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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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diesen sich selbst widersprechenden Ausdruck beizubehalten -- fingen all, nach Art
der Apostel aus Rundreisen zu gehen, und für die alten Ideen, die im Volk noch
immer die herrschenden waren, und die nur durch eine kleine dvctrinäre Fraction
bei Seite geschoben wurden, Propaganda zu machen. Ich gehöre nicht zu Uhlich's
Verehrern, aber das muß ich ihm zugestehen, daß er die factische Spaltung inner¬
halb der Kirche in's Bewußtsein der Masse übertragen, daß er den scheinbar nur
theoretischen Kampf popnlarisirt und in's Praktische gezogen hat. Ich kann auch
seine Bemühung, sich innerhalb der Kirche zu halten, und abzuwarten, was diese
in Beziehung ans seine abweichenden Ansichten und sein nach denselben mvdificirtes
Verfahren des Weiteren beschließen würde, nur unbedingt billigen, denn jede Sec-
tenstiftung hat etwas Bedenkliches, sie reißt die der neuen Richtung Angehörenden
aus der allgemeinen Bewegung und beschränkt ihre Productivität auf Sonderin¬
teressen, die eben, weil sie sich isoliren, etwas Einseitiges und Gezwungenes ha¬
ben müssen.

Von allen Lichtfreuuden war Wisliceuus offenbar der ehrlichste und be¬
stimmteste. Durch seine Flugschrift: "ob Schrift? ob Geist?" stellte er, wie vor¬
nehm auch die scholastische Bildung auf ihre einfache, schlichte Fassung herabblicken
mochte, die Sache in das rechte Licht. Es ist gerade in der protestantischen Kirche,
die von Anbeginn an so großen und übertriebenen Werth auf das positive Wort
gelegt hat, nothwendig, das Illusorische dieser äußerlichen Autorität nachzuweisen.
Alle Sophismen ans beiden Seiten konnten die Frage nicht umgehn: soll der eigne
Geist des Menschen, sein vernünftiges Bewußtsein, entscheiden, was recht und un¬
recht, gut und böse ist, oder soll er die Entscheidung anderwärts holen? Soll die
Vernunft wahrhaft autonom sein, oder soll sie in ewiger, wenn auch noch so li¬
beral gehaltener Unmündigkeit auf die Worte der Offenbarung lauschen? Wislice¬
uus entschied sich für das erste, und trat damit factisch aus der Theologie heraus,
deren Wesen das zwischen Himmel und Erde gespaltene Bewußtsein ist. Eine
eigentliche Kirche, die ihn demzufolge hätte ausstoßen können, war nicht mehr vor¬
handen, dafür nahm sich das Kircheuregimcnt, d. h. der Staat, der Sache an,
und setzt ihn von seinem Amte ab. In höchsten Kreisen wurde sogar von "mein¬
eidiger Priestern" gesprochen, und die Frage der Entscheidung der Vernunft so
viel wie möglich entzogen, und in den Mysticismus des Gemüths, der Ehre,
Treue n. s. w. hinübergespielt.

Der Amtsentsetzung des geachteten -- als Canzelredncr nicht gerade sehr
beliebten - - Predigers, folgte die Bildung einer kleinen freien Gemeinde, die ohne
alle eigentlich theologische Form die Religion ihres Herzens, d. h. die sittlichen
Interessen, durchzubilden strebte. Die Masse der Lichtfreunde blieb ihr fern, weil
sie zu deutlich und bestimmt sagte, was sie wollte, oder besser, was sie nicht wollte.
Denn es läßt sich nicht leugnen, von einem positiven Inhalt, der sie wesentlich
por den übrigen Tendenzen der Sterblichen unterschiede, ist bis dahin wenig die


diesen sich selbst widersprechenden Ausdruck beizubehalten — fingen all, nach Art
der Apostel aus Rundreisen zu gehen, und für die alten Ideen, die im Volk noch
immer die herrschenden waren, und die nur durch eine kleine dvctrinäre Fraction
bei Seite geschoben wurden, Propaganda zu machen. Ich gehöre nicht zu Uhlich's
Verehrern, aber das muß ich ihm zugestehen, daß er die factische Spaltung inner¬
halb der Kirche in's Bewußtsein der Masse übertragen, daß er den scheinbar nur
theoretischen Kampf popnlarisirt und in's Praktische gezogen hat. Ich kann auch
seine Bemühung, sich innerhalb der Kirche zu halten, und abzuwarten, was diese
in Beziehung ans seine abweichenden Ansichten und sein nach denselben mvdificirtes
Verfahren des Weiteren beschließen würde, nur unbedingt billigen, denn jede Sec-
tenstiftung hat etwas Bedenkliches, sie reißt die der neuen Richtung Angehörenden
aus der allgemeinen Bewegung und beschränkt ihre Productivität auf Sonderin¬
teressen, die eben, weil sie sich isoliren, etwas Einseitiges und Gezwungenes ha¬
ben müssen.

Von allen Lichtfreuuden war Wisliceuus offenbar der ehrlichste und be¬
stimmteste. Durch seine Flugschrift: „ob Schrift? ob Geist?" stellte er, wie vor¬
nehm auch die scholastische Bildung auf ihre einfache, schlichte Fassung herabblicken
mochte, die Sache in das rechte Licht. Es ist gerade in der protestantischen Kirche,
die von Anbeginn an so großen und übertriebenen Werth auf das positive Wort
gelegt hat, nothwendig, das Illusorische dieser äußerlichen Autorität nachzuweisen.
Alle Sophismen ans beiden Seiten konnten die Frage nicht umgehn: soll der eigne
Geist des Menschen, sein vernünftiges Bewußtsein, entscheiden, was recht und un¬
recht, gut und böse ist, oder soll er die Entscheidung anderwärts holen? Soll die
Vernunft wahrhaft autonom sein, oder soll sie in ewiger, wenn auch noch so li¬
beral gehaltener Unmündigkeit auf die Worte der Offenbarung lauschen? Wislice¬
uus entschied sich für das erste, und trat damit factisch aus der Theologie heraus,
deren Wesen das zwischen Himmel und Erde gespaltene Bewußtsein ist. Eine
eigentliche Kirche, die ihn demzufolge hätte ausstoßen können, war nicht mehr vor¬
handen, dafür nahm sich das Kircheuregimcnt, d. h. der Staat, der Sache an,
und setzt ihn von seinem Amte ab. In höchsten Kreisen wurde sogar von „mein¬
eidiger Priestern" gesprochen, und die Frage der Entscheidung der Vernunft so
viel wie möglich entzogen, und in den Mysticismus des Gemüths, der Ehre,
Treue n. s. w. hinübergespielt.

Der Amtsentsetzung des geachteten — als Canzelredncr nicht gerade sehr
beliebten - - Predigers, folgte die Bildung einer kleinen freien Gemeinde, die ohne
alle eigentlich theologische Form die Religion ihres Herzens, d. h. die sittlichen
Interessen, durchzubilden strebte. Die Masse der Lichtfreunde blieb ihr fern, weil
sie zu deutlich und bestimmt sagte, was sie wollte, oder besser, was sie nicht wollte.
Denn es läßt sich nicht leugnen, von einem positiven Inhalt, der sie wesentlich
por den übrigen Tendenzen der Sterblichen unterschiede, ist bis dahin wenig die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/526>, abgerufen am 22.07.2024.