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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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von dem transcendenter Wesen auf das Wesen des Menschen lenken wollen. Er
hat sich den kirchlichen Bewegungen unsrer Stadt nicht angeschlossen, obgleich er
im Prinzip mit ihnen übereinstimmen mußte; er hat überhaupt eine gewisse Ab¬
neigung gegen das Aufgehen in sittliche Verhältnisse, und hat trotz seines Hasses
gegen die Bauersche Schule doch eine Verwandtschaft mit ihr; er ist auch über
alles hinaus, weiß alles besser und sucht in allen Erscheinungen die negative
Seite auf. Er hatte bis jetzt -- wenn wir seiue Vorlesungen ausnehmen, in de¬
nen er dnrch eine nicht gemeine Rednergabe ein für Halle ziemlich bedeutendes Au¬
ditorium zusammenlockt -- dnrch Schweigen imponirt und sich bei den ernsthaften
Fragen außerhalb der Schußlinie gehalten. Dies Schweigen hat er nun gebrochen
dnrch ein Wert "über das Wesen der Religion." Er beweist darin in der That
ein glänzendes polemisches Talent, er weiß die Schwächen aller Philosophen sehr
gut aufzudecken. Aber die bloße Polemik macht noch keine rechte Kritik. Es fehlt
ihm der feste sittliche und intellectuelle Standpunkt, von dem aus er seiue Gegner
begreifen könnte; er ist eben so oft Klopffechter als Kritiker. Die Ansichten, die
er nachher als die seinigen über die Religion angibt, sind offenbar schlechter als
alle die, welche er widerlegt, denn sie sind ein irrationales Gemisch aus allen übri¬
gen. Er wird keine Partei damit befriedigen, denn er thut jeder Unrecht, und
seine "Mystik" besteht nur darin, daß Supranaturalismus, Nationalismus, Theis¬
mus, Atheismus, Pantheismus u. f. w. sich aneinander drängen und einander
nicht verstehen. Er hat -- wie das allmählich Mode wird -- sich vom Hegel-
schen System losgesagt, aber die Terminologie desselben beibehalten und nach Gut¬
dünken modificirt.

Pott gehört eigentlich nur äußerlich zu dieser Gruppe, als liberaler und
aufgeklärter Mann. Mit der eigentlichen Speculation hat er sich nicht zu thun
gemacht. Er ist Linguist, und zeichnet sich eben so durch eine fabelhaste Gelehr¬
samkeit in den orientalischen Sprachen ans, durch deren Vergleichung er eine Ur¬
geschichte anzubahnen gedenkt -- ein Unternehmen, über dessen Erfolg ich mir kein
Urtheil erlauben darf --, als dnrch hitzköpfige Verfolgung aller Kollegen, die in
seiner Brauche etwas Irrationelles sich zu Schulden kommen lassen.

Ich will hier einen Mann anreihen, weil ich gerade keine bessere Stellung
für ihn finde, der sich durch eine seltsame Combination aller möglichen Wissenschaf¬
ten und durch einen eben so seltsamen Mangel an allem logischen Sinn auszeich¬
net. Ulrici hat eine ausführliche griechische Literaturgeschichte geschrieben, ohne
gelehrter Philolog zu sein, es ist natürlich eine irrationelle Compilation geblieben;
er hat Shakespeare und Calderon commentirt, und sie nicht uur zu Theolegen ge¬
macht, sondern auch in dieser Theologie alle Vernunft gefunden; er hat seine con-
fuse Süudentheorie dem großen Britten imputirt -- ein Frevel an der Poesie
und dem Menschenverstand, gegen den selbst Hegelianische Kritiker, wie Nötscher,
eine merkwürdige Nachsicht zeigen. Shakespeare's Dichtungen zu einem theologi-


von dem transcendenter Wesen auf das Wesen des Menschen lenken wollen. Er
hat sich den kirchlichen Bewegungen unsrer Stadt nicht angeschlossen, obgleich er
im Prinzip mit ihnen übereinstimmen mußte; er hat überhaupt eine gewisse Ab¬
neigung gegen das Aufgehen in sittliche Verhältnisse, und hat trotz seines Hasses
gegen die Bauersche Schule doch eine Verwandtschaft mit ihr; er ist auch über
alles hinaus, weiß alles besser und sucht in allen Erscheinungen die negative
Seite auf. Er hatte bis jetzt — wenn wir seiue Vorlesungen ausnehmen, in de¬
nen er dnrch eine nicht gemeine Rednergabe ein für Halle ziemlich bedeutendes Au¬
ditorium zusammenlockt — dnrch Schweigen imponirt und sich bei den ernsthaften
Fragen außerhalb der Schußlinie gehalten. Dies Schweigen hat er nun gebrochen
dnrch ein Wert „über das Wesen der Religion." Er beweist darin in der That
ein glänzendes polemisches Talent, er weiß die Schwächen aller Philosophen sehr
gut aufzudecken. Aber die bloße Polemik macht noch keine rechte Kritik. Es fehlt
ihm der feste sittliche und intellectuelle Standpunkt, von dem aus er seiue Gegner
begreifen könnte; er ist eben so oft Klopffechter als Kritiker. Die Ansichten, die
er nachher als die seinigen über die Religion angibt, sind offenbar schlechter als
alle die, welche er widerlegt, denn sie sind ein irrationales Gemisch aus allen übri¬
gen. Er wird keine Partei damit befriedigen, denn er thut jeder Unrecht, und
seine „Mystik" besteht nur darin, daß Supranaturalismus, Nationalismus, Theis¬
mus, Atheismus, Pantheismus u. f. w. sich aneinander drängen und einander
nicht verstehen. Er hat — wie das allmählich Mode wird — sich vom Hegel-
schen System losgesagt, aber die Terminologie desselben beibehalten und nach Gut¬
dünken modificirt.

Pott gehört eigentlich nur äußerlich zu dieser Gruppe, als liberaler und
aufgeklärter Mann. Mit der eigentlichen Speculation hat er sich nicht zu thun
gemacht. Er ist Linguist, und zeichnet sich eben so durch eine fabelhaste Gelehr¬
samkeit in den orientalischen Sprachen ans, durch deren Vergleichung er eine Ur¬
geschichte anzubahnen gedenkt — ein Unternehmen, über dessen Erfolg ich mir kein
Urtheil erlauben darf —, als dnrch hitzköpfige Verfolgung aller Kollegen, die in
seiner Brauche etwas Irrationelles sich zu Schulden kommen lassen.

Ich will hier einen Mann anreihen, weil ich gerade keine bessere Stellung
für ihn finde, der sich durch eine seltsame Combination aller möglichen Wissenschaf¬
ten und durch einen eben so seltsamen Mangel an allem logischen Sinn auszeich¬
net. Ulrici hat eine ausführliche griechische Literaturgeschichte geschrieben, ohne
gelehrter Philolog zu sein, es ist natürlich eine irrationelle Compilation geblieben;
er hat Shakespeare und Calderon commentirt, und sie nicht uur zu Theolegen ge¬
macht, sondern auch in dieser Theologie alle Vernunft gefunden; er hat seine con-
fuse Süudentheorie dem großen Britten imputirt — ein Frevel an der Poesie
und dem Menschenverstand, gegen den selbst Hegelianische Kritiker, wie Nötscher,
eine merkwürdige Nachsicht zeigen. Shakespeare's Dichtungen zu einem theologi-


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[0524] von dem transcendenter Wesen auf das Wesen des Menschen lenken wollen. Er hat sich den kirchlichen Bewegungen unsrer Stadt nicht angeschlossen, obgleich er im Prinzip mit ihnen übereinstimmen mußte; er hat überhaupt eine gewisse Ab¬ neigung gegen das Aufgehen in sittliche Verhältnisse, und hat trotz seines Hasses gegen die Bauersche Schule doch eine Verwandtschaft mit ihr; er ist auch über alles hinaus, weiß alles besser und sucht in allen Erscheinungen die negative Seite auf. Er hatte bis jetzt — wenn wir seiue Vorlesungen ausnehmen, in de¬ nen er dnrch eine nicht gemeine Rednergabe ein für Halle ziemlich bedeutendes Au¬ ditorium zusammenlockt — dnrch Schweigen imponirt und sich bei den ernsthaften Fragen außerhalb der Schußlinie gehalten. Dies Schweigen hat er nun gebrochen dnrch ein Wert „über das Wesen der Religion." Er beweist darin in der That ein glänzendes polemisches Talent, er weiß die Schwächen aller Philosophen sehr gut aufzudecken. Aber die bloße Polemik macht noch keine rechte Kritik. Es fehlt ihm der feste sittliche und intellectuelle Standpunkt, von dem aus er seiue Gegner begreifen könnte; er ist eben so oft Klopffechter als Kritiker. Die Ansichten, die er nachher als die seinigen über die Religion angibt, sind offenbar schlechter als alle die, welche er widerlegt, denn sie sind ein irrationales Gemisch aus allen übri¬ gen. Er wird keine Partei damit befriedigen, denn er thut jeder Unrecht, und seine „Mystik" besteht nur darin, daß Supranaturalismus, Nationalismus, Theis¬ mus, Atheismus, Pantheismus u. f. w. sich aneinander drängen und einander nicht verstehen. Er hat — wie das allmählich Mode wird — sich vom Hegel- schen System losgesagt, aber die Terminologie desselben beibehalten und nach Gut¬ dünken modificirt. Pott gehört eigentlich nur äußerlich zu dieser Gruppe, als liberaler und aufgeklärter Mann. Mit der eigentlichen Speculation hat er sich nicht zu thun gemacht. Er ist Linguist, und zeichnet sich eben so durch eine fabelhaste Gelehr¬ samkeit in den orientalischen Sprachen ans, durch deren Vergleichung er eine Ur¬ geschichte anzubahnen gedenkt — ein Unternehmen, über dessen Erfolg ich mir kein Urtheil erlauben darf —, als dnrch hitzköpfige Verfolgung aller Kollegen, die in seiner Brauche etwas Irrationelles sich zu Schulden kommen lassen. Ich will hier einen Mann anreihen, weil ich gerade keine bessere Stellung für ihn finde, der sich durch eine seltsame Combination aller möglichen Wissenschaf¬ ten und durch einen eben so seltsamen Mangel an allem logischen Sinn auszeich¬ net. Ulrici hat eine ausführliche griechische Literaturgeschichte geschrieben, ohne gelehrter Philolog zu sein, es ist natürlich eine irrationelle Compilation geblieben; er hat Shakespeare und Calderon commentirt, und sie nicht uur zu Theolegen ge¬ macht, sondern auch in dieser Theologie alle Vernunft gefunden; er hat seine con- fuse Süudentheorie dem großen Britten imputirt — ein Frevel an der Poesie und dem Menschenverstand, gegen den selbst Hegelianische Kritiker, wie Nötscher, eine merkwürdige Nachsicht zeigen. Shakespeare's Dichtungen zu einem theologi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/524>, abgerufen am 22.07.2024.