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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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ihrem Ueberflusse schwelgten; die hohe Geistlichkeit hatte so volle Säckel, daß sie
alle Müßigen um Gottes willen ernähren konnte.

Das ist der Keim des Unterganges. Die Arbeit nur düngt den Lebensboten
der Volker, das Gold dürre ihn aus. Die reichen Adelsparteicu sind ausgestor¬
ben und die übriggebliebenen grenzen in ihrer Höhe an die tiefste Stufe des
Elends, an den Kretinismus. Das Volk aber ist an's "luteo ihr niontv gewöhnt,
und bettelt -- aber nie ohne hinzusetzen: "Wir sind doch Edelleute!" Gewöhnlich
reden sich die hungernden Arbeiter zu Manchester in ihren Meetings: "Loutl".
wen iuxl liMes!" an.

Spanien war reich geworden durch eine mühelose Eroberung, und ging
an diesem Reichthum und an der Eroberung unter. Das Volk verlernte das Arbeiten
und die Herrscher verlernten den Gesehen zu gehorchen. In Westindien waren sie un-
umschränkte Herren und wurden es sehr bald auch in Spanien. Und daher der Unter¬
gang, nicht nur der innern Volkszustände, sondern auch der äußern Institutionen.

Ob Spanien sich wieder je ans diesem Elende herausarbeiten wird, hängt
nur davon ab, ob die Spanier wieder arbeiten lernen "ud sich wieder "dis-
eipliniren" lassen. ni von -- uni. Wenn einst Einer deiner Nachfolger uns
erzählt, daß das Gras aus den Straßen verschwunden, daß die Spaziergänge
nicht mehr die Hauptsache, daß der Spanier wieder gelernt hat, erst nach voll¬
brachtem Werke ruhen -- dann wollen wir anch ans eine Wiedergeburt des spa¬
nischen Volkes als Volk hoffen.

"Aber das Volk, diese Spanier sind so national, so patriotisch gesinnt, daß
sie uns Deutsche aus Schritt und Tritt beschämen!" So arm, so gehetzt durch
Parteiwesen, so niedergetreten seit Jahrhunderten, und -- doch so national? fragt
man sich gerne im Gegensatze zu Deutschland, wo die Nationalität sich Mühe ge¬
ben muß, in Schwung zu kommen. Vielleicht liegt die Antwort auf deine Frage
in der Frage selbst. "So niedergetreten seit Jahrhunderten -- und doch so na¬
tional" ist nicht der rechte Ausdruck. Es muß heißen: "So niedergetreten und
deswegen so national." Ja, die Nationalität ist die Gesundheit der Völker. Wer
gesund ist, spricht nicht von seiner Gesundheit. Nur die Kranken denken an sie
bei jedem Luftzuge, bei jeder Wetteränderung. Willst du lebendige Nationalität
sehen, so gehe nach Polen oder auch nach Irland. Zur rechte" Belebung des
Nationalgefühls gehört vor Allem -- die Zernichtung der Nationalität
oder wenigstens ihre Mißhandlung und Bedrohung. Jedes Volk, das von einem
andern erobert wird, und nicht in der Eroberung untergeht, sieht aus derselben
seiue Nationalität neu gestählt hervortreten. Das englische "Nationalgefühl" ist
Folge der normannischen Eroberung, das französische erhielt seine Bethätigung
in dem Kampfe der Gallier gegen die Franken -- der für den Blick des Geschichts¬
forschers erst mit der Revolution sein Schlnßende fand; die irländische "Nationa¬
lität" liegt in dem Hasse gegen die "Sachsen;" die polnische im'Joche Rußlands,


ihrem Ueberflusse schwelgten; die hohe Geistlichkeit hatte so volle Säckel, daß sie
alle Müßigen um Gottes willen ernähren konnte.

Das ist der Keim des Unterganges. Die Arbeit nur düngt den Lebensboten
der Volker, das Gold dürre ihn aus. Die reichen Adelsparteicu sind ausgestor¬
ben und die übriggebliebenen grenzen in ihrer Höhe an die tiefste Stufe des
Elends, an den Kretinismus. Das Volk aber ist an's «luteo ihr niontv gewöhnt,
und bettelt — aber nie ohne hinzusetzen: „Wir sind doch Edelleute!" Gewöhnlich
reden sich die hungernden Arbeiter zu Manchester in ihren Meetings: „Loutl«.
wen iuxl liMes!" an.

Spanien war reich geworden durch eine mühelose Eroberung, und ging
an diesem Reichthum und an der Eroberung unter. Das Volk verlernte das Arbeiten
und die Herrscher verlernten den Gesehen zu gehorchen. In Westindien waren sie un-
umschränkte Herren und wurden es sehr bald auch in Spanien. Und daher der Unter¬
gang, nicht nur der innern Volkszustände, sondern auch der äußern Institutionen.

Ob Spanien sich wieder je ans diesem Elende herausarbeiten wird, hängt
nur davon ab, ob die Spanier wieder arbeiten lernen »ud sich wieder „dis-
eipliniren" lassen. ni von — uni. Wenn einst Einer deiner Nachfolger uns
erzählt, daß das Gras aus den Straßen verschwunden, daß die Spaziergänge
nicht mehr die Hauptsache, daß der Spanier wieder gelernt hat, erst nach voll¬
brachtem Werke ruhen — dann wollen wir anch ans eine Wiedergeburt des spa¬
nischen Volkes als Volk hoffen.

„Aber das Volk, diese Spanier sind so national, so patriotisch gesinnt, daß
sie uns Deutsche aus Schritt und Tritt beschämen!" So arm, so gehetzt durch
Parteiwesen, so niedergetreten seit Jahrhunderten, und — doch so national? fragt
man sich gerne im Gegensatze zu Deutschland, wo die Nationalität sich Mühe ge¬
ben muß, in Schwung zu kommen. Vielleicht liegt die Antwort auf deine Frage
in der Frage selbst. „So niedergetreten seit Jahrhunderten — und doch so na¬
tional" ist nicht der rechte Ausdruck. Es muß heißen: „So niedergetreten und
deswegen so national." Ja, die Nationalität ist die Gesundheit der Völker. Wer
gesund ist, spricht nicht von seiner Gesundheit. Nur die Kranken denken an sie
bei jedem Luftzuge, bei jeder Wetteränderung. Willst du lebendige Nationalität
sehen, so gehe nach Polen oder auch nach Irland. Zur rechte» Belebung des
Nationalgefühls gehört vor Allem — die Zernichtung der Nationalität
oder wenigstens ihre Mißhandlung und Bedrohung. Jedes Volk, das von einem
andern erobert wird, und nicht in der Eroberung untergeht, sieht aus derselben
seiue Nationalität neu gestählt hervortreten. Das englische „Nationalgefühl" ist
Folge der normannischen Eroberung, das französische erhielt seine Bethätigung
in dem Kampfe der Gallier gegen die Franken — der für den Blick des Geschichts¬
forschers erst mit der Revolution sein Schlnßende fand; die irländische „Nationa¬
lität" liegt in dem Hasse gegen die „Sachsen;" die polnische im'Joche Rußlands,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/537>, abgerufen am 22.07.2024.