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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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steins befangen, als Erdmann, weil er sie' weniger gründlich durchdacht hat. Von
seiner Ausdrucksweise kann man sagen:

Seine Studien über Schiller und Göthe sind das Extrem aller Scholastik,
und verlieren über dem Streben nach logischer Zurechtmacherei allen natürlichen
Sinn und alles objective Verständniß ans den Angen. Es ist das Schlimmste,
was unserm großen Dichter widerfahren kann, von ungeschickten Händen zerstückelt
und in den Hexenkessel der absoluten Philosophie geworfen zu werden; denn es
fehlt diesen vorwitzigen Zauberlehrlingen trotz aller suffisance der Zauberstab der
Medea; anstatt verjüngt zu werden, gehen jene kostbaren Reliquien in einem form¬
losen Brei unter.

Eine weitere Gruppe unserer Universität sind die eigentlich Liberalen, die in
irgend einer Weise mit den Resultaten der Philosophie in Berührung stehen, ohne
daß sie gerade ausschließlich der Schule angehören. Ich rechne dazu vorzüglich
Dunker, Schwarz und Pott; auch der politische Dichter und Literaturhisto¬
riker Robert Prutz, der jetzt von einem Ort Deutschlands zum andern getrie¬
ben wird, gehörte seiner Zeit zu diesem Kreise.

D nuk er,--> Sohn und Bruder des Buchhändler Dunker in Berlin -- seit einigen
Jahren Professor der Geschichte,-ist ein tapferer, ehrenwerther Charakter, der mehr als
irgend ein anderer geeignet ist, der Vertreter unseres Liberalismus zu sein. Schon
sein commentwidriger Bart, der nicht nnr alle Grenzen des Gelehrtenthums über¬
schreitet, sondern auch trotz seiner Jugend in's Grauliche spielt, unterscheidet ihn
von seinen Collegen, aber noch viel vortheilhafter die Gradheit seines Wesens und
die Entschiedenheit seiner Gesinnung. Er ist nicht -- was man gewöhnlich geist¬
reich nennt -- ein Wort, welches ungefähr wie das "Genie" zu Lessings Zeiten
mitunter verdient, mit Ohrfeigen abgewehrt zu werdeu -- er ist nicht über alles
hinaus, wie die Berliner; er hat aber die Ideen, welche die logische Entwicklung
der Philosophie vorbereitet hat, in sein Herz aufgenommen; er ist aufgeklärt, ohne
blasirt zu sein. Seine eigentliche Aufgabe ist die Pvpularistrung der theoretisch
gewonnenen Gedanken; in diesem Sinne ist auch seine Umarbeitung der Becker¬
schen Weltgeschichte nach den neuen Prinzipien aufzufassen. Seinem Vortrage
fehlt eine gewisse Frische, und er ist daher von unsern Studiosen nicht gerade
gesucht.

Karl Schwarz ist in allen Punkten sein Gegentheil. Er ist das eigent¬
liche Genie dieser Gruppe und hat sich durch seine unfreiwillige Amtssnspension
ejne gewisse Folie verschafft. Er ist Theolog, Feind des Pietismus und der Or¬
thodoxie, aber eben so Feind der anthropologischen Tendenzen, welche die Religion


steins befangen, als Erdmann, weil er sie' weniger gründlich durchdacht hat. Von
seiner Ausdrucksweise kann man sagen:

Seine Studien über Schiller und Göthe sind das Extrem aller Scholastik,
und verlieren über dem Streben nach logischer Zurechtmacherei allen natürlichen
Sinn und alles objective Verständniß ans den Angen. Es ist das Schlimmste,
was unserm großen Dichter widerfahren kann, von ungeschickten Händen zerstückelt
und in den Hexenkessel der absoluten Philosophie geworfen zu werden; denn es
fehlt diesen vorwitzigen Zauberlehrlingen trotz aller suffisance der Zauberstab der
Medea; anstatt verjüngt zu werden, gehen jene kostbaren Reliquien in einem form¬
losen Brei unter.

Eine weitere Gruppe unserer Universität sind die eigentlich Liberalen, die in
irgend einer Weise mit den Resultaten der Philosophie in Berührung stehen, ohne
daß sie gerade ausschließlich der Schule angehören. Ich rechne dazu vorzüglich
Dunker, Schwarz und Pott; auch der politische Dichter und Literaturhisto¬
riker Robert Prutz, der jetzt von einem Ort Deutschlands zum andern getrie¬
ben wird, gehörte seiner Zeit zu diesem Kreise.

D nuk er,—> Sohn und Bruder des Buchhändler Dunker in Berlin — seit einigen
Jahren Professor der Geschichte,-ist ein tapferer, ehrenwerther Charakter, der mehr als
irgend ein anderer geeignet ist, der Vertreter unseres Liberalismus zu sein. Schon
sein commentwidriger Bart, der nicht nnr alle Grenzen des Gelehrtenthums über¬
schreitet, sondern auch trotz seiner Jugend in's Grauliche spielt, unterscheidet ihn
von seinen Collegen, aber noch viel vortheilhafter die Gradheit seines Wesens und
die Entschiedenheit seiner Gesinnung. Er ist nicht — was man gewöhnlich geist¬
reich nennt — ein Wort, welches ungefähr wie das „Genie" zu Lessings Zeiten
mitunter verdient, mit Ohrfeigen abgewehrt zu werdeu — er ist nicht über alles
hinaus, wie die Berliner; er hat aber die Ideen, welche die logische Entwicklung
der Philosophie vorbereitet hat, in sein Herz aufgenommen; er ist aufgeklärt, ohne
blasirt zu sein. Seine eigentliche Aufgabe ist die Pvpularistrung der theoretisch
gewonnenen Gedanken; in diesem Sinne ist auch seine Umarbeitung der Becker¬
schen Weltgeschichte nach den neuen Prinzipien aufzufassen. Seinem Vortrage
fehlt eine gewisse Frische, und er ist daher von unsern Studiosen nicht gerade
gesucht.

Karl Schwarz ist in allen Punkten sein Gegentheil. Er ist das eigent¬
liche Genie dieser Gruppe und hat sich durch seine unfreiwillige Amtssnspension
ejne gewisse Folie verschafft. Er ist Theolog, Feind des Pietismus und der Or¬
thodoxie, aber eben so Feind der anthropologischen Tendenzen, welche die Religion


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/523>, abgerufen am 22.07.2024.