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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Opfer scheuen, die Integrität aller unter einem Scepter vereinigt?" Lande gemein¬
sam zu schütze", und zwar nicht etwa nur gegen die Türken, den Feind der Chri¬
stenheit, sondern gegen Jedermann ohne alle Ausnahme.

Ein Blick auf die Karte zeigt uns ferner, daß dieses im Osten des civilisir-
ten Europa gelegene Reich, sowohl in strategischer als in merkantilischer Beziehung,
sich mehr oder weniger so gestalten und abrunden mußte, wenn es die Bedingun¬
gen dauernder Lebensfähigkeit in dem Staaten-Komplex Enropa's überhaupt und
als Großmacht insbesondere in sich vereinigen wollte.

In dem Entwickelungsgange, den Staaten und Völker nehmen, herrscht eben
so wenig der Zufall als in einem andern Gebiete, den überhaupt nur das blöde
Auge eines beschränkten Verstandes in jenen Dingen erblickt, die er anders sich
nicht zu erklären vermag. Und so gewiß, als jedes Haar ans unserm Haupte ge-
zählt ist, so gewiß haben auch diejenigen Gesetze, unter deren Herrschaft wir Mer--
scheu stehen, Oesterreich geschaffen und erhalten. Ungarn z. B. bedürfte, um der
türkischen Macht nicht zu erliegen, die es mehr als einmal zu verschlingen drohte,
Oesterreichs und seiner Nebenländer, und Böhmen mußte entweder Oesterreich er¬
obern, an welcher Aufgabe Ottokar scheiterte, oder es mußte über kurz oder lang
österreichisch werden; denn für Böhmen war unter allen Nachbarstaaten Oester¬
reich der gefährlichste, wie nicht minder der reichste und lockendste -- für Oester¬
reich aber war Böhmen und Mähren eine Bedingung seiner Consolidirung und
seiner Abrundung, zumal wenn Ungarn mit in Anschlag gebracht wird. Tirol,
Steiermark, Kärnthen, Krain liegen zwischen Oesterreich und Italien eingekeilt, und
waren daher an Oesterreich gewiesen dnrch Stammverwandtschaft sowohl, als durch
die italienische Zerrissenheit, die an Italiens Grenzen außer Venedig, das die
See und die Küsten suchte, keine Macht entstehen ließ, nach der jene sich neigen
konnten. Für Oesterreich aber waren diese Gebirgsländer ein Gürtel von Festun¬
gen, die es gegen Süden und Westen schützten.

Diese Andeutungen werden genügen, die Ansicht zu rechtfertigen, daß ein
Großstaat an deu Ufern der Donau in der Art wie Oesterreich sich gestalte"
mußte, und zwar um so mehr, als ein großer Theil der Handelsbeziehungen
jener nun vereinigten Ländern an den Ufern dieses mächtigen Stromes sich
längst schon festgesetzt hatte. Gegenwärtig aber, nach so langem Verbände mün¬
den in tausendfältigen Richtungen die materiellen Interessen der österreichischen
Lande an der großen Wasserstraße aus, die das kleine Erzherzogthum und dus
große Königreich Ungarn bespült. Diese Interessen sind zu sehr verwickelt und
verzweigt, als daß sich ein freiwilliges Lostrennen der betheiligten Länder unter
dem Gesichtspunkte materieller Vortheile denken ließe. ES kann höchstens die
Frage entstehen, ob Ungarn oder Oesterreich über sie herrschen soll, was an und
für sich eine müssige Frage ist; denn der ungarische König regiert gegenwärtig
den österreichischen Kaiserstaat eben so gut, als der österreichische Erzherzog.
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Opfer scheuen, die Integrität aller unter einem Scepter vereinigt?« Lande gemein¬
sam zu schütze», und zwar nicht etwa nur gegen die Türken, den Feind der Chri¬
stenheit, sondern gegen Jedermann ohne alle Ausnahme.

Ein Blick auf die Karte zeigt uns ferner, daß dieses im Osten des civilisir-
ten Europa gelegene Reich, sowohl in strategischer als in merkantilischer Beziehung,
sich mehr oder weniger so gestalten und abrunden mußte, wenn es die Bedingun¬
gen dauernder Lebensfähigkeit in dem Staaten-Komplex Enropa's überhaupt und
als Großmacht insbesondere in sich vereinigen wollte.

In dem Entwickelungsgange, den Staaten und Völker nehmen, herrscht eben
so wenig der Zufall als in einem andern Gebiete, den überhaupt nur das blöde
Auge eines beschränkten Verstandes in jenen Dingen erblickt, die er anders sich
nicht zu erklären vermag. Und so gewiß, als jedes Haar ans unserm Haupte ge-
zählt ist, so gewiß haben auch diejenigen Gesetze, unter deren Herrschaft wir Mer--
scheu stehen, Oesterreich geschaffen und erhalten. Ungarn z. B. bedürfte, um der
türkischen Macht nicht zu erliegen, die es mehr als einmal zu verschlingen drohte,
Oesterreichs und seiner Nebenländer, und Böhmen mußte entweder Oesterreich er¬
obern, an welcher Aufgabe Ottokar scheiterte, oder es mußte über kurz oder lang
österreichisch werden; denn für Böhmen war unter allen Nachbarstaaten Oester¬
reich der gefährlichste, wie nicht minder der reichste und lockendste — für Oester¬
reich aber war Böhmen und Mähren eine Bedingung seiner Consolidirung und
seiner Abrundung, zumal wenn Ungarn mit in Anschlag gebracht wird. Tirol,
Steiermark, Kärnthen, Krain liegen zwischen Oesterreich und Italien eingekeilt, und
waren daher an Oesterreich gewiesen dnrch Stammverwandtschaft sowohl, als durch
die italienische Zerrissenheit, die an Italiens Grenzen außer Venedig, das die
See und die Küsten suchte, keine Macht entstehen ließ, nach der jene sich neigen
konnten. Für Oesterreich aber waren diese Gebirgsländer ein Gürtel von Festun¬
gen, die es gegen Süden und Westen schützten.

Diese Andeutungen werden genügen, die Ansicht zu rechtfertigen, daß ein
Großstaat an deu Ufern der Donau in der Art wie Oesterreich sich gestalte«
mußte, und zwar um so mehr, als ein großer Theil der Handelsbeziehungen
jener nun vereinigten Ländern an den Ufern dieses mächtigen Stromes sich
längst schon festgesetzt hatte. Gegenwärtig aber, nach so langem Verbände mün¬
den in tausendfältigen Richtungen die materiellen Interessen der österreichischen
Lande an der großen Wasserstraße aus, die das kleine Erzherzogthum und dus
große Königreich Ungarn bespült. Diese Interessen sind zu sehr verwickelt und
verzweigt, als daß sich ein freiwilliges Lostrennen der betheiligten Länder unter
dem Gesichtspunkte materieller Vortheile denken ließe. ES kann höchstens die
Frage entstehen, ob Ungarn oder Oesterreich über sie herrschen soll, was an und
für sich eine müssige Frage ist; denn der ungarische König regiert gegenwärtig
den österreichischen Kaiserstaat eben so gut, als der österreichische Erzherzog.
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[0503] Opfer scheuen, die Integrität aller unter einem Scepter vereinigt?« Lande gemein¬ sam zu schütze», und zwar nicht etwa nur gegen die Türken, den Feind der Chri¬ stenheit, sondern gegen Jedermann ohne alle Ausnahme. Ein Blick auf die Karte zeigt uns ferner, daß dieses im Osten des civilisir- ten Europa gelegene Reich, sowohl in strategischer als in merkantilischer Beziehung, sich mehr oder weniger so gestalten und abrunden mußte, wenn es die Bedingun¬ gen dauernder Lebensfähigkeit in dem Staaten-Komplex Enropa's überhaupt und als Großmacht insbesondere in sich vereinigen wollte. In dem Entwickelungsgange, den Staaten und Völker nehmen, herrscht eben so wenig der Zufall als in einem andern Gebiete, den überhaupt nur das blöde Auge eines beschränkten Verstandes in jenen Dingen erblickt, die er anders sich nicht zu erklären vermag. Und so gewiß, als jedes Haar ans unserm Haupte ge- zählt ist, so gewiß haben auch diejenigen Gesetze, unter deren Herrschaft wir Mer-- scheu stehen, Oesterreich geschaffen und erhalten. Ungarn z. B. bedürfte, um der türkischen Macht nicht zu erliegen, die es mehr als einmal zu verschlingen drohte, Oesterreichs und seiner Nebenländer, und Böhmen mußte entweder Oesterreich er¬ obern, an welcher Aufgabe Ottokar scheiterte, oder es mußte über kurz oder lang österreichisch werden; denn für Böhmen war unter allen Nachbarstaaten Oester¬ reich der gefährlichste, wie nicht minder der reichste und lockendste — für Oester¬ reich aber war Böhmen und Mähren eine Bedingung seiner Consolidirung und seiner Abrundung, zumal wenn Ungarn mit in Anschlag gebracht wird. Tirol, Steiermark, Kärnthen, Krain liegen zwischen Oesterreich und Italien eingekeilt, und waren daher an Oesterreich gewiesen dnrch Stammverwandtschaft sowohl, als durch die italienische Zerrissenheit, die an Italiens Grenzen außer Venedig, das die See und die Küsten suchte, keine Macht entstehen ließ, nach der jene sich neigen konnten. Für Oesterreich aber waren diese Gebirgsländer ein Gürtel von Festun¬ gen, die es gegen Süden und Westen schützten. Diese Andeutungen werden genügen, die Ansicht zu rechtfertigen, daß ein Großstaat an deu Ufern der Donau in der Art wie Oesterreich sich gestalte« mußte, und zwar um so mehr, als ein großer Theil der Handelsbeziehungen jener nun vereinigten Ländern an den Ufern dieses mächtigen Stromes sich längst schon festgesetzt hatte. Gegenwärtig aber, nach so langem Verbände mün¬ den in tausendfältigen Richtungen die materiellen Interessen der österreichischen Lande an der großen Wasserstraße aus, die das kleine Erzherzogthum und dus große Königreich Ungarn bespült. Diese Interessen sind zu sehr verwickelt und verzweigt, als daß sich ein freiwilliges Lostrennen der betheiligten Länder unter dem Gesichtspunkte materieller Vortheile denken ließe. ES kann höchstens die Frage entstehen, ob Ungarn oder Oesterreich über sie herrschen soll, was an und für sich eine müssige Frage ist; denn der ungarische König regiert gegenwärtig den österreichischen Kaiserstaat eben so gut, als der österreichische Erzherzog. * 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/503>, abgerufen am 22.07.2024.