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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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eben darum ist die Darstellung objectiv, der eine Enthusiasmus schränkt den an¬
dern ein, und das Gefühl kann nie in's Maßlose überschreiten. Freilich neigt
sich schon hier die Wagschale zu Gunsten der Kirche, und diejenigen Gestalten,
die man als Propheten des modernen Bewußtseins auffassen kann, Kaiser Frie¬
drich II. und Aehnliche, werden zwar noch nicht in's Kleinliche karrikirt, aber
doch mit bedenklichem Kopfschütteln betrachtet. Aus der Zeit Kaiser Friedrichs II.
wählt er zwei Figuren ans, um an ihnen sein positives Ideal darzustellen: Ezzclin
von Romano und den heiligen Franciscus. Der erste war von Natur ein kräfti¬
ger, tüchtiger und gerechter Mann, der aber die Idee der Gerechtigkeit ans die
Spitze trieb, indem er sie rein subjectiv auffaßte, und der dadurch in Will¬
kürlichkeiten, Ungerechtigkeiten und endlich die abscheulichsten Grausamkeiten ver¬
wickelt wurde. Der heilige Franciscus dagegen ist ein Ideal der Selbstverleug¬
nung; als er beim Papst um die Bestätigung seines Ordens einkam, erklärte ihm
dieser, dem sein Aeußeres etwas anrüchig war, er solle einen Orden unter den
Schweinen stiften, und der gehorsame Heilige nahm das wörtlich und wolle es
ausführen. Solche Selbstverleugnung fand ihren Lohn; die katholische Christenheit
betet noch heutzutage bei ihm um Vermittelung bei Gott. Jener grausame Ezzelin
wird als ein Beispiel aufgestellt, wohin der Hochmuth der Selbstgerechtigkeit end¬
lich führen muß. Die Tugend, als subjectiver Entschluß des Herzens, ist ein
Frevel gegen die göttliche Gerechtigkeit. Leo hat auf dieses Beispiel vielen Werth
gelegt, und ist später häufig darauf zurückgekommen. Als in unsern Tagen die
Schaudergemälde Eugen Sue's das wunderbare Anflehn erregten, gab Leo in
der evangelischen Kirchenzeitung eine Kritik der vornehmsten Charaktere und ihrer
Tendenzen. Er wies nach, daß in "Rudolph," dem Großherzog von Gerolstein,
dieselbe Anmaßung des subjectiven Nechtsgefühls, wie sie Ezzelin zum Verbrecher
machte, mit aller Präteuston der von Gott verlassnen Vernunft auftrete, wie
"Adrieune von Cardoville" wegen ihrer Ideen, ans eigne Weise und nach eigner
Vernunft die sittlichen Verhältnisse regeln zu wollen, mit Recht von den Jesuiten
in's Irrenhaus eingesperrt sei, weil der Wahnsinn nichts anderes sei, als die
Einbildung, in seinem Innern das Recht und die Wahrheit des Lebens zu haben.

Ich habe diese Einzelheiten darum hervorgehoben, weil sie in der That die
theoretische Grundlage der Weltanschauung bilden, von welcher aus Leo die ganze
Geschichte betrachtet. In seiner "allgemeinen Geschichte" ist diese Tendenz bis zum
Aberwitz getrieben. Er findet, wie alle Romantiker, im Ursprünglichen das Voll¬
kommene, und wendet das auch z. B. auf die griechische Geschichte an. So sei Athen
vor der Revolution des Klisthenes, der die alten Innungen aufhob und dadurch
die Demokratie möglich machte, in einem paradiesischen Zustande gewesen, durch
des Klisthenes "fluchwürdige Hand" aber in ein Sodom und Gomorrha verwan¬
delt. Nun fallen aber die Perserkriege, das Zeitalter deö Perikles, des Sokrates,
des Aristoteles, nach jenem Sündenfall; es wird also einer Marotte zu lieb die


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eben darum ist die Darstellung objectiv, der eine Enthusiasmus schränkt den an¬
dern ein, und das Gefühl kann nie in's Maßlose überschreiten. Freilich neigt
sich schon hier die Wagschale zu Gunsten der Kirche, und diejenigen Gestalten,
die man als Propheten des modernen Bewußtseins auffassen kann, Kaiser Frie¬
drich II. und Aehnliche, werden zwar noch nicht in's Kleinliche karrikirt, aber
doch mit bedenklichem Kopfschütteln betrachtet. Aus der Zeit Kaiser Friedrichs II.
wählt er zwei Figuren ans, um an ihnen sein positives Ideal darzustellen: Ezzclin
von Romano und den heiligen Franciscus. Der erste war von Natur ein kräfti¬
ger, tüchtiger und gerechter Mann, der aber die Idee der Gerechtigkeit ans die
Spitze trieb, indem er sie rein subjectiv auffaßte, und der dadurch in Will¬
kürlichkeiten, Ungerechtigkeiten und endlich die abscheulichsten Grausamkeiten ver¬
wickelt wurde. Der heilige Franciscus dagegen ist ein Ideal der Selbstverleug¬
nung; als er beim Papst um die Bestätigung seines Ordens einkam, erklärte ihm
dieser, dem sein Aeußeres etwas anrüchig war, er solle einen Orden unter den
Schweinen stiften, und der gehorsame Heilige nahm das wörtlich und wolle es
ausführen. Solche Selbstverleugnung fand ihren Lohn; die katholische Christenheit
betet noch heutzutage bei ihm um Vermittelung bei Gott. Jener grausame Ezzelin
wird als ein Beispiel aufgestellt, wohin der Hochmuth der Selbstgerechtigkeit end¬
lich führen muß. Die Tugend, als subjectiver Entschluß des Herzens, ist ein
Frevel gegen die göttliche Gerechtigkeit. Leo hat auf dieses Beispiel vielen Werth
gelegt, und ist später häufig darauf zurückgekommen. Als in unsern Tagen die
Schaudergemälde Eugen Sue's das wunderbare Anflehn erregten, gab Leo in
der evangelischen Kirchenzeitung eine Kritik der vornehmsten Charaktere und ihrer
Tendenzen. Er wies nach, daß in „Rudolph," dem Großherzog von Gerolstein,
dieselbe Anmaßung des subjectiven Nechtsgefühls, wie sie Ezzelin zum Verbrecher
machte, mit aller Präteuston der von Gott verlassnen Vernunft auftrete, wie
„Adrieune von Cardoville" wegen ihrer Ideen, ans eigne Weise und nach eigner
Vernunft die sittlichen Verhältnisse regeln zu wollen, mit Recht von den Jesuiten
in's Irrenhaus eingesperrt sei, weil der Wahnsinn nichts anderes sei, als die
Einbildung, in seinem Innern das Recht und die Wahrheit des Lebens zu haben.

Ich habe diese Einzelheiten darum hervorgehoben, weil sie in der That die
theoretische Grundlage der Weltanschauung bilden, von welcher aus Leo die ganze
Geschichte betrachtet. In seiner „allgemeinen Geschichte" ist diese Tendenz bis zum
Aberwitz getrieben. Er findet, wie alle Romantiker, im Ursprünglichen das Voll¬
kommene, und wendet das auch z. B. auf die griechische Geschichte an. So sei Athen
vor der Revolution des Klisthenes, der die alten Innungen aufhob und dadurch
die Demokratie möglich machte, in einem paradiesischen Zustande gewesen, durch
des Klisthenes „fluchwürdige Hand" aber in ein Sodom und Gomorrha verwan¬
delt. Nun fallen aber die Perserkriege, das Zeitalter deö Perikles, des Sokrates,
des Aristoteles, nach jenem Sündenfall; es wird also einer Marotte zu lieb die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/469>, abgerufen am 22.07.2024.