Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

tigkeit gerichtet hat, hat Schule. Es ist nicht blos die äußere Form, die seine
theologische Speculation theilweise in das logische Gebiet hinüberzieht, es ist auch
die Innerlichkeit seiner Gedanken, die sich nie in bloßen Abstraktionen verflüchti¬
gen, was ihm eine Stellung in der Geschichte des protestantischen Bewußtseins
anweist. Eine geistige Vertiefung in den Schacht der religiösen Innerlichkeit wirkt
immer fordernd auf die Be freiung des Geistes, wenn sie selber auch von den un¬
freisten Voraussetzungen der Theologie ausgeht.

Von der Gemeinde der Heiligen kommen wir in das stille Thal der philoso¬
phischen Convenienz, in den Bildersaal der etwas altfränkischen, aber immer zier¬
lichen Gemälde, wie sie ans der Hegel'sehen Malerschule hervorgegangen sind.

Von legitimen Philosophen sind drei zu nennen, Erdmann, Hinrichs und
Schalter. Die beiden ersten würde Michelet in seiner ftanzösirenden Systema¬
tik zur "rechten Seite" der Schule zählen, den dritten zum "linken Centrum/'
Die Schule ist zwar nicht mehr eine compakte Masse, wie sie nach dem Tode des
großen Philosophen mit Harnisch und Speer der frivolen Welt gegenübcrtrat,
ihre divergirenden Richtungen haben sich mit anderweitigen Interessen zu sehr ver¬
bündet, als daß mau noch die Aristokratie der Wissenden mit Bestimmtheit von
dem Gewühl des profanen Hansens scheiden könnte; aber so in sich zerfallen ist
sie denn doch noch nicht, wie es jüngere Schriftsteller -- selbst solche, die aus ihr
hervorgingen sind, wie Rosenkranz und Schwarz -- darstellen mochten.

Das Sinken der Schule schreibt sich keineswegs von Strauß, Feuerbach oder
den Jahrbüchern her, sondern von der Unprvdnctivität der Althcgeliancr, die das
großartige Gedankensystem ihres Meisters zu einem inhaltlosen Formalismus her¬
absetzten, die von ihrer geschichtlichen Basis gelösten Abstraktionen konnten als solche
dem überall hervorbrechenden Realismus keine Schranken setzen, und gegen die
neue Transcendenz der absoluten Logik war selbst die Reaction der historischen
Schule im Vortheil.

Dennoch haben auch die Althegelianer -- nicht als Schriftsteller, aber als
Lehrer der Jugend -- noch immer eine segensreiche Wirksamkeit. Sie gewöhnen
einmal den jugendlichen Geist an eine strenge Zucht, sie zwingen ihn, Stand zu
halten; und sie popnlarisireu wenigstens das ungeheure Material der Gedan¬
ken, zu deren Quelle zurückzugehen, wenige den Muth und die Ausdauer haben.

Halle ist nur eine kleine Kolonie des Hegelianismus, der eigentliche Sitz der
Schule ist noch immer Berlin. Dennoch ist auch bei uns das Leben in der klei¬
nen Philvsophenwelt rege genug.

Erdmann gehört zu den orthodoxen Hegelianern. Er hat die neuern Be¬
strebungen der Philosophie, namentlich soweit sie sich auf Logik und Metaphysik
beziehen, keineswegs unberücksichtigt gelassen; er hat Trendelenburgs "logische Un-
tersuchungen" studirt und zum Theil benutzt, aber er ist durch sie in seinem Glau¬
ben nicht wankend gemacht. Das Compendium der Logik, welches er theils zum,


tigkeit gerichtet hat, hat Schule. Es ist nicht blos die äußere Form, die seine
theologische Speculation theilweise in das logische Gebiet hinüberzieht, es ist auch
die Innerlichkeit seiner Gedanken, die sich nie in bloßen Abstraktionen verflüchti¬
gen, was ihm eine Stellung in der Geschichte des protestantischen Bewußtseins
anweist. Eine geistige Vertiefung in den Schacht der religiösen Innerlichkeit wirkt
immer fordernd auf die Be freiung des Geistes, wenn sie selber auch von den un¬
freisten Voraussetzungen der Theologie ausgeht.

Von der Gemeinde der Heiligen kommen wir in das stille Thal der philoso¬
phischen Convenienz, in den Bildersaal der etwas altfränkischen, aber immer zier¬
lichen Gemälde, wie sie ans der Hegel'sehen Malerschule hervorgegangen sind.

Von legitimen Philosophen sind drei zu nennen, Erdmann, Hinrichs und
Schalter. Die beiden ersten würde Michelet in seiner ftanzösirenden Systema¬
tik zur „rechten Seite" der Schule zählen, den dritten zum „linken Centrum/'
Die Schule ist zwar nicht mehr eine compakte Masse, wie sie nach dem Tode des
großen Philosophen mit Harnisch und Speer der frivolen Welt gegenübcrtrat,
ihre divergirenden Richtungen haben sich mit anderweitigen Interessen zu sehr ver¬
bündet, als daß mau noch die Aristokratie der Wissenden mit Bestimmtheit von
dem Gewühl des profanen Hansens scheiden könnte; aber so in sich zerfallen ist
sie denn doch noch nicht, wie es jüngere Schriftsteller — selbst solche, die aus ihr
hervorgingen sind, wie Rosenkranz und Schwarz — darstellen mochten.

Das Sinken der Schule schreibt sich keineswegs von Strauß, Feuerbach oder
den Jahrbüchern her, sondern von der Unprvdnctivität der Althcgeliancr, die das
großartige Gedankensystem ihres Meisters zu einem inhaltlosen Formalismus her¬
absetzten, die von ihrer geschichtlichen Basis gelösten Abstraktionen konnten als solche
dem überall hervorbrechenden Realismus keine Schranken setzen, und gegen die
neue Transcendenz der absoluten Logik war selbst die Reaction der historischen
Schule im Vortheil.

Dennoch haben auch die Althegelianer — nicht als Schriftsteller, aber als
Lehrer der Jugend — noch immer eine segensreiche Wirksamkeit. Sie gewöhnen
einmal den jugendlichen Geist an eine strenge Zucht, sie zwingen ihn, Stand zu
halten; und sie popnlarisireu wenigstens das ungeheure Material der Gedan¬
ken, zu deren Quelle zurückzugehen, wenige den Muth und die Ausdauer haben.

Halle ist nur eine kleine Kolonie des Hegelianismus, der eigentliche Sitz der
Schule ist noch immer Berlin. Dennoch ist auch bei uns das Leben in der klei¬
nen Philvsophenwelt rege genug.

Erdmann gehört zu den orthodoxen Hegelianern. Er hat die neuern Be¬
strebungen der Philosophie, namentlich soweit sie sich auf Logik und Metaphysik
beziehen, keineswegs unberücksichtigt gelassen; er hat Trendelenburgs „logische Un-
tersuchungen" studirt und zum Theil benutzt, aber er ist durch sie in seinem Glau¬
ben nicht wankend gemacht. Das Compendium der Logik, welches er theils zum,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0521" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185285"/>
            <p xml:id="ID_1748" prev="#ID_1747"> tigkeit gerichtet hat, hat Schule. Es ist nicht blos die äußere Form, die seine<lb/>
theologische Speculation theilweise in das logische Gebiet hinüberzieht, es ist auch<lb/>
die Innerlichkeit seiner Gedanken, die sich nie in bloßen Abstraktionen verflüchti¬<lb/>
gen, was ihm eine Stellung in der Geschichte des protestantischen Bewußtseins<lb/>
anweist. Eine geistige Vertiefung in den Schacht der religiösen Innerlichkeit wirkt<lb/>
immer fordernd auf die Be freiung des Geistes, wenn sie selber auch von den un¬<lb/>
freisten Voraussetzungen der Theologie ausgeht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1749"> Von der Gemeinde der Heiligen kommen wir in das stille Thal der philoso¬<lb/>
phischen Convenienz, in den Bildersaal der etwas altfränkischen, aber immer zier¬<lb/>
lichen Gemälde, wie sie ans der Hegel'sehen Malerschule hervorgegangen sind.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1750"> Von legitimen Philosophen sind drei zu nennen, Erdmann, Hinrichs und<lb/>
Schalter. Die beiden ersten würde Michelet in seiner ftanzösirenden Systema¬<lb/>
tik zur &#x201E;rechten Seite" der Schule zählen, den dritten zum &#x201E;linken Centrum/'<lb/>
Die Schule ist zwar nicht mehr eine compakte Masse, wie sie nach dem Tode des<lb/>
großen Philosophen mit Harnisch und Speer der frivolen Welt gegenübcrtrat,<lb/>
ihre divergirenden Richtungen haben sich mit anderweitigen Interessen zu sehr ver¬<lb/>
bündet, als daß mau noch die Aristokratie der Wissenden mit Bestimmtheit von<lb/>
dem Gewühl des profanen Hansens scheiden könnte; aber so in sich zerfallen ist<lb/>
sie denn doch noch nicht, wie es jüngere Schriftsteller &#x2014; selbst solche, die aus ihr<lb/>
hervorgingen sind, wie Rosenkranz und Schwarz &#x2014; darstellen mochten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1751"> Das Sinken der Schule schreibt sich keineswegs von Strauß, Feuerbach oder<lb/>
den Jahrbüchern her, sondern von der Unprvdnctivität der Althcgeliancr, die das<lb/>
großartige Gedankensystem ihres Meisters zu einem inhaltlosen Formalismus her¬<lb/>
absetzten, die von ihrer geschichtlichen Basis gelösten Abstraktionen konnten als solche<lb/>
dem überall hervorbrechenden Realismus keine Schranken setzen, und gegen die<lb/>
neue Transcendenz der absoluten Logik war selbst die Reaction der historischen<lb/>
Schule im Vortheil.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1752"> Dennoch haben auch die Althegelianer &#x2014; nicht als Schriftsteller, aber als<lb/>
Lehrer der Jugend &#x2014; noch immer eine segensreiche Wirksamkeit. Sie gewöhnen<lb/>
einmal den jugendlichen Geist an eine strenge Zucht, sie zwingen ihn, Stand zu<lb/>
halten; und sie popnlarisireu wenigstens das ungeheure Material der Gedan¬<lb/>
ken, zu deren Quelle zurückzugehen, wenige den Muth und die Ausdauer haben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1753"> Halle ist nur eine kleine Kolonie des Hegelianismus, der eigentliche Sitz der<lb/>
Schule ist noch immer Berlin. Dennoch ist auch bei uns das Leben in der klei¬<lb/>
nen Philvsophenwelt rege genug.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1754" next="#ID_1755"> Erdmann gehört zu den orthodoxen Hegelianern. Er hat die neuern Be¬<lb/>
strebungen der Philosophie, namentlich soweit sie sich auf Logik und Metaphysik<lb/>
beziehen, keineswegs unberücksichtigt gelassen; er hat Trendelenburgs &#x201E;logische Un-<lb/>
tersuchungen" studirt und zum Theil benutzt, aber er ist durch sie in seinem Glau¬<lb/>
ben nicht wankend gemacht. Das Compendium der Logik, welches er theils zum,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0521] tigkeit gerichtet hat, hat Schule. Es ist nicht blos die äußere Form, die seine theologische Speculation theilweise in das logische Gebiet hinüberzieht, es ist auch die Innerlichkeit seiner Gedanken, die sich nie in bloßen Abstraktionen verflüchti¬ gen, was ihm eine Stellung in der Geschichte des protestantischen Bewußtseins anweist. Eine geistige Vertiefung in den Schacht der religiösen Innerlichkeit wirkt immer fordernd auf die Be freiung des Geistes, wenn sie selber auch von den un¬ freisten Voraussetzungen der Theologie ausgeht. Von der Gemeinde der Heiligen kommen wir in das stille Thal der philoso¬ phischen Convenienz, in den Bildersaal der etwas altfränkischen, aber immer zier¬ lichen Gemälde, wie sie ans der Hegel'sehen Malerschule hervorgegangen sind. Von legitimen Philosophen sind drei zu nennen, Erdmann, Hinrichs und Schalter. Die beiden ersten würde Michelet in seiner ftanzösirenden Systema¬ tik zur „rechten Seite" der Schule zählen, den dritten zum „linken Centrum/' Die Schule ist zwar nicht mehr eine compakte Masse, wie sie nach dem Tode des großen Philosophen mit Harnisch und Speer der frivolen Welt gegenübcrtrat, ihre divergirenden Richtungen haben sich mit anderweitigen Interessen zu sehr ver¬ bündet, als daß mau noch die Aristokratie der Wissenden mit Bestimmtheit von dem Gewühl des profanen Hansens scheiden könnte; aber so in sich zerfallen ist sie denn doch noch nicht, wie es jüngere Schriftsteller — selbst solche, die aus ihr hervorgingen sind, wie Rosenkranz und Schwarz — darstellen mochten. Das Sinken der Schule schreibt sich keineswegs von Strauß, Feuerbach oder den Jahrbüchern her, sondern von der Unprvdnctivität der Althcgeliancr, die das großartige Gedankensystem ihres Meisters zu einem inhaltlosen Formalismus her¬ absetzten, die von ihrer geschichtlichen Basis gelösten Abstraktionen konnten als solche dem überall hervorbrechenden Realismus keine Schranken setzen, und gegen die neue Transcendenz der absoluten Logik war selbst die Reaction der historischen Schule im Vortheil. Dennoch haben auch die Althegelianer — nicht als Schriftsteller, aber als Lehrer der Jugend — noch immer eine segensreiche Wirksamkeit. Sie gewöhnen einmal den jugendlichen Geist an eine strenge Zucht, sie zwingen ihn, Stand zu halten; und sie popnlarisireu wenigstens das ungeheure Material der Gedan¬ ken, zu deren Quelle zurückzugehen, wenige den Muth und die Ausdauer haben. Halle ist nur eine kleine Kolonie des Hegelianismus, der eigentliche Sitz der Schule ist noch immer Berlin. Dennoch ist auch bei uns das Leben in der klei¬ nen Philvsophenwelt rege genug. Erdmann gehört zu den orthodoxen Hegelianern. Er hat die neuern Be¬ strebungen der Philosophie, namentlich soweit sie sich auf Logik und Metaphysik beziehen, keineswegs unberücksichtigt gelassen; er hat Trendelenburgs „logische Un- tersuchungen" studirt und zum Theil benutzt, aber er ist durch sie in seinem Glau¬ ben nicht wankend gemacht. Das Compendium der Logik, welches er theils zum,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/521
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/521>, abgerufen am 22.07.2024.