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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Leute aus der Nachbarschaft tu den Berg gekommen sind und den Kaiser gesehen ha¬
ben; so Lazarus Aigucr, im Dienste des Stadtschrcibers zu Reichenhall, der an Ma¬
ria Geburt 1529 von einem Mönche in den Berg geführt wurde, dort den Kaiser
Karl sah, und glücklich wieder an die Oberwelt und zum Stadtschreiber zurück kam.
Dieser Lazarus Aigner hat seine Fahrt beschrieben und den Bericht davon später ver¬
öffentlicht. Auch von einem Tyroler Fuhrmann wird erzählt, der mit einem Wagen
voll Wein in den Berg fuhr, und seine Ladung dem Bergmännlein um 180 Ducaten
abließ. Ein anderes Mal blieb ein Jägerbursche ein Jahr lang am unterirdischen
Hofe des Kaisers, wollte aber nur dem Erzbischof von Salzburg und sonst Niemanden
erzählen, wo er gewesen und was er erlebt. Der Jäger starb ein Vierteljahr darnach,
und der Erzbischof soll sehr tiefsinnig geworden sein über das, was er ihm gesagt.
Nun liegt aber um Fuße des Untersbergs ein breites Flachland, das Walserfeld ge¬
nannt, und auf diesem steht jener dürre Birnbaum, der so verrufen ist in der deutschen
Sage. Er ist schon drei Mal umgehauen worden, aber seine Wurzel schlägt immer
von Neuem aus. Im Jahre 1814, als die Zeiten wieder viel Glück zu bringen ver¬
sprachen, schickte er sich abermals an, zu grünen, aber es schien ihn bald zu reuen,
und schnell kam wieder die Dürre über ihn. Aber er wird gewiß, so hat's die Sage
versprochen, noch einmal blühen, und dann wird der Bart zum dritten Mal um den
Tisch gewachsen sein, und Kaiser Karl wird mit seinen Mannen aus dem Untersberg
heraufsteigen "ut seinen Schild an den Birnbaum hängen. Dann wird er die unge-
I eure Schlacht schlagen, welche das deutsche Reich wieder groß und herrlich machen soll.
Dabei wird ein solches Blutbad entstehen, daß den Kriegern das Blut in die Schuhe
rinnt, und da werden die bösen Menschen von den guten erschlagen werden. Alles
dieses ist bei uus Jedermann sehr wohl bekannt, und wohl ans den ältesten Zeiten her
von Mund zu Mund überliefert worden. Man kann sich daher denken, wie viel es zu
reden gab, als der dürre Birnbaum auf dem Walserfelde Heuer zu grünen und zu blü¬
hen anhob, und im Herbste sogar süße Früchte trug. Kaiser Karl scheint nicht mehr
fern zu sein, und die große Schlacht auf dem Walserfelde ist auch schon angemeldet.
Unlängst kam nämlich sin Bauernknecht an den Untersberg und begegnete dort einem
der Bergmännchen, welches ihm zu folgen winkte. Der Knecht besann sich aber und
fand es für gerathener, ihm nicht nachzugehen. Tags darauf aber stellte sich der Kleine
wieder ein und winkte dem Knecht zum zweiten Male. Dieser ging heim und sagte es
dem Pfarrer. Der Pfarrer ermuthigte das Beichtkind, und als der Kleine an dersel¬
ben Stelle das dritte Mal ihm winkte, folgte der Knecht ihm nach. Das Bergmänn¬
chen führte ihn sofort auf einen Felsen, und von diesem aus sah er im Thale nichts
als Soldaten. Der Gnome brachte ihn auf eine andere höhere Stelle, und von die¬
ser aus sah der Knecht nichts als Blut. Und das Männchen ging mit ihm auf die
dritte Stelle -- was er aber von dieser aus gesehen, das ist aus dem Knechte nicht
herauszubringen. Diese Geschichte wird in diesem Augenblicke überall bei uns erzählt,
und Sie sehen daraus, daß die großen Fragen der deutschen Gegenwart und die noch
größeren Dinge, die die Zukunft bringen soll, sich bei den Bauern am Untersberg we¬
nigstens mythisch abspiegeln. Wenn das dritte Gesicht des besagten Bauernknechts auch
kein freundliches gewesen sein mag, so scheint uus doch der blühende und Früchte tra¬
gende Birnbaum auf dem Wälserselde nur Gutes zu bedeuten, dessen Erreichung die
Sage freilich an heißen Kampf knüpft.

lieber den Untersberg und seine Sagen ist das kleine Buch vom Professor Maß-


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Leute aus der Nachbarschaft tu den Berg gekommen sind und den Kaiser gesehen ha¬
ben; so Lazarus Aigucr, im Dienste des Stadtschrcibers zu Reichenhall, der an Ma¬
ria Geburt 1529 von einem Mönche in den Berg geführt wurde, dort den Kaiser
Karl sah, und glücklich wieder an die Oberwelt und zum Stadtschreiber zurück kam.
Dieser Lazarus Aigner hat seine Fahrt beschrieben und den Bericht davon später ver¬
öffentlicht. Auch von einem Tyroler Fuhrmann wird erzählt, der mit einem Wagen
voll Wein in den Berg fuhr, und seine Ladung dem Bergmännlein um 180 Ducaten
abließ. Ein anderes Mal blieb ein Jägerbursche ein Jahr lang am unterirdischen
Hofe des Kaisers, wollte aber nur dem Erzbischof von Salzburg und sonst Niemanden
erzählen, wo er gewesen und was er erlebt. Der Jäger starb ein Vierteljahr darnach,
und der Erzbischof soll sehr tiefsinnig geworden sein über das, was er ihm gesagt.
Nun liegt aber um Fuße des Untersbergs ein breites Flachland, das Walserfeld ge¬
nannt, und auf diesem steht jener dürre Birnbaum, der so verrufen ist in der deutschen
Sage. Er ist schon drei Mal umgehauen worden, aber seine Wurzel schlägt immer
von Neuem aus. Im Jahre 1814, als die Zeiten wieder viel Glück zu bringen ver¬
sprachen, schickte er sich abermals an, zu grünen, aber es schien ihn bald zu reuen,
und schnell kam wieder die Dürre über ihn. Aber er wird gewiß, so hat's die Sage
versprochen, noch einmal blühen, und dann wird der Bart zum dritten Mal um den
Tisch gewachsen sein, und Kaiser Karl wird mit seinen Mannen aus dem Untersberg
heraufsteigen »ut seinen Schild an den Birnbaum hängen. Dann wird er die unge-
I eure Schlacht schlagen, welche das deutsche Reich wieder groß und herrlich machen soll.
Dabei wird ein solches Blutbad entstehen, daß den Kriegern das Blut in die Schuhe
rinnt, und da werden die bösen Menschen von den guten erschlagen werden. Alles
dieses ist bei uus Jedermann sehr wohl bekannt, und wohl ans den ältesten Zeiten her
von Mund zu Mund überliefert worden. Man kann sich daher denken, wie viel es zu
reden gab, als der dürre Birnbaum auf dem Walserfelde Heuer zu grünen und zu blü¬
hen anhob, und im Herbste sogar süße Früchte trug. Kaiser Karl scheint nicht mehr
fern zu sein, und die große Schlacht auf dem Walserfelde ist auch schon angemeldet.
Unlängst kam nämlich sin Bauernknecht an den Untersberg und begegnete dort einem
der Bergmännchen, welches ihm zu folgen winkte. Der Knecht besann sich aber und
fand es für gerathener, ihm nicht nachzugehen. Tags darauf aber stellte sich der Kleine
wieder ein und winkte dem Knecht zum zweiten Male. Dieser ging heim und sagte es
dem Pfarrer. Der Pfarrer ermuthigte das Beichtkind, und als der Kleine an dersel¬
ben Stelle das dritte Mal ihm winkte, folgte der Knecht ihm nach. Das Bergmänn¬
chen führte ihn sofort auf einen Felsen, und von diesem aus sah er im Thale nichts
als Soldaten. Der Gnome brachte ihn auf eine andere höhere Stelle, und von die¬
ser aus sah der Knecht nichts als Blut. Und das Männchen ging mit ihm auf die
dritte Stelle — was er aber von dieser aus gesehen, das ist aus dem Knechte nicht
herauszubringen. Diese Geschichte wird in diesem Augenblicke überall bei uns erzählt,
und Sie sehen daraus, daß die großen Fragen der deutschen Gegenwart und die noch
größeren Dinge, die die Zukunft bringen soll, sich bei den Bauern am Untersberg we¬
nigstens mythisch abspiegeln. Wenn das dritte Gesicht des besagten Bauernknechts auch
kein freundliches gewesen sein mag, so scheint uus doch der blühende und Früchte tra¬
gende Birnbaum auf dem Wälserselde nur Gutes zu bedeuten, dessen Erreichung die
Sage freilich an heißen Kampf knüpft.

lieber den Untersberg und seine Sagen ist das kleine Buch vom Professor Maß-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/559>, abgerufen am 05.12.2024.