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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Behuf von Vorlesungen, theils zum Selbstunterricht geschrieben hat, ist, die Ver¬
änderung der Ueberschriften und einige kleine Zuthaten abgerechnet, ganz der erste
Theil der Hegelschen Encyclopädie. Es ist die starre Dialektik der logischen For¬
men, aber ohne das Fleisch nud Blut, das ihnen Hegel durch seine Anmerkungen
und Zusätze zu geben wußte. Es unterscheidet sich darin vortheilhaft von einigen
Berliner Lehrbüchern, namentlich der Logik von Werber, die man eine tvllgewvr-
dene Scholastik nennen könnte, so wild und excentrisch sind die Dithyramben, in
denen das Sein, das Werden und namentlich das absolute Nichts besungen wer¬
den. Wer indessen auf anderem Wege nicht in die Geheimnisse des absoluten
Idealismus eingeweiht ist, wird durch Erdmann über das eigentliche Wesen der
Philosophie nicht aufgeklärt werden. Hegel soll gesagt haben, er sei nur von ei¬
nem seiner Schüler verstanden und dieser habe ihn mißverstanden. Das ist ein
Mythus, in dem aber wie in all solchen Dichtungen der Tradition, eine gewisse
Wahrheit sich versteckt. Hegel weiß das überall mächtig hervorspricßcnde Grün des
Lebens durch das Netz seines Systems sehr geschickt zu überdecken; es scheint ge¬
heimniß voll durch die grauen Fäden hervor und zieht eben dadurch mehr an. Die
meisten seiner Schüler begnügen sich mit dem Netz, und reißen nur hie und da
ein Kraut oder eine Blume aus der Erde, um es damit auszuputzen. Hegel weiß
überall sehr gut, wohin er mit seinen logischen Deductionen eigentlich will, aber er
verbirgt es eher, als daß er es ausspricht. Die Unverständlichkeit seines Systems
beruht nicht in dem Zusammenhang seiner Sätze, aber auch nicht in den einzel¬
nen Sätzen; für einen einigermaßen geübten Denker ist beides evident. Aber
wem der Faden seines Gedankenlabyrinths fehlt, der fragt bei jedem Satz: was
ist eigentlich dadurch bewiesen? Die logischen Formen haben an sich keinen Werth,
sie sind Beziehungsbegriffe, die von ihrem realistischen Boden abgelöst, dem Geiste
keinen Inhalt geben. Diese Verstrickung des Denkens in bloßen Formeln ist es,
was die Althegelianer mit den Scholastikern gemein haben und was sie unfähig
macht, der geistigen Veweguug Herr zu bleibe".

Erdmann's Vortrag ist bündig nud präcis, aber nicht belebend. Er ist wohl
meistens memorirt. Viel anregender sind Schalter's Vorlesungen. Schalter ist
noch ein junger Mann, und seine Gedanken leben noch in seinem Gefühl. Er
hat sich der junghegclianischen Richtung soweit angeschlossen, als es möglich ist,
ohne ans dem System überhaupt herauszutreten; er ist Nationalist und Liberal
und kauu unbedingt den Vorkämpfern der Freiheit beigezählt werden,

Hinrichs hat sich weniger mit dem eigentlich speculativen FortbildnngSsy-
ftem, als mit dessen Anwendung ans Geschichte und Aesthetik beschäftigt. Seine
Vorlesungen über neuere Geschichte, die liberal gehalten waren, haben ihm eine
gewisse Popularität verschafft, und was dazu noch mehr beiträgt, ihn bei der Re¬
gierung anrückig gemacht. Er ist aber noch viel mehr in den Formeln des Sy-,


Behuf von Vorlesungen, theils zum Selbstunterricht geschrieben hat, ist, die Ver¬
änderung der Ueberschriften und einige kleine Zuthaten abgerechnet, ganz der erste
Theil der Hegelschen Encyclopädie. Es ist die starre Dialektik der logischen For¬
men, aber ohne das Fleisch nud Blut, das ihnen Hegel durch seine Anmerkungen
und Zusätze zu geben wußte. Es unterscheidet sich darin vortheilhaft von einigen
Berliner Lehrbüchern, namentlich der Logik von Werber, die man eine tvllgewvr-
dene Scholastik nennen könnte, so wild und excentrisch sind die Dithyramben, in
denen das Sein, das Werden und namentlich das absolute Nichts besungen wer¬
den. Wer indessen auf anderem Wege nicht in die Geheimnisse des absoluten
Idealismus eingeweiht ist, wird durch Erdmann über das eigentliche Wesen der
Philosophie nicht aufgeklärt werden. Hegel soll gesagt haben, er sei nur von ei¬
nem seiner Schüler verstanden und dieser habe ihn mißverstanden. Das ist ein
Mythus, in dem aber wie in all solchen Dichtungen der Tradition, eine gewisse
Wahrheit sich versteckt. Hegel weiß das überall mächtig hervorspricßcnde Grün des
Lebens durch das Netz seines Systems sehr geschickt zu überdecken; es scheint ge¬
heimniß voll durch die grauen Fäden hervor und zieht eben dadurch mehr an. Die
meisten seiner Schüler begnügen sich mit dem Netz, und reißen nur hie und da
ein Kraut oder eine Blume aus der Erde, um es damit auszuputzen. Hegel weiß
überall sehr gut, wohin er mit seinen logischen Deductionen eigentlich will, aber er
verbirgt es eher, als daß er es ausspricht. Die Unverständlichkeit seines Systems
beruht nicht in dem Zusammenhang seiner Sätze, aber auch nicht in den einzel¬
nen Sätzen; für einen einigermaßen geübten Denker ist beides evident. Aber
wem der Faden seines Gedankenlabyrinths fehlt, der fragt bei jedem Satz: was
ist eigentlich dadurch bewiesen? Die logischen Formen haben an sich keinen Werth,
sie sind Beziehungsbegriffe, die von ihrem realistischen Boden abgelöst, dem Geiste
keinen Inhalt geben. Diese Verstrickung des Denkens in bloßen Formeln ist es,
was die Althegelianer mit den Scholastikern gemein haben und was sie unfähig
macht, der geistigen Veweguug Herr zu bleibe».

Erdmann's Vortrag ist bündig nud präcis, aber nicht belebend. Er ist wohl
meistens memorirt. Viel anregender sind Schalter's Vorlesungen. Schalter ist
noch ein junger Mann, und seine Gedanken leben noch in seinem Gefühl. Er
hat sich der junghegclianischen Richtung soweit angeschlossen, als es möglich ist,
ohne ans dem System überhaupt herauszutreten; er ist Nationalist und Liberal
und kauu unbedingt den Vorkämpfern der Freiheit beigezählt werden,

Hinrichs hat sich weniger mit dem eigentlich speculativen FortbildnngSsy-
ftem, als mit dessen Anwendung ans Geschichte und Aesthetik beschäftigt. Seine
Vorlesungen über neuere Geschichte, die liberal gehalten waren, haben ihm eine
gewisse Popularität verschafft, und was dazu noch mehr beiträgt, ihn bei der Re¬
gierung anrückig gemacht. Er ist aber noch viel mehr in den Formeln des Sy-,


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[0522] Behuf von Vorlesungen, theils zum Selbstunterricht geschrieben hat, ist, die Ver¬ änderung der Ueberschriften und einige kleine Zuthaten abgerechnet, ganz der erste Theil der Hegelschen Encyclopädie. Es ist die starre Dialektik der logischen For¬ men, aber ohne das Fleisch nud Blut, das ihnen Hegel durch seine Anmerkungen und Zusätze zu geben wußte. Es unterscheidet sich darin vortheilhaft von einigen Berliner Lehrbüchern, namentlich der Logik von Werber, die man eine tvllgewvr- dene Scholastik nennen könnte, so wild und excentrisch sind die Dithyramben, in denen das Sein, das Werden und namentlich das absolute Nichts besungen wer¬ den. Wer indessen auf anderem Wege nicht in die Geheimnisse des absoluten Idealismus eingeweiht ist, wird durch Erdmann über das eigentliche Wesen der Philosophie nicht aufgeklärt werden. Hegel soll gesagt haben, er sei nur von ei¬ nem seiner Schüler verstanden und dieser habe ihn mißverstanden. Das ist ein Mythus, in dem aber wie in all solchen Dichtungen der Tradition, eine gewisse Wahrheit sich versteckt. Hegel weiß das überall mächtig hervorspricßcnde Grün des Lebens durch das Netz seines Systems sehr geschickt zu überdecken; es scheint ge¬ heimniß voll durch die grauen Fäden hervor und zieht eben dadurch mehr an. Die meisten seiner Schüler begnügen sich mit dem Netz, und reißen nur hie und da ein Kraut oder eine Blume aus der Erde, um es damit auszuputzen. Hegel weiß überall sehr gut, wohin er mit seinen logischen Deductionen eigentlich will, aber er verbirgt es eher, als daß er es ausspricht. Die Unverständlichkeit seines Systems beruht nicht in dem Zusammenhang seiner Sätze, aber auch nicht in den einzel¬ nen Sätzen; für einen einigermaßen geübten Denker ist beides evident. Aber wem der Faden seines Gedankenlabyrinths fehlt, der fragt bei jedem Satz: was ist eigentlich dadurch bewiesen? Die logischen Formen haben an sich keinen Werth, sie sind Beziehungsbegriffe, die von ihrem realistischen Boden abgelöst, dem Geiste keinen Inhalt geben. Diese Verstrickung des Denkens in bloßen Formeln ist es, was die Althegelianer mit den Scholastikern gemein haben und was sie unfähig macht, der geistigen Veweguug Herr zu bleibe». Erdmann's Vortrag ist bündig nud präcis, aber nicht belebend. Er ist wohl meistens memorirt. Viel anregender sind Schalter's Vorlesungen. Schalter ist noch ein junger Mann, und seine Gedanken leben noch in seinem Gefühl. Er hat sich der junghegclianischen Richtung soweit angeschlossen, als es möglich ist, ohne ans dem System überhaupt herauszutreten; er ist Nationalist und Liberal und kauu unbedingt den Vorkämpfern der Freiheit beigezählt werden, Hinrichs hat sich weniger mit dem eigentlich speculativen FortbildnngSsy- ftem, als mit dessen Anwendung ans Geschichte und Aesthetik beschäftigt. Seine Vorlesungen über neuere Geschichte, die liberal gehalten waren, haben ihm eine gewisse Popularität verschafft, und was dazu noch mehr beiträgt, ihn bei der Re¬ gierung anrückig gemacht. Er ist aber noch viel mehr in den Formeln des Sy-,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/522>, abgerufen am 22.07.2024.