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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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z. B. hat einmal die orthodoxe Dogmatik des Christenthums gegen ihn in Schutz
nehmen zu müssen geglaubt. Ja sogar darüber ist man uicht einig, ob in ihm
die Weltklugheit oder die Frömmigkeit das dominirende Princip ist. Man hat ihn
daher auch wohl einen verkappten Jesuiten genannt. Mit dieser Bezeichnung des
Jesuitismus geht man aber allzu freigebig um. Mau trägt sich mit einer Anek¬
dote über ein Gespräch Tholucks mit einem römischen Prälaten -- ich will ihre
Wahrheit nicht verbürgen -- in dem Beide lange und heftig über die Dogmen
der katholischen und protestantischen Kirche disputirten, bis der Italiener anhielt
und deu Deutschen lächelnd fragte: ob denn das alles sein Ernst wäre? Und als
nun Tholuck betroffen bejahte, habe jener lachend ausgerufen: wie ist es mög¬
lich, daß ein gebildeter Mann einen solchen Unsiutt glaubt! -- Die Anekdote,
wenn nicht wahr, ist wenigstens charakteristisch erfunden. Wer ist uun ehrlicher,
der Katholik oder der Protestant? -- So ganz richtig ist es mit dein Glauben
eines Gebildeten an allerlei Dinge, die im Katechismus stehen, wohl keines Falls,
es ist immer viel Doctrin und Zurechtmacherei bei dieser reflectirten Kindeseinfalt
im Spiel. Die moderne Theologie, zu der auch Tholuck gehört, ist aus dem
Rationalismus hervorgegangen, und in all ihren Aeußerungen davon inficirt.
In den älteren Zeiten hatte man über dergleichen nicht nachgedacht, man hatte
es vom Großvater her geerbt, und wurde daun aufgebracht, wenn sich irgendwo
eine entgegengesetzte Ansicht laut machte. Der neumodische Supernaturalismus
ist sich aber seines Gegensatzes sehr gut bewußt, er kann das Recht und die An¬
sprüche des gesunden Menschenverstandes nicht gut vou sich weisen, aber es ist
ihm nicht recht geheuer in dieser Verstaudeswirthschaft, er findet Standpunkte,
von denen aus er dies und jenes in der alten Lehre recht sehr zu goutiren weiß,
und nnn combinirt er diese Einzelheiten, und flickt aus den Lappen des alten
stattlichen Mantels eine bunte Jacke zusammen, in der er zwar nicht fein, aber
bunt genug aussieht. Es ist ein Januskopf, unsere Theologie; dem einen dreht
sie das betrübte Gesicht des alten rührenden Pietismus, dem anderen das schlaue
Lächeln der über die Bildung hinausgehenden Bildung zu. Hätte Tholuck noch
Schule, so ließe sich dieses buntscheckige Bewußtsein leichter mit einem allgemei-
nen Firniß überziehen, aber so ist er Autvdidact, und seine Einfälle springen un-
mvtivirt und überraschend gerade an einem Ort hervor, wo man es am wenig¬
sten vermuthen sollte. Das macht ihn aber populär, und die Unmittelbarkeit sei¬
ner Ansichten einerseits, sodann die Neigung, sich mit jüngeren Leuten -- theils
produktiv, theils auch receptiv -- über das, was dem Menschen Noth thut, zu
unterhalten, so wie seine Geschicklichkeit in weltlichen Dingen, die "Schlangen-
klngheir", die mit der "Taubcneinfalt" häufig genug Hand in Hand geht, ver¬
schafft ihm einen nicht unbedeutenden Einfluß auf die studirende Jngend.

Sein College Müller, von den Studenten der Sünden-Müller genannt,
weil er vorzugsweise auf die Sünde seine Nachdenken und seiue literarische Tha?


z. B. hat einmal die orthodoxe Dogmatik des Christenthums gegen ihn in Schutz
nehmen zu müssen geglaubt. Ja sogar darüber ist man uicht einig, ob in ihm
die Weltklugheit oder die Frömmigkeit das dominirende Princip ist. Man hat ihn
daher auch wohl einen verkappten Jesuiten genannt. Mit dieser Bezeichnung des
Jesuitismus geht man aber allzu freigebig um. Mau trägt sich mit einer Anek¬
dote über ein Gespräch Tholucks mit einem römischen Prälaten — ich will ihre
Wahrheit nicht verbürgen — in dem Beide lange und heftig über die Dogmen
der katholischen und protestantischen Kirche disputirten, bis der Italiener anhielt
und deu Deutschen lächelnd fragte: ob denn das alles sein Ernst wäre? Und als
nun Tholuck betroffen bejahte, habe jener lachend ausgerufen: wie ist es mög¬
lich, daß ein gebildeter Mann einen solchen Unsiutt glaubt! — Die Anekdote,
wenn nicht wahr, ist wenigstens charakteristisch erfunden. Wer ist uun ehrlicher,
der Katholik oder der Protestant? — So ganz richtig ist es mit dein Glauben
eines Gebildeten an allerlei Dinge, die im Katechismus stehen, wohl keines Falls,
es ist immer viel Doctrin und Zurechtmacherei bei dieser reflectirten Kindeseinfalt
im Spiel. Die moderne Theologie, zu der auch Tholuck gehört, ist aus dem
Rationalismus hervorgegangen, und in all ihren Aeußerungen davon inficirt.
In den älteren Zeiten hatte man über dergleichen nicht nachgedacht, man hatte
es vom Großvater her geerbt, und wurde daun aufgebracht, wenn sich irgendwo
eine entgegengesetzte Ansicht laut machte. Der neumodische Supernaturalismus
ist sich aber seines Gegensatzes sehr gut bewußt, er kann das Recht und die An¬
sprüche des gesunden Menschenverstandes nicht gut vou sich weisen, aber es ist
ihm nicht recht geheuer in dieser Verstaudeswirthschaft, er findet Standpunkte,
von denen aus er dies und jenes in der alten Lehre recht sehr zu goutiren weiß,
und nnn combinirt er diese Einzelheiten, und flickt aus den Lappen des alten
stattlichen Mantels eine bunte Jacke zusammen, in der er zwar nicht fein, aber
bunt genug aussieht. Es ist ein Januskopf, unsere Theologie; dem einen dreht
sie das betrübte Gesicht des alten rührenden Pietismus, dem anderen das schlaue
Lächeln der über die Bildung hinausgehenden Bildung zu. Hätte Tholuck noch
Schule, so ließe sich dieses buntscheckige Bewußtsein leichter mit einem allgemei-
nen Firniß überziehen, aber so ist er Autvdidact, und seine Einfälle springen un-
mvtivirt und überraschend gerade an einem Ort hervor, wo man es am wenig¬
sten vermuthen sollte. Das macht ihn aber populär, und die Unmittelbarkeit sei¬
ner Ansichten einerseits, sodann die Neigung, sich mit jüngeren Leuten — theils
produktiv, theils auch receptiv — über das, was dem Menschen Noth thut, zu
unterhalten, so wie seine Geschicklichkeit in weltlichen Dingen, die „Schlangen-
klngheir", die mit der „Taubcneinfalt" häufig genug Hand in Hand geht, ver¬
schafft ihm einen nicht unbedeutenden Einfluß auf die studirende Jngend.

Sein College Müller, von den Studenten der Sünden-Müller genannt,
weil er vorzugsweise auf die Sünde seine Nachdenken und seiue literarische Tha?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/520>, abgerufen am 22.07.2024.