Beispiel ein Trost sein, daß auch ein mo¬ derner Julian geistreich und mächtig wie jener, dem Galiläer, d. h. dem Geist des modernen Bewußtseins nicht wird widerstehen können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/58>, abgerufen am 22.07.2024.