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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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hundert tagt, ist vor Allem die der Geister, welche durch das offene An¬
erkennen eines österreichischen Gesammtreiches, einer österreichischen Gesammt-
nationalität sich selbst und der Welt klar werden soll. Die Einigung, die wir
meinen, besteht ferner in dem gleichen politischen Grundprincip, das uns regieren
soll, welches kein anderes sein kann, als das loyale Anerkennen, daß Oesterreich
nun einmal kein absoluter, sondern ein constitutioneller Staat sei, und auch als
solcher regiert werden müsse, weil dessen Bestandtheile mit wenigen Ausnahmen
Konstitutionen haben, daß daher vorerst die bestehenden Landesverfassungen respectirt
und die aufgehobenen wieder hergestellt werden müssen, worauf es sodann an der
Zeit sein wird, im Einklang mit den verfassungsmäßigen Landesvertretern dasje¬
nige, was der Fortschritt der Zeit oder die Einheit Oesterreichs erfordert, allmälig
auszuführen, vor Allem aber die zweckmäßigen Mittel hervorzusuchen, damit das Princip
einer durchaus gleichen Besteuerung und gleicher Vortheile für alle Ländertheile
in's Leben treten könne. Uebrigens lassen sich diejenigen Provinzen, welche in
ihren Verhältnissen gleich oder beinahe gleich stehen, ohne besondere Schwierigkei¬
ten vereinigen. So z. B., wenn auch vorläufig vou Galizien, Italien und den
Küstenländern abgesehen wird, könnte Ungarn völlig mit Siebenbürgens, dann
Ober- und Unterösterreich, Steiermark, Kärnthen, Krain, Görz, das Triestiner
Gebiet und Salzburg zu einem zweiten Ganzen; Tirol und Vorarlberg zu einem
dritten; und endlich Böhmen, Mähren und Schlesien zu einem vierten Ganzen
vereinigt werden. Wir hätten dann statt zwölf Länder und Ländchen deren we¬
nigstens nnr noch vier, aber freilich auch mehr als ein halb Dutzend Gouverneure
weniger, und statt zwölfen, die man theilen kann, nur mehr das Spiel mit vieren;
statt des ungarischen Landtages, dem man allein Aufmerksamkeit schenkte, uoch drei
andere große Ständekörper, die man beachten müßte. Dies alles mundet nicht --
-- den -- Bureaukraten. Wir werden daher, so lange diese herrschen, kaum solche
Dinge verwirklicht scheu. Doch darum wird uicht minder der Einigungsprozeß
fortschreiten, sobald der Gedanke gezündet und die Völker zur Einsicht gelangt
sind, daß es nicht länger in ihrem Vortheil liege, der Staatsklugen und doch grund¬
falschen Maxime: "dlvi"!" et imnei-t!" Vorschub zu leisten.

Die Bcsteuerungsfrage in Ungarn wird und muß zunächst die Sache zum
Durchbruch bringen; sie ist eine Lebensfrage für Ungarn sowohl, als den Ge-
sammtstaat. Für Ungarn -- weil ohne Steuern Institute und Organe uicht erhal¬
ten und bezahlt werde" können, die für Rechtspflege, Sicherheit, Wissenschaft,
Gesundheit und Verkehr unerläßlich sind, ohne Steuern der gehörige Geldumlauf



*) Die von Ungarn abgetrennten und bis jetzt mit Siebenbürgen vereinigte" cZomitatc
K'rassna, Z^rant und Mittel-Szolnok haben trotz der Einberufung zum ungarischen Reichstag
keine Deputirt'e geschickt, und wollen gegenwärtig bitten, sie entweder bei Siebenbürgen zu be¬
lassen, oder aber das ganze GroMrstcnthum mit Ungarn zu vereinigen ^- die Wege sind also
hier mindestens angebahnt.

hundert tagt, ist vor Allem die der Geister, welche durch das offene An¬
erkennen eines österreichischen Gesammtreiches, einer österreichischen Gesammt-
nationalität sich selbst und der Welt klar werden soll. Die Einigung, die wir
meinen, besteht ferner in dem gleichen politischen Grundprincip, das uns regieren
soll, welches kein anderes sein kann, als das loyale Anerkennen, daß Oesterreich
nun einmal kein absoluter, sondern ein constitutioneller Staat sei, und auch als
solcher regiert werden müsse, weil dessen Bestandtheile mit wenigen Ausnahmen
Konstitutionen haben, daß daher vorerst die bestehenden Landesverfassungen respectirt
und die aufgehobenen wieder hergestellt werden müssen, worauf es sodann an der
Zeit sein wird, im Einklang mit den verfassungsmäßigen Landesvertretern dasje¬
nige, was der Fortschritt der Zeit oder die Einheit Oesterreichs erfordert, allmälig
auszuführen, vor Allem aber die zweckmäßigen Mittel hervorzusuchen, damit das Princip
einer durchaus gleichen Besteuerung und gleicher Vortheile für alle Ländertheile
in's Leben treten könne. Uebrigens lassen sich diejenigen Provinzen, welche in
ihren Verhältnissen gleich oder beinahe gleich stehen, ohne besondere Schwierigkei¬
ten vereinigen. So z. B., wenn auch vorläufig vou Galizien, Italien und den
Küstenländern abgesehen wird, könnte Ungarn völlig mit Siebenbürgens, dann
Ober- und Unterösterreich, Steiermark, Kärnthen, Krain, Görz, das Triestiner
Gebiet und Salzburg zu einem zweiten Ganzen; Tirol und Vorarlberg zu einem
dritten; und endlich Böhmen, Mähren und Schlesien zu einem vierten Ganzen
vereinigt werden. Wir hätten dann statt zwölf Länder und Ländchen deren we¬
nigstens nnr noch vier, aber freilich auch mehr als ein halb Dutzend Gouverneure
weniger, und statt zwölfen, die man theilen kann, nur mehr das Spiel mit vieren;
statt des ungarischen Landtages, dem man allein Aufmerksamkeit schenkte, uoch drei
andere große Ständekörper, die man beachten müßte. Dies alles mundet nicht —
— den — Bureaukraten. Wir werden daher, so lange diese herrschen, kaum solche
Dinge verwirklicht scheu. Doch darum wird uicht minder der Einigungsprozeß
fortschreiten, sobald der Gedanke gezündet und die Völker zur Einsicht gelangt
sind, daß es nicht länger in ihrem Vortheil liege, der Staatsklugen und doch grund¬
falschen Maxime: „dlvi«!« et imnei-t!" Vorschub zu leisten.

Die Bcsteuerungsfrage in Ungarn wird und muß zunächst die Sache zum
Durchbruch bringen; sie ist eine Lebensfrage für Ungarn sowohl, als den Ge-
sammtstaat. Für Ungarn — weil ohne Steuern Institute und Organe uicht erhal¬
ten und bezahlt werde» können, die für Rechtspflege, Sicherheit, Wissenschaft,
Gesundheit und Verkehr unerläßlich sind, ohne Steuern der gehörige Geldumlauf



*) Die von Ungarn abgetrennten und bis jetzt mit Siebenbürgen vereinigte» cZomitatc
K'rassna, Z^rant und Mittel-Szolnok haben trotz der Einberufung zum ungarischen Reichstag
keine Deputirt'e geschickt, und wollen gegenwärtig bitten, sie entweder bei Siebenbürgen zu be¬
lassen, oder aber das ganze GroMrstcnthum mit Ungarn zu vereinigen ^- die Wege sind also
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/510>, abgerufen am 22.07.2024.